Interview mit DDr. Wolfgang Maurer zu Impfungen und Impfkritik
Impfungen sind bis heute eine kontrovers diskutiertes Thema, obwohl diese unumstritten erheblich zu der erhöhten Lebenserwartung in der modernen Gesellschaft beigetragen haben. Welche Vorbehalte bestehen, inwiefern diese begründet sind und was für Konsequenzen ein Verzicht auf Impfungen mit sich bringt, erklärt der Impfexperte Dr. Wolfgang Maurer im Interview.
Heilpraxis:
Seit wann impfen Ärzte gegen Krankheiten, und wie kamen sie darauf?
DDr. Wolfgang Maurer:
Der englische Landarzt Edward Jenner beobachtete, dass Mägde, die beim Kuh melken sich mit Kuhpocken infiziert hatten, gegen Menschen-Pocken (Variola Virus) immun waren. Er sammelte daher Lymphe von den Kuhpockenbläschen und inokulierte als ersten den Jungen James Phibbs.1798 publizierte Jenner das Ergebnis seiner Studien. Seine Vakzination setzte sich aber nur langsam durch.
In Österreich wurden die ersten Pockenimpfungen um 1800 in Brunn am Gebirge durchgeführt. Damals wurde bereits das Vaccinia-Virus verwendet, welches eine Kreuzimmunität gegen die Menschenpocken induziert. Da der Impfstoff rasch seine Wirksamkeit verlor, wurde dem „Schutzpockeninstitute aufgetragen (…) stets guten Impfstoff zu sammeln. Zugleich wurde befohlen, alle Wundärzte anzuweisen, daß sie bey Einimpfung der Schutzpocken gehörig zu Werke gehen, und sich hiezu gut geschliffener Lanzete bedienen sollen, weil sonst auch der frischeste Impfstoff nichts nützet“ (Korneuburg1807).
Wie verliefen die ersten großen Impfkampagnen? Zu welchen Nebenwirkungen kam es, und welche Erfolge zeigten sich?
Nachdem es gegen die Pocken keinerlei Therapie gab und die Sterblichkeit hoch war (in Indien noch 1974/75 bei Säuglingen 43,5%) setzte sich die Pockenimpfung auch gegen große Widerstände ab 1800 in Europa weitgehend durch. Auch unterstützt durch eine gesetzliche Impfpflicht in vielen europäischen Ländern. Im Vergleich zur modernen Impfstoffherstellung war der traditionelle Pockenimpfstoff häufig bakteriell kontaminiert, so dass es häufig zu Entzündungen kam. Schwerwiegender waren Encephalopathien in Form einer Hirnschwellung. In Österreich 103 Fälle pro Million Impfungen (Berger und Puntigam 1955) und bei Encephalomyelitis (schwere Hirnentzündung) 1219 Fälle pro Million Impfungen.
Trotz dieser schweren und wohl auch meist ursächlichen Nebenwirkungen, gelang es die Pocken 1980 global zu eradizieren. Dies gelang in erster Linie durch moderne Techniken der Gefriertrocknung, die den Impfstoff haltbar machte. In den 20/30er Jahren des letzten Jahrhunderts wurden große Impfstudien durchgeführt. Die Methode nannte man Kontrollreihenmethode. Mit Diphtherieimpfstoffen wurden z.B. 933 Personen geimpft und mit 10.000 Ungeimpften die Erkrankungshäufigkeit verglichen. In diesem Fall Geimpft/Ungeimpft 1:2,7 also ein schlecht wirksamer Impfstoff (Meyer, Bern 1930). Andere Impfstoffversionen waren weit wirksamer (Bauer, Philadelphia) 96.252 Geimpfte versus 104.732 Ungeimpfte. Die Erkrankungsrate der Ungeimpften war 230 mal so hoch wie bei den Geimpften – also ein gut wirksamer Impfstoff. Auf Basis dieser Studien wurden dann die heutigen Diphtherieimpfstoffe weiterentwickelt.
Was wissen wir heute über das Immunsystem, und was unterscheidet als Folge dieses Wissens heute Impfungen von den frühen Versuchen?
Beim Pockenimpfstoff wusste man ja noch nicht, dass es Viren gibt. Auch über das Immunsystem war praktisch nichts bekannt, außer, dass es Infektionen gab wie z.B. Masern, die lebenslange Immunität bewirken. Wobei die Sterblichkeit vor 100 Jahren in Industrieländern bei Masern ca. 3% eines Jahrgangs betrug. Heute – dank Intensivstationen – stirbt nur eines von 1000 masernkranken Kindern.
Bei den frühen Impfkampagnen gab es Widerstand von Impfgegnern. Wie sah der aus und wie berechtigt war er?
In erster Linie war dieser Widerstand irrational, von Ängsten begleitet und fern vom damaligen Wissensstand – das hat sich bis heute eigentlich nicht geändert. So hatte bis vor wenigen Jahren eine österreichische Impfgegner-Ärztin auf ihrer Homepage behauptet, dass sich Viren, Bakterien und Pilze bei Bedarf ineinander umwandeln!
Gibt es wissenschaftliche Argumente, die gegen Impfungen sprechen?
Nachdem sich das medizinische Wissen derzeit in 3 bis 5 Jahren verdoppelt, sind es immer weniger wissenschaftliche Argumente. Gibt es welche, sind diese schlecht begründet und fehleranfällig. Es gab aber Unfälle mit Impfstoffen, so z.B 1955 den sog. Cutter Incident. Hier wurde ein Poliototimpfstoff nicht vollständig inaktiviert, so dass etliche Geimpfte tatsächlich an Poliomyelitis erkrankten – ein äußerst bedauerlicher schwerer Zwischenfall, der aber zu wichtigen Verbesserungen in der Impfstoffproduktion führte.
Ein wissenschaftliches Argument wäre die auch heute noch durchgeführte Pockenimpfung bei Soldaten. Nachdem die Pocken ausgerottet sind, sollte man die Variola Viren, die noch in zwei Labors gelagert werden, endgültig vernichten. Weil es keine Pockenviren mehr gibt, besteht keine medizinische Indikation mehr, dagegen zu impfen. Und natürlich gibt es Kontraindikationen bei Impfungen beispielsweise bei schwer immunsupprimierten Personen. Hier soll aber die unmittelbare Umgebung (Betreuungspersonen) geimpft werden – Cocooning Strategie.
Aus welchem Spektrum kommen Impfgegner in den USA, anderen westlichen Ländern wie Österreich oder den Niederlanden? Haben sie weltanschauliche Gemeinsamkeiten und / oder Unterschiede?
Oft sind es weltanschauliche Gründe, so lehnen viele Anthroposophen Impfungen ab. Aber auch Calvinisten im sogenannten „bible belt“ in den Niederlanden. Dort gab es Polioepidemien, Masernausbrüche und schwerste Rötelnembryopathien (Rötelninfektion bei ungeimpften Schwangeren 2004/5; 32 Fälle bei Schwangeren,2 fetale Todesfälle,14 Fälle kongenitaler Infektion teilweise Mehrfachbehinderung, 11 mit Taubheit, 6 Herzkh, 3 Microcephalie, 7 Retardierung). Möglicherweise wurde der religiöse Hintergrund bei Impfgegnern unterschätzt.
Sehr oft werden heute aber weniger die Wirkstoffe (Antigene) von Impfstoffen kritisiert, sondern die Hilfsstoffe. So ist zwar Formaldehyd als Gas ein Karzinogen – beispielsweise beim Einatmen von Auspuffgasen von Otto Motoren oder beim Rauchen. Formaldehyd ist aber auch ein lebenswichtiges Stoffwechselprodukt und der Mensch produziert am Tag etwa 50 Gramm Formaldehyd. Durch eine FSME-Impfung wird der natürliche Formaldehydgehalt des Muskels verdünnt. Dieses Defizit wird aber durch die schnelle Verstoffwechslung in wenigen Minuten wieder aufgefüllt.
Welche Rolle spielen die digitalen Medien bei der Verbreitung von Anti-Impfkampagnen?
Einerseits ist Information und Wissen ja etwas sehr wünschenswertes. Bei Anti-Impfkampagnen (am 6. Mai 2017 gab es in Wien eine Impfgegner-„Großdemonstration“ mit etwa 250 Teilnehmern, es wurde dort auch mitgeteilt, dass es gar keine Masernviren gibt) werden aber regelmäßig Falschinformationen verbreitet. Die Organisatoren sind medial hochaktiv mit Argumenten, die auch wenn sie „fachlich“ erscheinen, dennoch in maximalem Abstand zu wissenschaftlich-medizinischen Fakten stehen. So gibt es u.a. harte Evidenz, dass Impfungen weder multiple Sklerose noch Autismus verursachen.
Welche Folgen hätte es, wenn Impfungen eingestellt würden? Wie sähe eine Welt ohne Impfungen aus?
Man kann sich fragen, wie sieht die Welt mit Impfungen aus? Peru ist seit mehr als 10 Jahren frei von Masern. Gesamtamerika seit 2016. Würde die Masernimpfung jetzt in Österreich eingestellt, wäre in kürzer Zeit jeder neue Geburtsjahrgang mit Masern durchseucht. Also 80.000 Masernfälle pro Jahr mit etwa 80 toten Kindern (Sterblichkeit 1:1000). So wie früher wären die Kinder bis zum 15 Lebensjahr „durchgemasert“. Im Vergleich dazu sterben jährlich durch umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen im Straßenverkehr maximal 10 Kinder dieser Altersgruppe.
Dazu kommt, dass Kinder nach Masern etwa 3 Jahre eine erhöhte Sterblichkeit an Nicht-Masern Infektionen haben, weil das Masernvirus ein „ reset“ des Immunsystems bewirkt.
Es sterben auch mehr Frauen am Gebärmutterhalskarzinom, welches durch Impfung vermeidbar ist, als im Straßenverkehr ums Leben kommen.
Welches Verhältnis haben Anhänger besonders impffeindlicher Weltanschauungen wie Anthroposophen, manche Homöopathen, christliche Fundamentalisten oder pakistanische Taliban generell zur evidenzbasierten Medizin und zur modernen Naturwissenschaft, Physik, Biologie oder Biochemie?
Zumindest ein zwiespältiges, aber immer ein kinderfeindliches Verhältnis. Nach gängigen Definitionen in der Kinderheilkunde sind ungeimpfte Kinder vernachlässigte Kinder, eine Form der Kindesmisshandlung. Es ist völlig unverständlich, warum Eltern ihren Kindern eine medizinische Versorgung nach Stand der Wissenschaft vorenthalten – und dadurch auch noch andere Kinder gefährden – beispielsweise diejenigen, die zu jung für einen Impfschutz sind. Anthroposophen und auch manche Homöopathen glauben an den Sinn von Krankheiten. Nur welchen Sinn soll ein Gebärmutterhalskarzinom verursacht durch HP-Viren, oder ein Herzmuskelschaden durch eine Influenza Infektion haben? Die Evolution kennt keinen Sinn.
Impfgegner sagen, chemische Stoffe bei Impfungen seien gefährlich, Impfungen wären unnatürlich, und wer sich biologisch-natürlich gesund halten will, sollte die Finger davon lassen. Was würden Sie ihnen entgegnen?
Fachlich werden diese Hilfsstoffe ja auch in vielen anderen Arzneimitteln oder Kosmetika und Lebensmitteln verwendet, sie werden von Experten der europäischen oder nationalen Arzneimittelbehörden toxikologisch bewertet und sind unbedenklich. Impfgegner beachten regelmäßig den toxikologischen Grundsatz nicht, dass die Toxizität dosisabhängig ist. Biologisch natürlich sind ja auch extrem potente Toxine, wie das Tetanus-Toxin oder die Diphtherie-Toxine sowie Keuchhusten-Toxine. Diese Toxine können entgiftet werden, so dass die toxische Wirkung entfernt wird und sie zu wirksamen Impfstoffen formuliert werden können.
Warum fürchten Menschen sich vor Impfungen? Auf Internetforen findet sich Vokabular wie „Impfmafia“ bis hin zu „Schulmedizinern, die daran verdienen, Kinder zu vergiften“ etc.. Inwiefern werden hier Ängste geschürt bzw. überhaupt erst gemacht? Gibt es Überschneidungen zu Verschwörungsideologien und Demagogie?
Generell werden Risiken falsch eingeschätzt. Das Risiko an Masern oder Polio zu erkranken ist durch Impfungen drastisch gesunken, die Folgen der Infektion (geistige Retardierung durch Masern, Verkrüppelung durch Polio) tauchen im täglichen Leben nicht mehr auf, dadurch fürchtet man sich bei Impfungen vor Fieber und Lokalreaktionen.
Die Häufigkeit von Impfschäden wird maßlos überschätzt, oft stecken hier auch andere Krankheiten dahinter, die eben zeitlich nach Impfung auftreten, aber nicht ursächlich sind wie zum Beispiel viele Epilepsien.
Impfungen – auch die sehr teuren wie die HPV-Impfung – sind trotzdem kostensparend, weil ja höhere Therapiekosten durch die impfpräventablen Infektionen entfallen. So sparen wir uns seit 37 Jahren sämtliche Therapiekosten und enorm viel menschliches Leid durch die Ausrottung der Pocken. In wenigen Jahren wird Poliomyelitis global ausgerottet sein. Polio gibt es nur mehr wenige Fälle (2017 bis 9.Mai global insgesamt 5 Fälle) in Afghanistan und Pakistan, wo militärische Konflikte Impfkampagnen erschweren und auch religiöse/politische Impfgegner einen Stopp von Impfkampagnen bewirkten.
Und die Impfstoff produzierende Industrie ist ja als einzige auch bestrebt, die Infektionen gegen die Impfstoffe gerichtet sind, global zu eliminieren bzw. zu reduzieren. Das gibt es bei anderen Arzneien nirgends. So gesehen ist der Ausdruck „Impfmafia“ beleidigend und unbegründet. Und gerade Impfgegner behindern durch ihre Aktionen, zunächst die regionale Elimination z. B. bei Polio und Masern und auch später die globale Tilgung dieser Infektionskrankheit – damit wird bewirkt, dass länger geimpft werden muss, weil die globale Eradikation halt länger dauert.
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.