Experten informieren über wichtige Alarmsignale
Nach dem Tod der 29-jährigen Henriette Hömke ist das Thema „Magersucht“ in diesen Tagen wieder verstärkt ins Bewusstsein gerückt. Die ehemalige Partnerin des Schalke-Fußballers Ralf Fährmann war im April während eines Urlaubs an den Folgen der Essstörung gestorben. Magersucht zählt zu den gefährlichsten psychischen Erkrankungen überhaupt – wird jedoch häufig unterschätzt. Experten informieren über die Alarmsignale und geben Tipps, wo Betroffene und Angehörige Hilfe finden können.
Mehr als 8.000 Betroffene in stationärer Behandlung
Die ehemalige „Miss Sachsen“ Henriette Hömke ist mit nur 29 Jahren an den Folgen ihrer jahrelangen Magersucht gestorben. Magersucht (Anorexie bzw. Anorexia nervosa) stellt die am weitesten verbreitete Essstörung in Deutschland dar. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes befanden sich im Jahr 2015 insgesamt 8.079 Patientinnen und Patienten aufgrund von Anorexie in vollstationärer Behandlung.
Große Panik vor Gewichtszunahme
Ein wesentliches Kennzeichen ist es, dass Betroffenen große Angst davor haben, zuzunehmen und dadurch ihr Essen bzw. Nicht-Essen und Gewicht streng kontrollieren. Typisch ist eine so genannte Körperschemastörung: Wer an Anorexie leidet, nimmt den eigenen Körper nicht mehr realistisch wahr. Selbst wer schon deutlich an Gewicht verloren hat, überschätzt den Körperumfang und empfindet sich als zu dick.
Besteht die Erkrankung schon länger, ist der Körper auffallend dünn. Für das massive Abnehmen wird alles getan: weniger gegessen, exzessiv Sport getrieben oder Abführmittel eingenommen, oft auch alles zusammen. Alles dreht sich nur noch um Essen, Gewicht und Figur.
Kalorientabellen werden studiert sowie bestimmte Regeln und Rituale bei der Nahrungsaufnahme eingeführt. Zu Beginn verzichten Betroffene oft nur auf kalorienreiche Lebensmittel, später dann auf ganze Mahlzeiten. Zum Teil wird sogar das Trinken eingestellt, so die Information der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA).
Genetische Veranlagung für Essstörungen
Es gibt einige Persönlichkeitsmerkmale sowie biografische Aspekte, die dabei helfen können, das Risiko für die Entwicklung von Essstörungen wie Anorexia nervosa einzuschätzen. Eine internationale Forschergruppe beispielsweise zeigte kürzlich: Magersucht kann angeboren sein.
Hinzu kommt, dass viele Betroffene einen sehr hohen Anspruch an die eigene Leistung haben. Oft zählen sie zu den Klassenbesten oder sind extrem ehrgeizig im Studium oder Beruf. Sie vergleichen sich ständig mit anderen und zweifeln an sich selbst. Doch auch wenn es im Verlauf der Krankheit immer schwieriger wird, schaffen sie es lange, gute Ergebnisse zu erzielen.
BMI zeigt Grenzen für Untergewicht an
Bei einer Magersucht beträgt das Körpergewicht der bzw. des Betroffenen höchstens 85 Prozent dessen, was aus Expertensicht für das entsprechende Alter und die Größe als „Normalgewicht“ gilt. Dieses ist durch Body-Mass-Index (BMI) definiert, der sich ergibt, wenn das Körpergewicht (in Kilogramm) durch das Quadrat der Körpergröße (m²) dividiert wird. Für Erwachsene gilt der Einstufung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge, dass ab einem BMI von unter 18,5 Untergewicht vorliegt, bei einem Wert unter 16 besteht demnach schweres Untergewicht.
Ärzte müssen bei Kindern genauer hinschauen
Bei Kindern und Jugendlichen sagt der BMI alleine jedoch nicht viel aus. Denn bei ihnen verändern sich Körperbau und -zusammensetzung während des Wachstums. Mal wachsen sie in die Höhe, dann wieder eher in die Breite, zudem verteilen sich die Muskel- und Fettanteile im Zuge der Entwicklung bei Jungen und Mädchen unterschiedlich. Da ein niedriges Körpergewicht hier allein nicht viel aussagt, müssen Mediziner bei jungen Patienten anhand von Wachstumskurven genauer prüfen, ob eine Anorexie vorliegt.
Massive körperliche und seelische Folgen
Die organischen und seelischen Folgen der Magersucht können gravierend sein. Je jünger der/die Betroffene ist, je weniger er/sie wiegt und je schneller das Gewicht abfällt, desto massiver sind die Auswirkungen. Oft treten Herz-Kreislauf-Störungen wie niedriger Blutdruck und ein Abfall der Körpertemperatur auf. Betroffenen frieren schnell, die Haut wird spröde und erscheint bläulich. Auch brüchige Nägel, Wassereinlagerungen und ein feiner Haarflaum an Rücken, Armen und im Gesicht (Lanugobehaarung) sind typsich.
Aufgrund hormoneller Veränderungen bleibt bei Mädchen oft die Regelblutung aus. Bei Jungen und Männern können Potenzstörungen auftreten. Möglich sind weiterhin Wachstumsstörungen durch den Abbau der Muskelmasse bei Kindern und Jugendlichen, Osteoporose, Magen- und Darmbeschwerden, brüchige Zähne, Verstopfungen und Blähungen.
Betroffene geraten in Teufelskreis
Von Magersucht Betroffene verfolgen die Annahme, durch den Gewichtsverlust eine Aufwertung zu erleben, „perfekter“ zu sein und mehr Liebe, Aufmerksamkeit und Anerkennung zu bekommen. Dieses Denken verselbstständigt sich im Verlauf der Erkrankung, die Sucht nach dem Dünnsein wird immer stärker und die Betroffenen geraten in einen Teufelskreis: Bleibt die gewünschte positive Reaktion auf das Abnehmen aus, wird versucht diese durch weiteres Hungern zu erhalten. Jedes Gramm, das wieder dazu kommt, führt zu Angst und Panikattacken.
Betroffene brauchen psychotherapeutische Hilfe
Aus eigener Kraft lässt sich dieser Teufelskreis nicht mehr durchbrechen, die Betroffenen benötigen schnellstmöglich psychotherapeutische Hilfe. Hier sollte keine Zeit verloren werden, denn Anorexie ist eine der gefährlichsten psychischen Krankheiten überhaupt. Bei bis zu 20 Prozent der Betroffenen endet die Sucht danach, dünn zu sein, tödlich. Der Kampf gegen die Krankheit dauert oft viele Jahre, je früher die Behandlung beginnt, desto besser sind die Chancen auf eine günstige Prognose.
Vertrauen aufbauen und nicht kritisieren
Bei Verdacht auf eine Magersucht, raten die Experten der BZgA Eltern und Freunden, vorsichtig und mit Bedacht vorzugehen. So sollten Sie Kritik am Essverhalten und der Figur vermeiden und keine Selbst-Diagnose stellen, denn starker Gewichtsverlust kann auch organische Ursachen wie z.B. eine Schilddrüsenüberfunktion haben, erläutert die BZgA. Dementsprechend sollten Eltern mit ihrem Kind möglichst frühzeitig eine ärztliche Praxis aufsuchen. Wichtig sei es, keinen Druck auszuüben, sondern Vertrauen aufzubauen, das Kind zu beobachten und im Gespräch zu bleiben.
Angehörige oder Freunde sollten versuchen, den Betroffenen zu motivieren, sich selbst professionelle Hilfe zu suchen, rät die BZgA. Eltern könnten beispielsweise ihren Kindern die Wahl des Arztes überlassen, ab der Volljährigkeit sollten diese selbst entscheiden, ob sie alleine oder in Begleitung in die Sprechstunde gehen wollen. (nr)
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.