Engel, Geister und Dämonen, Magie und Mystik finden sich in Buchläden in zwei Bereichen: Fantasy und Esoterik. Letztere verwechseln manche mit Naturheilkunde, obwohl es sich weder um Natur, noch um Heilkunde handelt. Tom Finn ist Fantasy-Autor und zugleich ein Kritiker von Homöopathie, Pseudomedizin wie Esoterik. Dr. Utz Anhalt interviewte ihn zu dem Unterschied zwischen erzählerischer Fiktion und esoterischen Heilslehren.
Tom, du bist Drehbuch-, Roman-, Spiel- und Theaterautor. Außerdem warst du Chefredakteur der „Nautilus-Magazin für Abenteuer & Phantastik“. Mit anderen Worten: Du hast die Technik und das Handwerk der Fiktion durchgearbeitet. Worauf sollte ein Autor achten, um die Leser zu fesseln?
Er sollte sich vor allem als guter Erzähler und guter Unterhalter verstehen. Dazu zählt es, das Interesse des Lesers mit jeder Szene, mit jedem Kapitel immer wieder neu zu entfachen.
In einem fantastisch angelegten Setting gibt es generell drei Möglichkeiten, es aufzulösen: Explained Supernatural, also eine rationale Erklärung am Ende für vermeintlich Übernatürliches. Die wählst du in „Dark Woods“. Nachdem du den deutschen Einfall in Norwegen im zweiten Weltkrieg, die Berserker der Wikinger und die Mythen über Trolle durchzitiert hast, kommst du zu einem rationalen Ende.
Eine klassische fantastische Geschichte kann aber auch offenbleiben. Weder Leser noch Protagonist wissen am Ende, ob die großen Augen nachts vor dem Fenster wirklich nur einer Katze gehörten, und das mysteriöse Kratzen beginnt von vorn.
Oder aber, der Autor entscheidet sich für eine fantastische Entwicklung, wie Du in Aquarius. Meerjungfrauen, Einhörner oder Drachen gibt es wirklich. Worauf achtest du, damit auch ein fantastischer Plot glaubwürdig, also in sich logisch erscheint?
Zunächst einmal: beide Wege funktionieren. Und für beide Wege benötigt man schlicht eine bestechende Idee, die jeweils zu der jeweiligen Erzählung passt. Denk an Richard Crichtons Jurassic Park. Die Idee, Dino-Gene aus dem Blut von prähistorischen und in Bernstein eingeschlossenen Mücken zu ziehen, ist so cool, dass die Methode in Kombination mit der Klontechnik einfach nach einer guten Geschichte schrie – und das ohne, dass sie allzu phantastisch erscheint. Für die Horrorthematik in „Dark Wood“ standen ebenfalls griffige Vorbilder Pate (die ich hier aber nicht verraten werde) – nur eben in der Insektenwelt. Der Sprung zu höher entwickelten Lebewesen wie dem Menschen ist da leicht gemacht. Bei „Aquarius“ habe ich nicht ohne Grund die ganz real existierende Wasseraffen-Theorie erwähnt, die eine mögliche Erklärung für Sirenen und Meerjungfrauen im Hier und jetzt böte. Solche Einbezüge machen einen phantastischen Thriller – zumindest meiner Ansicht nach – glaubwürdiger, da sie die Geschichte näher an die Wirklichkeit heranziehen. Davon ab, wirkt eine Geschichte immer dann glaubwürdig, wenn du deine Figuren auch glaubwürdig handeln lässt.
Wer sich bei Homöopathie-Fans, „alternativen“ Impfkritikern, Engelsheilern oder Wünschelrutengängern umsieht, der findet oft neben den Heillehren Romane von Marion Zimmer Bradley oder Harry Potter. Woran liegt das? Können Sie Fantasy nicht von Wissenschaft unterscheiden?
Ist das so? Vielleicht wissen sie bloß, ebenso wie Atheisten und wissenschaftlich denkende Menschen auch, gute Geschichten zu schätzen? Harry Potter zum Beispiel zähle auch ich als Agnostiker und sehr der Wissenschaft verpflichteter Mensch zur unbedingten Pflichtlektüre. Das ist schlicht eine in vielerlei Hinsicht gut und glaubwürdig konstruierte Geschichte, die Spaß macht. Man muss kein Impf-Gegner sein oder an die Wundertätigkeit von Zuckerkügelchen glauben, um sich an der Phantastik erfreuen zu können. Täte ich das, müsste ich mit der gleichen Logik PC Action-Shooter ablehnen, nur weil man bei vielen Amokläufern genau diese Spiele zuhause entdeckt hat. Mit solchen Erklärungsmustern macht man es sich aber zu einfach. By the way: Du wirst bei Impfgegnern auch Erdbeermarmelade im Kühlschrank finden. Heißt das nun, dass der Genuss von Erdbeermarmelade unkritisch macht?
In der Geschichte der fantastischen Literatur gab es sowohl Autoren, die an ihre übernatürlichen Figuren glaubten, zum Beispiel Algernon Blackwood, wie auch knallharte „Handwerker“, die ihre „dunklen Götter“ bewusst einsetzten, um Horror zu erzeugen, aber selbst nicht an Geister oder Dämonen glaubten, wie H.P. Lovecraft. Wie sieht das heute bei fantastischen Autoren aus?
Spinner und Esoteriker gibt es vermutlich immer und überall. Dass der eine oder andere von ihnen auch noch schreibt, lässt sich nicht verhindern. Von den mir bekannten Kollegen glaubt jedenfalls niemand real an Geister und Dämonen. Die sind in der Regel alle sehr bodenständig. Dass die erfolgreichsten Vertreter meines Genres – im Gegenteil – damit beschäftigt sind, sehr aktiv gegen ganz reale ‚Dämonen’ anzugehen, das kann man zum Beispiel auf dem Twitteraccount von J.K. Rowling nachlesen. Dass die Phantastik als erzählerisches Element so beliebt ist, liegt schlicht daran, da sie in uns allen das Unterbewusste aktiviert – und das ist eben sehr archaisch. Denn nur, weil dir jeder sagt, dass im Keller keine Monster lauern, heißt es ja noch lange nicht, dass es diese nicht doch geben könnte. Erzählen können davon ja nur jene, die nicht gefressen wurden.
Hast du selbst Erfahrungen gesammelt mit Lesern, die nahtlos von Fantasy-Lektüre zu Esoterik übergingen?
Nein, ich kenne persönliche keinen einzigen. Was aber nicht ausschließt, dass es solche Leser vermutlich gibt. Dann aber vermutlich im gleichen Maß, wie jene sehr wissenschaftsaffinen Leser, die die Phantastik rein zum Vergnügen lesen. Das seltsamste Erlebnis, das ich hatte, fand übrigens 2004 auf der Leipziger Buchmesse statt. Dort wurde mir während einer Lesung vor 100 Leuten das Mikrophon von einer Gruppe strenggläubiger Christinnen entrissen, die dann eine mahnende Rede hielten, die darauf abzielte, dass jedwede phantastische Literatur ein Werk des Teufels sei. Seitdem tendiere ich zu der Ansicht, dass Leser der Phantastik – im Gegenteil – über ein erheblich größeres Abstraktionsniveau verfügen, als so manch anderer, der seine phantastischen Geschichten allein einem Buch entnimmt.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Boom an esoterischen „Seminaren“, Pseudomedizin etc. und dem gleichzeitigen immer größeren Markt für Fantasy-Literatur?
Die Leidenschaft für Fantasy hat selbst bei den sogenannten Cosplayern, die auf Szeneevents gern verkleidet wie ihre liebsten Comic- oder Filmfiguren auftreten, eher Ähnlichkeit mit der Leidenschaft für gutes Essen denn mit dem Besuch einer Kirche oder einer Moschee. Dazwischen liegt ein feiner aber sehr relevanter Unterschied. Ob es nun einen Zusammenhang zwischen dem Boom an Esoterikseminaren und dem Markt der Fantasyliteratur gibt, vermag ich nicht zu sagen. Ersteres müsste überhaupt erst einmal belegt werden, also: ob es überhaupt einen Boom an Esoterikseminaren gibt. Ich bin zwar ebenfalls schon über Szenezeitschriften gestoßen, in denen solchen Seminare angeboten wurden – nur heißt das noch nicht, dass diese auch genug Besucher anlocken, damit die Betreiber davon leben könnten. Angebot sollte also nicht mit Nachfrage verwechselt werden, nur weil irgendjemand glaubt, damit die schnelle Mark machen zu können. Ähnlich könnte ich sonst auch versuchen zu belegen, dass zeitgleich mit dem verstärkten Angebot von esoterischen Seminaren auch die Aktivitäten des IS im Irak/in Syrien stärker wurden, der Absatz an Dieselfahrzeugen zurückging oder die Polkappen stärker abschmolzen.
Der Boom der phantastischen Literatur in Deutschland wurde vornehmlich durch zwei sich gegenseitig verstärkende Effekte ausgelöst: zum einem durch die gute zehn Jahre anhaltende Begeisterung für die Buchreihe „Harry Potter, zum anderen durch die gleichzeitig erfolgte, spektakuläre Verfilmung des „Herrn der Ringe“. Dass viele Menschen – völlig unabhängig von ihrem Lesegeschmack – einen Halt in der Spiritualität suchen, ist hingegen nichts Neues. Nur befinden sich die institutionellen Religionen in Deutschland allgemein schon länger auf dem Rückzug und hinterlassen so bei vielen eine spirituelle Lücke. Und diese Lücke füllen einige Menschen eben damit, dass sie sich gewissermaßen ihren Privatglauben zusammenzimmern. Ein bisschen Wikka hier, ein bisschen Buddhismus da – und aus dem Christentum noch das, was einem immer am besten gemundet hat. Fertig.
Hinzu kommt, dass viele Menschen durch die heutige Informationsflut völlig überfordert sind. Sie können Fakten von den sogenannten „alternativen Fakten“ (sprich: Lügen) schlicht nicht mehr auseinanderhalten. Die Neigung, sich aus Bequemlichkeit oder Überforderung auf einfachste Heilslehren und Denkgebäude zurückzuziehen, ist daher bei vielen Menschen beobachtbar. Der Erfolg der AfD erklärt sich damit ebenso, wie jener, die die Anbieter von esoterischen Seminaren oder Globuli haben. Ob aber nun ausgerechnet diese Menschen auch noch lesen, allzumal so dicke Bücher, wie sie sie Phantastik zuweilen hervorbringt, wage ich doch mal deutlich zu bezweifeln. Lesen gehört schließlich nachweislich nicht zu ihren Primärkompetenzen.
Was sind deine Kritikpunkte an Homöopathie?
Einfach alles. Homöopathie ist erwiesenermaßen über den Placebo-Effekt hinaus komplett wirkungslos, basiert auf völlig unsinnigen Annahmen und ist schlichtweg eine Beleidigung für all jene, die ihren Intellekt bemühen. Am Schlimmsten ist, dass die Krankenkassen – und damit auch all jene, die den Unsinn ablehnen – Globuli mitfinanzieren. Und das rein aus Konkurrenzgründen. Das betrifft allein in Deutschland im Jahr 2014 einen Umsatz von 528 Millionen Euro. Würde man homöopathische Mittel endlich aus den Apotheken verbannen und sie vielmehr dort verkaufen, wohin sie eigentlich gehören, nämlich in die Süßwarenregale, dann würde der Wahn vermutlich rasch abklingen. Denn allein der Umstand, dass Globuli derzeit nur in Apotheken verkauft werden, adelt die Zuckerkügelchen unbotmäßig.
Dient fantastische Literatur der reinen Unterhaltung, oder lässt sie sich auch therapeutisch nutzen, zum Beispiel bei Angststörungen?
Nun, Letzteres schließe ich nicht aus. Zumindest nicht, wenn es sich um eine Geschichte mit „Wohlfühlfaktor“ handelt. Ebenso wie jede Form von leichten und romantischen Geschichten. Man sollte besser nicht vergessen, dass viele Fantasy-Geschichten heutiger Prägung eher hart, dreckig und blutig sind. Also weniger „Die unendliche Geschichte“ dafür weit mehr „Game of thrones“ – und speziell Letzteres ist Lektüre, die ich bei Angststörungen eher nicht empfehlen würde. Kurz: Die Phantastik als Erzählform ist derart komplex, dass man dieses Genre nicht einfach über einen Kamm scheren darf. Die Leser schätzen die Phantastik – übrigens ebenso wie die Science Fiction – vielmehr deswegen, weil sie die Schöpfung neuer Welten ermöglicht. H.G. Wells (u.a. Krieg der Welten, Die Zeitmaschine) und Gene Roddenberry (Schöpfer von Star Trek) sind ebenfalls Phantastik-Autoren, und gerade diese beiden haben ganze Wissenschaftlergenerationen inspiriert.
Trennst du fiktive Literatur strikt von der Wirklichkeit oder nutzt du sie auch, um in einem anderen Rahmen kritisch über die Gesellschaft zu schreiben?
Wenn sich Letzteres im Rahmen einer Geschichte anbietet, dann tue ich das. Zuletzt bei „Dark Wood“, das ja nebenbei das Unwesen von TV Reality-Shows aufs Korn nimmt. Davon ab lasse ich mich rein von den Erfordernissen der jeweiligen Geschichte leiten. Manchmal passt dort ein kritischer Ansatz, manchmal wirkt dieser bloß aufgesetzt – und dann lasse ich es.
Ein Kritiker schreibt: „Homöopathie ist wie Onkel Doktor Spiele für Erwachsene – man bekommt „echte“ Arzneimittel aus „echten“ Apotheken mit „echt“ klingenden Namen (auch wenn es wie im Spiel am Ende immer die gleichen Zuckerpillen sind) und um mitzuspielen braucht man nicht mühsam erst einmal Medizin zu studieren und Unmengen an Spielregeln auswendig zu lernen – nein jeder der an das Spiel glaubt, darf auch mitspielen – und wenn er will, auch seine eigenen Spielregeln erfinden. Irgendwelche Belege für den Sinn der ausgedachten Spielregeln werden i.A. von den Mitspielern nicht verlangt – erlaubt ist was gefällt.“ Lässt sich der Glaube an Globuli, und das Einnehmen von „fantasievollen“ Mitteln mit einem Fantasy-Spiel vergleichen?
Du meinst die sogenannten Fantasy-Rollenspiele, bei denen die Mitspieler schauspielerisch in die Rollen von Privatdetektiven, Jedi-Rittern oder Elfen schlüpfen? In diesem Fall lautet die Antwort: Nein. Denn das Regelkorsett dieser Spiele umfasst oft mehrere Bände – was das willkürliche „Erfinden“ von neuen Regeln schon einmal ausschließt. Und diese Regeln dienen nicht zur Selbstbeschau, sondern zur Bewältigung erzählerischer Situationen, die erzählerisch nur willkürlich gelöst werden könnten. Etwa, ob es der Spielerfigur gelingt, mit einem Dietrich ein Schloss aufzubekommen, ob sie es schafft, unbehelligt auf dem Dachfirst zu balancieren etc.. Menschen, die hier glauben, ihre eigenen Regeln einbringen zu können, sind rasch isoliert. Umgekehrt wird daraus ein Schuh. Echte Medizin muss sich – um sich so nennen zu dürfen – einem strengen Regularium unterwerfen, das dazu dient, zu beweisen, dass die Therapiemethode auch wirkt. Insofern ist jedes Heilmittel, das wirkt, echte Medizin. Jene Anbieter von Mitteln, die dieses Regularium – meist aus sehr guten Gründen – ablehnen oder verweigern, nennen ihre Methoden dann „alternative Medizin“. Es handelt sich dabei um das gleiche Prinzip wie bei „alternativen Fakten.“ Die haben mit echten Fakten ebenfalls nichts zu tun – und einer Überprüfung halten sie auch nicht stand.
Hat ein Arzt oder Heilpraktiker das gleiche Recht, eine fantasievolle Geschichte über die Wirkung von Zuckerkügelchen zu entwerfen wie ein fiktiver Autor?
Wir leben in einer freien Gesellschaft. Wer sollte das verhindern? Werbung ganz allgemein lebt vom ‚Storytelling’. Das muss mir nicht gefallen, aber so lange man den Beteiligten nicht nachweisen kann, dass sie bewusst echte Lügen verbreiten, muss ich das hinnehmen. Das Problem ist, dass ein guter Schamane natürlich ordentliches Brimborium entfalten muss, um so die Selbstheilungskräfte des Patienten zu wecken. Placebos funktionieren ganz ähnlich. Vielleicht reicht es schon, wenn die hiesigen Hersteller von homöopathischen Produkten ebenso wie in den USA dazu gezwungen werden, auf jede einzelne Packung draufzuschreiben, dass das Mittel wirkungslos ist.
Manche Befürworter der Homöopathie behaupten, die Globuli würden zumindest nicht schaden. Stimmt das?
Nein, das stimmt natürlich nicht. Die Produkte selbst können in großen Mengen zwar nur Leuten mit Zuckerunverträglichkeit schaden, aber die eigentliche Gefahr, die von ihnen ausgeht, ist eine andere: Nämlich wenn sie oder jene, die sie verschreiben oder anwenden, dafür sorgen, dass bedürftigen Patienten eine richtige Behandlung verwehrt wird. Das hatten wir ja gerade jüngst mit dem Fall jenes Jungen, der an einer Mittelohrentzündung starb, weil ihm seine Eltern bloß Globuli gaben statt wirksamer Medikamente. Homöopathische Mittel schaden aber auch uns anderen in zweierlei Weise: Zum einen blähen sie die Kosten unser aller Krankenkassenbeiträge auf, zum anderen unterminieren die Anstrengungen der Homöopathenlobby jede Wissenschaftlichkeit. Wenn aber nicht mehr die Vernunft unser Handeln leitet, wohin wird diese Denke dann gesellschaftlich führen?
Interviewpartner:
Thomas Finn
Schriftsteller, Spiele-, Theater- und Drehbuchautor
Autoren- und Quelleninformationen
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Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.