Ausweitung der Masernwelle auf andere Regionen befürchtet
24.03.2015
Die Masernwelle in Berlin zieht immer weiterer Kreise und könnte nach Einschätzung von Experten auch auf andere Regionen Deutschlands überspringen. Weiterhin seien 15 Neuerkrankungen pro Tag zu verzeichnen und der lückenhaft Impfschutz begünstige die Ausbreitung der Infektionskrankheit, warnt Professor Hartmut Hengel, wissenschaftlicher Beirat der Arbeitsgemeinschaft Masern am Robert Koch-Institut (RKI) gegenüber der Nachrichtenagentur „dpa“.
Der derzeitige Masernausbruch in Berlin begann bereits im Oktober 2014, wobei zunächst laut Angaben des RKI vornehmlich Asylsuchende aus Bosnien, Herzegowina und Serbien betroffen waren, die über keinen ausreichenden Impfschutz verfügten. In der weiteren Folge seien die neuen Erkrankungsfälle allerdings überwiegend in der übrigen Berliner Bevölkerung aufgetreten, wobei auch hier der lückenhafte Impfschutz vom RKI als maßgebliche Ursache für die Ausbreitung genannt wird. Nun befürchten die Experten angesichts der weiterhin hohen Infektionszahlen ein Übergreifen der Masernwelle auf andere Regionen. „Es ist beängstigend, wie lange der Ausbruch auf diesem hohen Niveau anhält“, so Professor Hengel, Leiter des Instituts für Virologie an der Freiburger Albert-Ludwigs-Universität, gegenüber der „dpa“.
Impflücken und Defizite in den hausärztlichen Versorgungsstrukturen
Seit Beginn der Masernwelle in Berlin im Oktober 2014 haben sich laut Angaben des RKI bereits 866 Menschen in der Hauptstadt infiziert. Zwar gelten die Masern als vermeintliche Kinderkrankheit, doch tatsächlich waren bisher die meisten Infektionen bei Erwachsenen festzustellen. Ein Kleinkind verstarb an den Folgen der Infektion und ein Viertel der Infizierten musste im Krankenhaus behandelt werden. Vor allem die bestehenden Impflücken macht Hengel für die Masernwelle in Berlin verantwortlich. Laut Angaben der „Ärzte Zeitung“ unter Berufung auf die Analyse der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1) sind bundesweit jeder fünfte 18- bis 29-Jährige und jeder zweite 30- bis 39-Jährige nicht gegen Masern geimpft. Darüber hinaus spielen nach Einschätzung von Hengel allerdings auch Defizite in der Gesundheitspolitik und in den hausärztlichen Versorgungsstrukturen bei der rasanten Ausbreitung der Masern in Berlin eine Rolle. Beispielweise hätten die Ärzte „keine Tradition bei Catch-up-Impfungen, mit denen man systematisch Impflücken schließt“, so der Experte. Zudem werde die Verantwortung für sich selbst und andere möglicherweise noch nicht ausreichend kommuniziert.
Virus trifft auf empfängliche Menschen
Dem Fachmann des RKI zufolge ist der aktuelle Masernausbruch in Berlin einer der größten Ausbrüche in Deutschland der vergangenen zehn Jahre. Offensichtlich finde das Virus in Berlin „beständig empfängliche Menschen vor“, so Hengel. Für die Berliner Gesundheitsbehörden herrscht hier derzeit höchste Alarmstufe und es wurden bereits Schulschließungen sowie Schulverbote für ungeimpfte Kinder veranlasst. Um auch kleine Kinder zu schützen, hat der Impfbeirat zu einer Impfung der Babys schon im Alter von neun Monaten aufgerufen. Bisher galten elf Monate als Mindestalter, was für Babys ein erhöhtes Infektionsrisiko mit sich bringt. Wer ein Baby auf den Arm nimmt, muss gegen Masern geschützt sein, mahnen daher die Experten. Zwar können die Mütter eine gewisse Immunität als sogenannten Nestschutz an ihre Kinder weitergeben, doch dies funktioniert nur über einen begrenzten Zeitraum und die Mütter müssen zudem über ausreichend Antikörper verfügen – das heißt, selber geimpft sein oder die Masern durchlebt haben.
Babys auf hohe Impfquote im Umfeld angewiesen
In Berlin betrifft derzeit rund jede zehnte Maserninfektion ein Kind im ersten Lebensjahr, wobei hier frühestens ab dem neunten Monat mit einer Impfung vorgebeugt werden kann. So rät der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte Eltern in Berlin seit Wochen, mit ihren Säuglingen die Öffentlichkeit aufgrund der hohen Ansteckungsgefahr zu meiden. Die Kleinen sind auf eine hohe Impfquote in ihrem Umfeld angewiesen, um eine Übertragung der Erreger von vornherein zu vermeiden. Fehlender Impfschutz ist ein drängendes Problem, auch weil es um den Schutz von anderen wie beispielsweise nicht geimpften Kindern gehe, so Hengel. Zudem lasse sich nur durch ausreichend hohe Impfquoten eine Ausrottung der Masern erreichen.
Ausbreitung auf weitere Regionen durch Reisende
Die Konsequenzen des fehlenden Impfschutzes erläutert der Experte anhand des Beispiel eines Vaters, der aus Freiburg stammt und für einen Tag auf Geschäftsreise in Berlin war. Dieser hatte keine Kenntnis von dem Masernausbruch und wusste auch nicht, dass er selbst nicht geimpft war, so Hengel. Der Mann habe sich infiziert und anschließend zuhause andere Familienmitglieder angesteckt. Auf vergleichbarem Wege könnte sich die aktuelle Masernwelle von Berlin aus auf andere Regionen Deutschlands ausweiten. Daher sollten alle Erwachsenen ohne Masernschutz unbedingt eine Impfung erhalten, so Hengel. Die bestehenden Impflücken in allen Bevölkerungs- und Altersschichten müssten geschlossen werden. Allerdings hält der Virologe einen Impfzwang für eher kontraproduktiv. Hengel hofft, dass aus dem Berliner Ausbruch die richtigen Lehren gezogen werden und auch ohne Einführung einer Impfpflicht die Lücken des Impfschutzes abgebaut werden können. (fp)
>Bild: Hans R. Gelderblom, Freya Kaulbars. Kolorierung: Andrea Schnartendorff/RKI
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