Entwicklung der Kinder kann mit gezielter Förderung positiv beeinflusst werden
19.03.2015
Kinder mit Trisomie 21 bzw. dem „Down-Syndrom“ entwickeln sich normalerweise langsamer als Gleichaltrige. Das Tempo ist dabei ganz individuell und schwer vorauszusehen. Dennoch können Eltern mit gezielten Übungen wie Physiotherapie und durch eine gute Integration in die Familie und das Umfeld die Entwicklung positiv beeinflussen. Gegenüber der Nachrichtenagentur „dpa“ informieren Experten und Betroffene über die Erkrankung und geben wertvolle Tipps für das tägliche Zusammenleben. Entscheidend sei dabei vor allem, die betroffenen Kinder nicht zu unterschätzen, sondern ihnen stattdessen mehr zuzutrauen, so die Elzbieta Szczebak vom Deutschen Down-Syndrom InfoCenter.
Down-Syndrom vor der Geburt nur durch risikobehafteten invasiven Eingriff sicher zu diagnostizieren
Die Diagnose Down-Syndrom ist für die Eltern meist ein Schock. Häufig erfahren die Betroffenen erst nach der Geburt von dem genetischen Defekt ihres Kindes. Denn während der Schwangerschaft können die gängigen Untersuchungsmethoden lediglich Hinweise, auf eine möglicherweise bestehende Trisomie 21 geben. Nur mittels Amniozentese (Fruchtwasseruntersuchung), Chorionzottenbiopsie oder seltener Cordozentese (Nabelschnurpunktion) kann eine gesicherte Diagnose gestellt werden. Diese Untersuchungen beinhalten jedoch einen invasiven Eingriff, der mit einem jeweils unterschiedlich hohen Risiko für eingriffsbedingte Fehlgeburten einhergeht, weshalb sich viele Eltern dagegen entscheiden.
Die Eltern des kleinen Ariel erfuhren erst drei Tage nach seiner Geburt, dass das Kind von dem Genommutation betroffen ist. Bei den Routineuntersuchungen während der Schwangerschaft hatten die Ärzte nichts, was auf Trisomie 21 hingedeutete, festgestellt. Weiterführende Untersuchungen wurden deshalb nicht gemacht. „Wir haben überhaupt nicht damit gerechnet", erzählt der Vater des Jungen, Marco Baré, der Nachrichtenagentur. Durch die Diagnose sei aber auch nicht die Welt zusammengebrochen. Über seinen heute vierjährigen Sohn sagt er: „Er fordert einen voll. Aber er ist nicht anders als andere Kinder. Nur entwicklungsverzögert."
Downsyndrom entsteht durch eine Genommutation
Bei Kindern mit Down-Syndrom ist eine Genommutation für eine unregelmäßige Verteilung der Chromosomen bei der Zellteilung verantwortlich. Normalerweise enthalten die menschlichen Zellen 23 Chromosomen in doppelter Ausführung, so dass insgesamt 46 Chromosomen vorhanden sind. Bei der sogenannten Trisomie 21 ist das Chromosom 21 in jeder Körperzelle dreimal statt nur zweimal vorhanden, so dass Kinder mit Down-Syndrom insgesamt 47 Chromosomen haben. Es handelt sich nicht um eine Krankheit oder einen erblichen Gendefekt, erläutert Gerhard Hammersen, verantwortlicher Arzt der Down-Syndrom-Sprechstunde an der Cnopf’schen Kinderklinik Nürnberg, gegenüber der Nachrichtenagentur.
Als Ariel zur Welt kam hatte er einen für das Down-Syndrom typischen Herzfehler, der die Ärzte auf die richtige Spur führte. Als er fünf Monate alt war, wurde er am Herzen operiert. Der angeborenen Herzfehler tritt bei etwa 40 Prozent der Babys mit Down-Syndrom auf. Der Grad der Schwere variiert dabei stark. Typischerweise haben die Kinder eine komplexe Herzfehlbildung mit einem gemeinsamen Loch zwischen beiden Herzvorhöfen und -kammern (atrio-ventrikulärer Septumdefekt). „Hierdurch sind die Kinder in den ersten Lebensmonaten in ihrer Entwicklung und Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt, manchen bleibt nur die Kraft zum Atmen und Trinken." Meist könne man den kleinen Patienten mit einer Operation aber sehr gut helfen, so Hammersen.
Down-Syndrom verursacht Entwicklungsverzögerungen in unterschiedlicher Ausprägung
Wie stark Kinder mit Down-Syndrom durch die Genommutation in ihrer Entwicklung beeinträchtigt sind, stellt sich erst im Laufe der ersten Lebensjahre heraus. Tests vor der Geburt, können den Schweregrad nicht bestimmen, betont Elzbieta Szczebak vom Deutschen Down-Syndrom InfoCenter im Gespräch mit der Nachrichtenagentur. Auch die sichtbaren Merkmale des Down-Syndroms wie die schräg gestellten Augen, das recht breite Gesicht, die kurze Nase und die charakteristischen Veränderungen der Hände geben keinen Aufschluss über die Schwere der Beeinträchtigung.
Da die meisten Kinder, die von Trisomie 21 betroffen sind, eine schwache Muskelspannung haben, ist es ratsam, frühestmöglich mit Physiotherapie zu beginnen. Denn vielen Babys fällt sogar das Trinken schwer, weil ihre Gesichtsmuskulatur zu schlaff ist. Durch die Physiotherapie kann die allgemeine Entwicklung der Kinder unterstützt werden. Gleichzeitig beugen die Übungen den typischen Fehlentwicklungen bei Trisomie 21 vor. „Die Beschleunigung der motorischen Entwicklung – zum Beispiel das Erlernen des Sitzens, Krabbelns, Stehens und Laufens – ist nicht das Ziel", erläutert Hammersen. „Es geht vielmehr darum, dass die Kinder es richtig und gut lernen." Dabei seien auch die Eltern gefordert, denn die physiotherapeutischen Übungen sollten auch zu Hause täglich durchgeführt werden.
Wie Ariels Vater berichtet, kann der Junge seit zwei Jahren laufen und beginnt gerade zu sprechen.
„Man muss genau hinhören.“ So sei Papa nur Pa und Auto nur Au. Ariel nutze die Gebärden unterstützte Kommunikation (GuK), erzählt Baré weiter. Wichtige Begriffe werden dabei zunächst mit Gebärden dargestellt.
Ansätze wie die Gabe von Medikamenten, Vitaminen, Spurenelementen oder die gezielte, individuelle Nahrungsmittelergänzung (Targeted Nutritional Intervention, TNI), um die Beeinträchtigungen durch das Down-Syndrom zu reduzieren, seien nicht erfolgreich gewesen, so Hammersen. „All diese Maßnahmen haben sich als nicht effektiv erwiesen und konnten die Entwicklung der Kinder nicht positiv beeinflussen. Letztlich sind sie nicht hilfreich und können nicht empfohlen werden."
Kinder mit Down-Syndrom nicht unterschätzen
Die meisten Kinder mit Down-Syndrom haben eine sehr offene, freundliche Persönlichkeit. Es fällt ihnen leicht, auf andere Menschen zuzugehen. „Ariel hat kein Problem damit, sich von seinen Eltern abzusetzen", erzählt Baré. Er sei offen gegenüber Fremden und mache keinen Unterschied, wer sein Gegenüber ist. „Bei einem Vierjährigen finden viele das niedlich. Aber mit 12, 13 finden die Leute das sicher nicht mehr lustig", sorgt sich der Vater. Deshalb versuche er, seinem Sohn, sowohl Nähe zu zulassen als auch Distanz zu halten, beizubringen.
Szczebak betont, dass es wichtig sei, Kinder mit Down-Syndrom nicht zu unterschätzen. „Ihnen mehr zutrauen, ist nicht verkehrt. Im Gegenteil", erläutert sie. Zudem sollten sie gut in die Familie integriert werden und Kontakt zu Gleichaltrigen haben. Das komme ihrer Entwicklung sehr zugute. Manchmal benötige das etwas Zeit, weil Eltern am Anfang häufig überfordert seien mit der Situation, berichtet Szczebak weiter. Betroffene könnten sich an Selbsthilfegruppe wenden und Frühförderstellen mit ihren Kindern aufsuchen. Für Baré ist eines besonders wichtig: „Man muss einfach gerne Vater oder Mutter sein und selbst zum Fachmann werden.“ (ag)
>Bild: Andreas Bohnenstengel, Wiki
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