Leistungsdruck führt immer häufiger zu Überlastung und Erschöpfung
12.03.2015
Chronischer Stress, Überforderung, Existenzängste oder dauerhafte Konflikte am Arbeitsplatz: Immer mehr Menschen erkranken an einem so genannten „Burn-out-Syndrom“, welches durch eine massive emotionale Erschöpfung und das Gefühl, innerlich „ausgebrannt“ zu sein, gekennzeichnet ist. Doch das „Ausgebranntsein“ betrifft nicht nur Erwachsene, stattdessen leiden auch Kinder schon unter Leistungsdruck und ständiger Überforderung. Dementsprechend raten Experten immer wieder, Veränderungen bei Schülerinnen und Schülern unbedingt ernst zu nehmen.
Leitungsdruck schon in der Grundschule
Schule bis 15 Uhr, danach direkt nach Hause und wieder an den Schreibtisch, um die Hausaufgaben zu erledigen oder stundenlang für eine Klassenarbeit zu lernen. Für viele Schüler ein normales und alltägliches Szenario, mit nur einem Ziel vor Augen: Beste Noten, alles unter einem „sehr gut“ wird selbst nicht akzeptiert. In der Folge bleibt kaum Zeit und Energie für andere Aktivitäten wie Verabredungen mit Freunden, Spaß beim Fußball oder einfach mal „nichts Tun“. Was zunächst nach Disziplin und Fleiß aussieht, entpuppt sich bei näherem Hinsehen jedoch oft als Problem, denn immer häufiger gehen schon junge Schüler bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit – oder sogar darüber hinaus. Das bleibt nicht folgenlos, stattdessen kommt es zu einer dauerhaften Erschöpfung, Kraftlosigkeit und körperlichen Symptomen wie z.B. Kopfschmerzen, Schwindel oder Schlafstörungen.
Zwei bis drei Prozent der Schüler betroffen
„Ich habe vor fünf Jahren zunehmend depressive und erschöpfte Kinder gesehen, die nicht in die normale Kategorie der Depressionen passten", berichtet Prof. Michael Schulte-Markwort vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf anlässlich des Deutschen Lehrertags 2015 in Leipzig, gegenüber der Nachrichtenagentur „dpa“. Er habe lange gerätselt, was der Grund für die niedergeschlagene Stimmung der Schüler sein könnte, bis er zu der Erkenntnis gekommen sei, dass es sich schon bei den Kindern um ein Burn-out-Syndrom handelte. Laut Schulte-Markwort handele es sich dabei längst nicht mehr um Ausnahmefälle, stattdessen würden sich schon bei ihm durchschnittlich zwei betroffene Schüler wöchentlich melden. Obwohl es bislang noch keine validen Studien zu diesem Thema gäbe, könne daher davon ausgegangen werden, dass derzeit zwei bis drei Prozent der Schüler von einem Burnout betroffen seien, so der erfahrene Kinder- und Jugendpsychiater weiter.
Abitur als ersehntes Ziel baut früh Druck auf
Auch aus Sicht von Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung und Organisator des Lehrertags, sei eine zunehmende Erschöpfung bei Schülern zu erkennen: „Viele Lehrer haben Veränderungen bei den Schülerinnen und Schülern bemerkt", erklärt er gegenüber der „dpa“. „Die Kollegen sehen, dass Kinder oft schon frühzeitig überfordert werden." Da ein erfolgreiches Abitur das ersehnte Ziel darstelle, würden die Mädchen und Jungen nicht selten schon in der Grundschule unter Druck und Anspannung stehen.
„Helikopter-Eltern“ nicht immer schuld an Überforderung der Kinder
Doch wer hat „Schuld“ daran, dass Schüler immer häufiger mit Erschöpfung und Überforderung zu kämpfen haben? Anders als vielfach angenommen nicht die so genannten „Helikopter-Eltern“, die ständig um ihre Kinder kreisen und häufig bezichtigt werden, diese durch unzählige außerschulische Aktivitäten zu überfordern, so Prof. Michael Schulte-Markwort weiter. „Das sind vielmehr die Leistungsorientierungen, die wir in unserer Gesellschaft verankert haben, gekoppelt mit dem Gefühl der Kinder, wenn sie kein gutes Abitur schaffen, dann ist ihr Leben gelaufen“, erklärt der Experte, der seine Erfahrungen unlängst in dem Buch "Burnout-Kids" zusammengetragen hat.
Verhaltensänderungen bei Kindern immer ernst nehmen
Trotz bislang fehlender Studien und statistischen Erhebungen bestätigt auch der Bundesverband für Kinder- und Jugendpsychiatrie (BKJPP) die Beobachtung, dass Burn-Out auch schon Kinder betreffen kann. „In unseren Praxen werden sehr oft Kinder wegen schulischer Belastung und Stress vorgestellt", so der BKJPP-Vorsitzende Gundolf Berg gegenüber der „dpa“. Dabei würden bei den Schülern häufig mehrere Symptome zugleich auftreten, wie zum Beispiel Schlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten oder Verstimmungen. Dementsprechend sei es laut Schulte-Markwort besonders wichtig, dass Eltern und Lehrer die Kinder genau beobachten und plötzliche Verhaltensänderungen ernst nehmen: „Wenn Eltern über einen längeren Zeitraum das Gefühl haben, da stimmt etwas nicht, dann sollten sie zu einem Facharzt gehen." Ein wichtiger und vielversprechender Schritt, denn bislang hätte in seiner Praxis allen Betroffenen geholfen werden können.
Lösung des Problems nur durch gesellschaftliches Umdenken
Generell könnte das Problem jedoch aus Sicht des Therapeuten nur durch ein gesellschaftliches Umdenken gelöst werden: "Wir müssen uns fragen: Muss es wirklich immer mehr sein? Muss die Latte wirklich immer höher liegen?" Dieses Umdenken beinhalte auch eine Umstrukturierung der Schule mit beispielsweise kleineren Klassen, verbesserter Ausbildung der Lehrer. „Wenn Schule gelingen soll, wenn erfolgreiche Bildungsbiographien gestaltet werden sollen, dann brauchen Lehrerinnen und Lehrer deutlich mehr Unterstützung als heute gegeben“, so Wilmar Diepgrond, Vorsitzender des Verband Bildungsmedien, in seiner Eröffnungsrede zum Deutschen Lehrertag. (nr)
>Bild: Dieter Schütz / pixelio.de
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