Musiktherapie verändert das Gehirn, so dass Tinnitus-Beschwerden deutlich zurückgehen
27.03.2015
Forscher der Universität des Saarlandes und des Deutschen Zentrums für Musiktherapieforschung (DZM) in Heidelberg haben eine Musiktherapie gegen Tinnitus entwickelt. Dabei wird das Gehirn durch Summen überlistet, so dass die unangenehmen Ohrgeräusche verschwinden oder sich zumindest verringern. Durch den Lernfortschritt während der Musiktherapie kommt es zur Reorganisation des Hirngewebes im Gehörkortex, welches durch den Tinnitus zuvor abgebaut wurde. Die Forscher veröffentlichten ihre Studienergebnisse im Online-Journal „Frontiers of Neuroscience“.
Tinnituts-Patienten können bestimmte Frequenzen plötzlich nicht mehr hören
Die von den Heidelberger Forschern am DZM entwickelte Musiktherapie führte nach Aussage der Patienten bei acht Prozent der Behandelten zum vollständigen Verschwinden des Tinnitus. Von 80 Prozent der Teilnehmer wurden die Ohrgeräusche danach nicht mehr als quälend empfunden.
Ein Tinnitus entsteht, weil die Betroffenen plötzlich bestimmte Frequenzen nicht mehr hören. „Man kann sich das wie eine Klaviertastatur vorstellen, bei der eine Taste fehlt, denn das menschliche Gehör ist nach Frequenzen geordnet. Da das Gehirn den fehlenden Ton erwartet, aber nicht empfängt, versucht es diesen – analog zu einem Verstärker – lauter zu drehen. Die Folge kann eine Rückkopplung sein, die durch die Selbstanregung als Phantomgeräusch wahrgenommen wird“, erläutert der Biologe und Hirnforscher Christoph Krick vom Neurozentrum der Saar-Universität in Homburg. Mit der Neuro-Musiktherapie wird versucht, diese Fehlsteuerung im Gehirns wieder umzukehren. „Auch das lässt sich über ein Klavier erklären: Wenn Sie dort einen Ton anschlagen, schwingen automatisch die Ober- und Untertöne mit, das sind Töne in anderen Oktaven. Die Tinnitus-Patienten können über das Nachsummen und Singen von Grundtönen zur meist höheren Tinnitus-Frequenz den fehlenden Ton im Gehirn rekonstruieren“, so Krick. „Das Anstimmen der Untertöne des eigenen Phantomtons erscheint den Patienten anfangs eher schwierig, gelingt dann aber an jedem Therapietag besser.“
Musiktherapie und Entspannungsübungen gegen Tinnituts
Neben der Musiktherapie werden den Patienten auch Entspannungstechniken gezeigt, da der Phantomton durch den Tinnitus-bedingten Stress lauter werden kann. Im Rahmen der aktuellen Studie wurden die Patienten mit einer Kompaktversion der Therapie behandelt. Bereits nach wenigen Tagen berichteten die Betroffenen, dass sie die Hörgeräusche weniger unangenehm empfanden. „Erfreulich war, dass noch drei Jahre nach dem recht kurzen Therapieintervall der Therapieerfolg erhalten blieb. Zu Beginn der Studie war dennoch fraglich, ob dies womöglich auf einen Umbau im Gehirn unserer Patienten zurückzuführen sein könnte“, berichtet Heike Argstatter, vom DZM. Deshalb seien die Vorgänge im Gehirn während der Musiktherapie sehr interessant.
Diese untersuchte Krick mittels modernem Forschungs-MRT am Neurozentrum in Homburg, nachdem er verschiedene Hirnareale ausgewählt hatte, die nach seiner Ansicht für eine solche Veränderung in Frage kamen. Neben den Tinnitus-Patienten absolvierte auch eine Vergleichsgruppe mit gesunden Menschen das Lernprogramm. Auf diese Weise sollte sichergestellt werden, dass die Musiktherapie und die Entspannungsübungen tatsächlich funktionieren. „Bisher war man davon ausgegangen, dass Lernfortschritte nur die Aktivitäten im Gehirn verändern, also quasi eine neue Software aufspielen. Wir konnten jedoch nachweisen, dass schon nach wenigen Tagen die Denkzellen, die den Höreindruck verarbeiten, nachgewachsen sind. Es wurde sozusagen die Festplatte des Gehirns umgebaut und zwar dauerhaft“, erläutert Krick.
Die Studienteilnehmer gaben anhand von Fragebögen an, wie sehr sich ihr Zustand durch die Musiktherapie verbessert hat. „Bei den Patienten, die den Therapiefortschritt als besonders erfolgreich wahrgenommen haben, waren auch die stärksten Veränderungen im Gehirn zu beobachten“, so der Hirnforscher weiter. Auch in der gesunden Vergleichsgruppe sahen die Wissenschaftler neue Strukturen. So wuchs Gewebe in den Hirnarealen nach, die für die Verarbeitung von Stress wichtig sind und dabei helfen, sich zu entspannen.
Die Geschwindigkeit und das deutliche Ausmaß des Gehirn-Umbaus überraschten die Forscher sehr. „Der Lernvorgang hatte sich offensichtlich in das Gehirn ‚eingebrannt‘. Wir gehen davon aus, dass wir somit die Ursache des nachhaltigen Therapieerfolgs gefunden haben“, erklärt Krick. (ag)
>Bild: Erwin Lorenzen / pixelio.de
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