Neuartiger Eingriff: Revolution der Schlaganfall-Therapie
Jährlich erleiden über eine Viertelmillion Menschen in Deutschland einen Schlaganfall. Betroffene haben meist ein Leben lang mit den Folgen zu kämpfen. Ein neuartiger Eingriff im Gehirn könnte viele Patienten vor lebenslanger Behinderung bewahren. Das neue Verfahren wurde nun auf einem Kongress vorgestellt.
Therapie könnte vor lebenslanger Behinderung bewahren
In Deutschland erleiden jährlich über eine Viertelmillion Menschen einen Schlaganfall. Betroffene haben oft ein Leben lang mit den Folgen zu kämpfen. Die Nachrichtenagentur dpa berichtet nun in einem Beitrag über eine neuartige Therapie, die Tausende Patienten vor lebenslanger Behinderung bewahren könnte. Zunächst wird über ein Video berichtet, dass die Universitätsklinik Pittsburgh (USA) auf YouTube gestellt hat. Dort ist zu sehen, wie der Arzt Tudor Jovin einen Mann im Flur des Krankenhauses fragt: „Wie heißen Sie?“ Der Patient hatte gerade einen Schlaganfall erlitten und liegt auf einer Trage. Er will zwar antworten, kann aber erst einige Stunden nach der sofort eingeleiteten Behandlung wieder reden. Drei Tage danach erzählt der Patient: „Ich konnte die Wörter sehen, aber ich konnte sie nicht sprechen.“ Es deutet nichts mehr darauf hin, dass er einen schweren Schlaganfall erlitten hatte. Die Geschichte des Mannes ist kein Einzelfall.
Studienergebnisse bei Kongress vorgestellt
Dies zeigen unter anderem die Ergebnisse von zwei großen Studien, die gerade im renommierten Fachmagazin „New England Journal of Medicine“ erschienen sind und am gleichen Tag auf einem Schlaganfallkongress im schottischen Glasgow vorgestellt wurden. „Das war eindeutig das bestimmende Thema der Konferenz“, erläuterte Professor Hans-Christoph Diener von der Uniklinik Essen, Co-Autor der sogenannten Swift-Prime-Studie, die ebenfalls in der Fachzeitschrift publiziert wurde. „Die Leute haben während der Vorträge applaudiert, das passiert nicht oft.“
„Schlaganfalltherapie auf ein neues Niveau heben“
Die Euphorie habe damit zu tun, dass die beiden Studien, gemeinsam mit drei weiteren großen Untersuchungen, ebenfalls in den letzten Monaten im „NEJM“ vorgestellt, klar zeigen, dass die sogenannte endovaskuläre Therapie viele Schlaganfallpatienten vor dauerhaften Behinderungen bewahren kann. „Mit jeder positiven Studie ist es noch sicherer, dass wir die Schlaganfalltherapie auf ein neues Niveau heben können“, sagte Diener, der auch Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Neurologie ist. Tudor Jovin, der an beiden Studien mitwirkte, ergänzte: „Wir stehen an der Schwelle zu einer Revolution bei der Akuttherapie des Schlaganfalls.“
Jeder dritte Patient bleibt behindert
Jedes Jahr erleiden in Deutschland etwa 260.000 Menschen einen „ischämischen“ Schlaganfall. Ein Blutgerinnsel verschließt dabei ein Gefäß im Gehirn, die unterbrochene Blutversorgung lässt Nervenzellen absterben. Etwa ein Drittel der Patienten bleiben danach behindert, beispielsweise in Form von Lähmungen oder Sprachproblemen. Wie Georg Kerkhoff, Professor für Klinische Neuropsychologie und Leiter der Neuropsychologischen Universitätsambulanz an der Universität des Saarlandes, Anfang des Jahres erklärte, leiden einige Patienten am visuell-räumlichen Neglect, durch den sie alles vernachlässigen, was in der linken Sicht- und Körperhälfte geschieht. Die Wissenschaftler der Universität des Saarlandes hatten damals bekannt gegeben, dass sie eine neue Schlaganfall-Therapie entwickelt haben, durch die Betroffene ihre linke Körperhälfte besser wahrnehmen können.
Blutfluss im Gehirn schnell wiederherstellen
Bisher setzten Mediziner darauf, das Gerinnsel (Thrombus) durch Medikamente zu lösen, um das Gefäß wieder zu öffnen. Aber gerade bei Verschlüssen großer Blutgefäße, die große Hirnareale versorgen, reicht diese Thrombolyse meist nicht. Wie die neuen Studien nun zeigen, kann in solchen Fällen, bei den großen Schlagadern im vorderen Hirnkreislauf, zusätzlich ein Eingriff mit einem sogenannten Stent Retriever entscheidend helfen. Bei diesem Eingriff, der normalerweise etwa 30 bis 45 Minuten dauert, schiebt ein Neuroradiologe einen Mikrokatheter von der Leiste durch die Aorta bis in das betroffene Blutgefäß und sticht dann durch das Gerinnsel hindurch, wobei er das Vorgehen auf einem Monitor verfolgt. Wenn er dann die Hülle des Mikrokatheters zurückzieht, entfaltet sich aus dem Inneren ein Geflecht aus feinstem Draht nach außen und verhakt sich am Thrombus. Der Mediziner kann nun den Blutpfropf durch das Gefäß zurückziehen und aus dem Körper entfernen. Im Idealfall wird das Hirngewebe danach wieder durchblutet. „Es ist ein Rennen gegen die Zeit“, so Jovin. „Je früher man den Blutfluss im Gehirn wiederherstellt, desto mehr Gehirn rettet man und desto höher ist die Chance für einen guten Ausgang.“
Kaum Unterschiede bei der Rate der Nebenwirkungen
Weiter wird berichtet, dass bei der Swift-Prime-Studie 196 Patienten per Losentscheid entweder die traditionelle Thrombolyse erhielten oder zusätzlich bis maximal sechs Stunden nach Beginn der Symptome den Kathetereingriff. Den Angaben zufolge waren mit dieser Kombination nach 90 Tagen 60 Prozent der Patienten ohne Beeinträchtigung, bei herkömmlicher Therapie waren es nur 35 Prozent. Wie es heißt, unterschied sich die Rate der Nebenwirkungen kaum von der der bisherigen Standardtherapie, der Thrombolyse. „Es gibt kein Sicherheitsproblem“, erläuterte der Neuroradiologe Professor Jens Fiehler vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Laut Fiehler kommen in Deutschland jährlich etwa 20.000 Patienten mit ischämischem Schlaganfall für das Verfahren infrage. Vor allem jene Patienten profitieren, bei denen große Hirngefäße verstopft sind und denen daher besonders schwere Behinderungen drohen.
Fast ein Viertel der deutschen Schlaganfallzentren für neue Therapie gerüstet
Der Verdacht wird durch eine computertomografische Gefäßdurchleuchtung (CT-Angiografie) abgeklärt. Von den rund 260 deutschen Schlaganfallzentren (Stroke Units) sind 60 gerüstet für die neue Therapie. Patienten aus kleineren Kliniken müssten also unter laufender Thrombolyse möglichst schnell in solch ein Zentrum gebracht werden. An der Swift-Prime-Studie wirkten lediglich große Zentren mit. Dort dauerte es nach der Bestätigung des Verdachts durch CT-Angiografie im Mittel 57 Minuten, bis der Kathetereingriff begann. Bei 88 Prozent der Patienten wurde den Angaben zufolge wieder eine substanzielle Durchblutung erreicht.
„Unglaublich gutes Ergebnis“
Die Therapie wurde bereits in die Leitlinien zur Schlaganfalltherapie aufgenommen. Darauf hat Professor Joachim Röther von der Asklepios-Klinik Altona hingewiesen. „Die Datenlage ist so überzeugend“, sagte der Neurologe, „dass es keiner langen Diskussionen bedurfte“. Man müsse nach Gesamtlage der Studien etwa vier bis sechs Patienten behandeln, um einem Patienten ein unabhängiges Leben zu ermöglichen, erklärte Röther. „In der Medizin ist das ein unglaublich gutes Ergebnis.“ Auch für das Gesundheitswesen rechnet sich das Verfahren. Der Eingriff ist zwar kostspielig, „aber damit kann man einen Patienten davor bewahren, lebenslang bettlägerig und pflegebedürftig zu sein“, so Fiehler. (ad)
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Bildnachweis: Jorma Bork / pixelio.de
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