Bildung des weißen Schleiers auf Schokolade entschlüsselt
Bildet Schokolade einen weißen Schleier auf ihrer Oberfläche, sorgt dies bei vielen Verbraucherinnen und Verbrauchern für Verunsicherung. „Der Fettreif ist zwar völlig harmlos, führt aber durch Ausschuss und Reklamationen zu Millionenschäden in der Lebensmittelindustrie”, erläutert Svenja Reinke von der Technischen Universität Hamburg-Harburg (TUHH). Sie ist die Hauptautorin einer gemeinsamen Studie von Wissenschaftlern der Technischen Universität Hamburg-Harburg (TUHH), des Forschungszentrums DESY (Deutsches Elektronen-Synchrotron) und des Nestlé-Forschungs- und Entwicklungszentrums für Süßwaren zur Entstehung des weißen Fettreifs auf Schokolade. Ihre Ergebnisse haben die Forscher in dem Fachmagazin „Applied Materials and Interfaces“ der American Chemical Society veröffentlicht.
Die aktuelle Studie liefert laut Aussage der Forscher „neue Einblicke in die Entstehung des unerwünschten Fettreifs, der sich gelegentlich als weiße Schicht auf der Schokolade ablagert.“ Zwar sei dieser völlig harmlos, doch „obgleich der Fettreif keinen Verderb des Produkts im eigentlichen Sinne darstellt, kann die damit einhergehende optische Beeinträchtigung zu einer großen Anzahl an Konsumentenbeschwerden führen“, erläutert Professor Stefan Palzer vom Lebensmittelkonzern Nestlé. Nicht selten halten Verbraucher diesen für Schimmel oder werten ihn als Anzeichen für eine abgelaufene Haltbarkeit. Der Fettreif sei daher „nach wie vor der wichtigste Qualitätsdefekt in der Süßwarenindustrie“, so Palzer. Doch bislang war laut Svenja Reinke nur relativ wenig über dessen Entstehungsprozesse bekannt.
Flüssiges Fett wandert an die Oberfläche
Der Fettreif entsteht, wenn flüssiges Fett (beispielsweise der Kakaobutter) aus dem Inneren der Schokolade an die Oberfläche wandert und dort kristallisiert, erläutern die Wissenschaftler. Dies könne zum Beispiel geschehen, wenn flüssige Schokolade unkontrolliert abkühlt und sich instabile Kristallformen bilden, „aber auch bei Zimmertemperatur ist ein Viertel der Schokoladenfette bereits flüssig“, so Reinke. Durch flüssige Füllungen oder Anteile wie beispielsweise Nougat werde die Entstehung von Fettreif zusätzlich beschleunigt. „Je länger die Schokolade liegt, desto mehr Zeit hat das Fett, durch die Schokolade zu wandern“, weshalb die weiße Flecken oft als Zeichen für alte Schokolade empfunden werden, berichtet die TUHH.
Forscher röntgen Schokolade
In ihren Untersuchungen konnten die Forscher nun mit Hilfe einer speziellen Röntgenmethode die zugrundeliegenden Prozesse bei der Bildung des weißen Fettreifs auf der Schokolade erstmals live beobachten. Proben einzelner Schokoladenbestandteile, also beispielsweise eine Mischung aus Zucker und Kakaobutter oder Milchpulver und Kakaobutter oder Kakao und Kakaobutter, wurden zu einem feinen Pulver gemahlen und dann mit dem hellen Röntgenlicht durchleuchtet, so die Mitteilung der TUHH. „Die Untersuchungstechnik zeigt uns sowohl die Fettkristalle als auch die Poren bis hinunter zu einer Größe von einigen Nanometern“, berichtet Studienleiter Professor Stefan Heinrich von der TUHH.
Veränderte Struktur der Schokolade
Zur Untersuchung der Fettmigration innerhalb der Schokolade tropften die Forscher jeweils etwas Sonnenblumenöl auf ihre Proben und beobachteten die Folgen. Laut Svenja Reinke kam es dabei „innerhalb von Sekunden zur Benetzung“ und das Öl drang „sehr schnell auch in die kleinsten Poren ein, wahrscheinlich durch Kapillarkräfte.“ Durch die Beigabe des Sonnenblumenöls habe sich zudem auch die innere Struktur der Schokolade geändert, wobei das flüssige Fett über einen Zeitraum von Stunden weitere Fettkristalle aufgelöst habe und dadurch die gesamte Struktur der Schokolade weicher wurde. Dies führte wiederum zu einem Anstieg der Fettmigration, berichtet Reinke.
Untersuchung der Strukturänderungen
Den Angaben der Forscher zufolge war der genaue Ablauf dieser Prozesse bisher noch nicht bekannt und die aktuelle Studie ergänze hier frühere Untersuchungen zur Kristallstruktur im Fettreif. Erstmals seien die dynamischen Mechanismen, die zur Bildung des Fettreifs führen, im Detail direkt nachvollziehbar. „Die gemeinsame Studie liefert uns wertvolle Informationen, wie wir Strukturänderungen in derartigen alltäglichen Mehrkomponentensystemen untersuchen können“, erläutert Dr. Stephan Roth vom DESY-Forschungszentrum.
Ansätze zur Vermeidung des Fettreifs
Anhand der aktuellen Erkenntnisse sind nach Ansicht der Forscher konkrete Ansatzmöglichkeiten für die Lebensmittelindustrie zur Reduzierung des Fettreifs ableitbar. „Eine Konsequenz wäre beispielsweise, die Porösität der Schokolade bei der Herstellung zu begrenzen, damit das Fett langsamer wandert“, berichtet Svenja Reinke. Des Weiteren biete die Begrenzung des Flüssigkeitsanteils durch eine kühle, allerdings nicht zu kalte Lagerung, Möglichkeiten die Bildung des Fettreifs zu minimieren. „18 Grad Celsius sind ideal“, so Reinke. Insgesamt reagiere Schokolade sehr empfindlich auf Temperaturschwankungen. Hier würden wenige Grade bereits einen großen Unterschied ausmachen. „Bei fünf Grad ist im Prinzip die gesamte Kakaobutter fest, ab etwa 36 Grad ist hingegen alles flüssig“, erläutert die Forscherin.
Kristallform der Schokolade ebenfalls von Bedeutung
Auch die Kristallform in der Schokolade spielt laut Aussage der Wissenschaftler bei der Bildung des Fettreifs eine wichtige Rolle. Dabei hat Schokolade grundsätzlich sechs verschiedene Kristallformen, die auch einen Einfluss auf den Flüssiganteil entfalten. Dies biete für die Hersteller einen weiteren Ansatzpunkt zur Minimierung der Fettreifbildung. „Die durchgeführten Untersuchungen erlauben es uns als Hersteller von Qualitätsschokolade erstmals Rückschlüsse auf die Ursachen der Migration von Kakaobutterfraktionen in Schokolade zu ziehen“, so das Fazit von Professor Palzer. (fp)
nachweis: Espressolia / pixelio.de
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