Muße-Zeiten sind eine bedrohte Ressource
In der modernen Arbeitswelt sind Zeiten der Muße rar geworden, was nach Einschätzung von Experten auch zu den vermehrten psychischen Problemen der Beschäftigten beiträgt. Zudem bleibt wenig Raum für die Entwicklung grundsätzlich neuer Ideen. Professor Dr. Norbert Rohleder von der Hochschule Mainz berichtet in seinem morgigen Vortrag „Muße – Gründe für absichtsloses Nichtstun“ am Hochschulzentrum für Weiterbildung (HZW) von den „zentralen Ergebnisse und Empfehlungen zu dieser Thematik“, so die Mitteilung der Hochschule Mainz.
Als Beispiel für die Bedeutung der Muße bei der Entwicklung neuer Ideen nennt Prof. Rohleder, der auch Autor des Aufsatzes „Muße für Manager“ ist, die Gravitationstheorie von Isaac Newton (1643-1727), welche von letzterem angeblich entwickelt wurde, während dieser entspannt unter einem Apfelbaum saß und über einen herabfallenden Apfel sinnierte. Hätte Newton unter dem heutigen Dauerstress gestanden, wäre ihm seine bahnbrechende Theorie möglicherweise nie eingefallen. Der Wirtschaftswissenschaftler Professor Rohleder hat bei seinen Analysen der modernen Arbeitswelt daher den (nicht mehr vorhandenen) Zeiten der Muße besondere Aufmerksamkeit gewidmet.
Gestressten Arbeitnehmern würden mehr Muße-Zeiten helfen
„Die deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind gestresst – allen voran Manager, die die Geschicke von Unternehmen leiten“, so die Mitteilung der Hochschule Mainz. Viele Führungskräfte würden angesichts des extrem hohen Arbeitspensums, ständiger (Online-)Erreichbarkeit, massiver Überstunden, Arbeit nach Feierabend und an Wochenenden sowie zahlreicher weiterer Faktoren unter immenser Anspannung stehen. Der Preis dafür seien nicht selten Burnout als Folge chronischer Überlastung sowie das Zerbrechen privater Beziehungen unter weitere Probleme. Rohleder sieht hier in der Muße einen Schlüssel, um den Stress zu vermeiden, über den so viele Arbeitnehmer in Deutschland klagen, berichtet die Nachrichtenagentur „dpa“. Auch andere Experten würden die Bedeutung der Muße besonders hervorheben.
Rückkehr zum Prinzip der Muße
„Wir haben ein großes Arbeitsvolumen und gleichzeitig ist der Zeitdruck gestiegen“, wird Rohleder von der Nachrichtenagentur „dpa“ zitiert. Die chronische Überbelastung führe zu nachweisbaren Fehltagen. Die Belastung habe auch eine im März vorgestellte Studie der Bertelsmann-Stiftung belegt, derzufolge 18 Prozent der befragten Vollzeit-Beschäftigten an ihre Leistungsgrenzen stoßen und 23 Prozent keine Pausen bei der Arbeit einlegen. Hier könnte die Rückkehr zum Prinzip der Muße nach Einschätzung des Experten wesentlich zur Verbesserung beitragen. „Muße ist nichts Antiquiertes, obwohl das viele denken mögen“, zitiert die „dpa“ Professor Rohleder. Allerdings sei diese nicht mit dem abendlichen Abhängen vor dem Fernsehen zu verwechseln. „Es ist nicht Trägheit. Und es ist auch nicht nur Lebenskünstlern vorbehalten“, so Rohleder. Vielmehr bedeute Muße, Zeit für sich selbst zu haben, die keinem äußeren Zweck diene.
Verschiebung der gesellschaftlichen Wertvorstellungen
Dem Thema „Muße – Vom Glück des Nichtstuns“ hat der Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung „Die Zeit“, Ulrich Schnabel ein komplettes Buch gewidmet, in dem er beschreibt, wieso die Muße zu einer bedrohten Ressource geworden ist und wo heute noch „Inseln der Muße“ zu finden sind. Arbeitsdruck und der Zwang zur permanenten Kommunikation würden viele Menschen kaum noch zur Ruhe kommen lassen. „Dabei wissen Philosophen schon längst, dass Verstand und Seele schöpferische Pausen brauchen“, so Schnabel. Doch hätten sich die gesellschaftlichen Wertvorstellungen verschoben. Früher seien die Zeiten der Muße die eigentlich wichtigen im Leben gewesen und die Arbeitszeiten waren diesen untergeordnet beziehungsweise lediglich das Mittel, um sie zu ermöglichen, zitiert die Nachrichtenagentur „dpa“ den Experten. Heute habe sich dies umgekehrt und Muße seien die kleinen Erholungszeiten, die wir uns gestatten, um wieder möglichst viel leisten zu können.
Leistungsdruck Ursache zunehmender psychischer Probleme
Der stetige Leistungsgedanke ist laut Iris Hauth, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), einer der wesentlichen Gründe für die vermehrten psychischen Probleme bei Beschäftigen, so die Mitteilung der Nachrichtenagentur „dpa“. Burnout bilde nach dem gängigen Klassifikationssystem zwar keine Erkrankung, sondern einen Risikozustand, doch mittlerweile scheine diese Symptomatik durch alle Berufsgruppen zu gehen. Zeiten zum Abschalten seien daher wichtig. Diese sollten laut Aussage der Expertin unter der Woche und am Wochenende fest eingeplant werden. Ein penible Durchtaktung der Freizeit sei hier jedoch kontraproduktiv. „Wesentlich ist es, Muße zu haben ohne schlechtes Gewissen, einfach mal entspannen, wie zum Beispiel im Grünen sitzen und die Natur auf sich wirken lassen“, wird die DGPPN-Präsidentin von der „dpa“ zitiert. Dies hatte bei Newton die Idee der Gravitationstheorie zur Folge, kann jedoch auch einfach dem psychischen Wohlbefinden dienen – ohne bahnbrechende Erkenntnisse. (fp)
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