09Gedächtnis und Konzentrationsfähigkeit leiden nach Gewalteindrücken
Zwar leben wir in einer relativ sicheren Gesellschaft, doch auch hierzulande werden jährlich etliche Menschen Opfer von Gewalt. Noch weit häufiger erfahren Menschen in den Krisenländern dieser Welt schwerste Formen der Gewalt. Die erlebten traumatischen Gewalteindrücke haben dabei eine weitreichende Wirkung auf die Betroffenen, was sich auch in einer Beeinträchtigung ihrer kognitive Fähigkeiten widerspiegelt.
„Menschen, die Gewalt ausgesetzt waren, können auch Jahrzehnte später noch ein verschlechtertes Kurzzeitgedächtnis und eine verschlechterte Konzentrationsfähigkeit aufweisen, wenn sie sich diese Erfahrungen ins Gedächtnis rufen“, berichtet das Institut für Weltwirtschaft (IfW) unter Berufung auf eine aktuelle empirische Studie, an er Forscher des IfW beteiligt waren. Veröffentlicht wurden die Studienergebnisse in dem Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS).
Auswirkungen der Gewalterfahrung auf die kognitiven Fähigkeiten untersucht
Den Angaben der Forscher zufolge belegt die aktuelle Studie erstmals eindeutig die negativen Folgen von Gewalt auf die kognitive Fähigkeiten und zeigt, dass diese sehr lange bestehen bleiben können. In der empirischen Untersuchung mit über 500 Zivilisten aus Kolumbien, die Opfer von Bandengewalt oder des Bürgerkrieges wurden, haben die Wissenschaftler die Auswirkungen der Gewalteindrücke auf die Konzentrationsfähigkeit und die Gedächtnisleistung analysiert. Die Probanden wurden gebeten, sich ihre Gewalterfahrung ins Gedächtnis zu rufen, und absolvierten anschließend verschiedene Tests. Dabei wiesen sie laut Aussage der Forscher „signifikant schlechtere kognitive Fähigkeiten auf als Personen, die an eine neutrale oder angenehme Erfahrung aus der Zeit denken sollten.“ Und dies, obwohl die Gewalterfahrungen der Probanden teilweise bis zu 14 Jahre zurücklagen.
Gehirn reagiert allgemein sehr empfindlich auch Gewalteindrücke
„Eine ähnliche Verschlechterung der kognitiven Fähigkeiten konnten die Forscher auch bei Personen nachweisen, die Gewalt zwar nicht persönlich erlebt hatten, sich aber extreme Gewalttaten vor Augen führen sollten“, berichtet das IfW. So habe eine Wiederholung der Studie mit deutschen Studenten, die an extreme Gewalttaten wie den Terroranschlag in Paris im November 2015 denken sollten, zu vergleichbaren Ergebnissen geführt. „Das menschliche Gehirn reagiert offenbar äußerst sensibel auf Gewalteindrücke“, betont Gianluca Grimalda vom Institut für Weltwirtschaft.
Kognitive Fähigkeiten von entscheidender Bedeutung
Insgesamt zeigten Menschen, die Gewalterfahrungen erlebt hatten und sich diese bewusst vor Augen führten, in der empirischen Untersuchung auch Jahrzehnte nach den Ereignissen noch eine Beeinträchtigung des Kurzzeitgedächtnisses und der Konzentrationsfähigkeit. Sie schnitten in den entsprechenden Tests deutlich schlechter ab, als eine Vergleichsgruppe. Ein äußerst bedenkliches Ergebnis, da laut dem IfW-Experten Grimalda die „kognitive Fähigkeiten elementar für das persönliche Wohlbefinden sowie für Erfolg in Schule und Beruf“ sind. Bei Kindern seien bessere kognitive Fähigkeiten mit einer höheren Lebens-, Einkommens- und Gesundheitserwartung sowie mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit, straffällig zu werden, assoziiert.
Die aktuellen Studienergebnisse verdeutlichen, dass „Gewalterfahrungen die Lebensperspektive eines Menschen massiv verschlechtern“ können, betont Grimalda. Es sei daher sehr wichtig, Gewaltopfer bei einer professionellen Traumabewältigung zu unterstützen, die ihnen dabei helfe, das Erlebte hinter sich zu lassen. (fp)
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