Kinder- und Jugendärzte fordern mehr Angebote für psychisch auffällige Kinder
Viele Heranwachsende leiden unter psychischen Problemen. Große Sorgen bereiten den Kinder- und Jugendärzten die jüngsten Zahlen des Robert Koch-Instituts (RKI), denen zufolge ein Fünftel (20,2%) der Kinder und Jugendlichen im Alter von drei bis siebzehn Jahren nach Einschätzung ihrer Eltern einer Risikogruppe für psychische Auffälligkeiten zuzuordnen sind, so Professor Dr. med. Klaus Keller vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) anlässlich des Kinder- und Jugendärztetages 2015.
Dies seelische Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen bildet einen Schwerpunkt des diesjährigen Kinder- und Jugendärztetages, da die Experten hier erheblichen Handlungsbedarf sehen. „Die Versorgungsstrukturen müssen überprüft werden, da psychische Auffälligkeiten und Störungen oft unbehandelt bleiben“, erläutert Professor Keller. So hätten heute nur 11,8 Prozent der grenzwertig auffälligen und 18,6 Prozent der als auffällig klassifizierten Kinder und Jugendlichen bereits Kontakt zu einem Psychiater, Psychologen oder der Jugendhilfe gehabt. Hier müssten die präventiven Anstrengungen deutlich ausgebaut werden.
Emotionale Probleme und Verhaltensauffälligkeiten
Die psychischen Probleme der Kinder können sich auf vielfältige Weise äußern, wobei aggressives Verhalten ebenso zu den möglichen Folgen zählt, wie ein vollständiger Rückzug der Betroffenen. Von dem Umfeld werden die Ursachen des Verhaltens oftmals nicht erkannt und es fehlt an aufsuchender Beratung beziehungsweise Maßnahmen der Vorbeugung. Dabei sei über den Zeitraum von sechs Jahren eine stabile Häufigkeit von etwa 20 Prozent für psychische Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen drei und 17 Jahren in Deutschland festzustellen, was die Relevanz des Themas verdeutliche, so Professor Keller. Zumal viele Betroffene später behandlungsbedürftige Symptome entwickeln. Zu den berücksichtigten Auffälligkeiten zählten emotionale Probleme, Probleme mit Gleichaltrigen, Verhaltensprobleme, Hyperaktivitätsprobleme und sogenannte prosoziales Verhalten.
Viele Betroffene haben Schwierigkeiten im Alltag
Zwar seien die Kinder mit Auffälligkeiten nicht unbedingt manifest psychisch krank, doch in ihrem Alltag zeigen sich laut Angaben des BVJK-Experten oftmals erhebliche Schwierigkeiten. Infolge emotionaler und verhaltensbedingter Probleme seien Jungen dabei häufiger in ihrer Alltagsfunktionalität beeinträchtigt als Mädchen. Auch würden Jungen eher Verhaltensauffälligkeiten entwickeln und Mädchen eher emotionale Probleme. Insgesamt hätten 12,4 Prozent der Kinder und Jugendlichen mit psychischen Auffälligkeiten zusätzlich mit massiven Beeinträchtigungen im sozialen und familiären Alltag zu kämpfen. Zwar gaben 52 Prozent der Eltern in der Studie des RKI an, dass ihre Kinder keine Schwierigkeiten in den Bereichen Stimmung, Konzentration, Verhalten und/oder Umgang mit anderen hätten. Doch sahen knapp 41 Prozent der Eltern bei ihren Kindern leichte Schwierigkeiten, 6,3 Prozent erkannt deutliche Probleme und weitere 1,1 Prozent massive Schwierigkeiten in mindestens einem der Bereiche, so die Mitteilung des BVJK.
Drohende Chronifizierung der psychischen Auffälligkeiten
Bedenklich ist auch die klar erkennbare Tendenz zur Chronifizierung der Auffälligkeiten, berichtet Professor Keller weiter. Bei 73 Prozent hätten diese schon länger als ein Jahr vorgelegen und bei weiteren 16 Prozent dauerten sie seit sechs bis 12 Monaten an.Von den Eltern der betroffenen Kindern bewerteten rund ein Fünftel die psychischen Schwierigkeiten als eine deutliche oder schwere familiäre Belastung. Zudem sei bei den Auffälligkeiten klar ein erhebliches soziales Gefälle feststellbar gewesen. Auch gehe aus den Zahlen des RKI hervor, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund vermehrt von psychischen Problemen betroffen waren, so die Mitteilung der Nachrichtenagentur „dpa“. Hier könne sich die Problematik weiter zuspitzen, da derzeit viele Flüchtlingskindern mit schweren traumatischen Erlebnissen nach Deutschland kommen. Um ihnen bei der Bewältigung psychischer Probleme helfen zu können, fehlen laut Aussage der Experten bislang allerdings die Strukturen. (fp)
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