Interview mit dem Allgemeinarzt und Ratgeberautor Dr. med. Eberhard J. Wormer. Depressionen: „Greifen Sie nicht vorschnell zur chemischen Keule – oft kann die Natur viel besser helfen!“
„Die rasante Zunahme psychischer Erkrankungen wird vielfach diskutiert. Dabei wird jedoch nur selten thematisiert, dass Depressionen oftmals körperliche Ursachen haben; zu den häufigsten zählen dabei Mangelzustände an Vitaminen, Mineralstoffen oder Hormonen. Wird der Mangel richtig erkannt, lässt er sich leicht und erfolgreich behandeln. Doch leider wissen Ärzte in der Regel wenig bis nichts darüber und verschreiben zu schnell und zu häufig chemische Antidepressiva – die auf Dauer zu einer echten Falle werden können.“ Der Allgemeinarzt Dr. med. Eberhard J. Wormer, Autor des Kompakt-Ratgebers „Natürliche Antidepressiva“, klärt über die möglichen Ursachen von depressiven Zuständen auf, erläutert die Risiken einer medikamentösen Behandlung und stellt sanfte Wege aus dem Stimmungstief vor.
Depressionen gelten als eine der am häufigsten auftretenden psychischen Erkrankungen. Was versteht man eigentlich darunter, und welche Unterschiede gibt es zwischen ihren verschiedenen Formen?
Dr. med. Wormer: Grundsätzlich ist zwischen depressiven Stimmungszuständen – ursachenabhängig, meist vorübergehend – und echten Depressionen zu unterscheiden, die hartnäckig anhalten können. Die echte Depression wird als psychische Erkrankung eingestuft. Die depressive Verstimmung ist zunächst ein Symptom, das ganz unterschiedliche Ursachen haben kann. Werden diese Ursachen erkannt und die Störungen beseitigt, verschwindet die Depression in vielen Fällen. Bleiben alle Maßnahmen wirkungslos und verstärkt sich der depressive Zustand, wird man von einer echten Depression ausgehen. Depressive Verstimmungen hat fast jeder Mensch schon erlebt. Demgegenüber sind vergleichsweise wenige Menschen von einer echten Depression betroffen. Der Hauptunterschied beider psychischer Störungen bezieht sich auf das Gefühlsempfinden insgesamt: Bei depressiver Verstimmung sind durchaus noch Gefühle wie tränenreiche Trauer oder Schuld möglich – eine echte Depression ist dagegen die Abwesenheit jeder Gefühlsempfindung, was Betroffene als unerträgliche Hölle erleben.
Sie verstehen Depression als eine natürliche Reaktion auf jede Art von Stress und Trauma, die in vielen Fällen durch körperliche Ursachen ausgelöst wird. Was steckt dahinter?
Dr. med. Wormer: Jede Art von überdurchschnittlichem Stress verschiebt die Gefühlslage in Richtung Depression. Manchmal bemerken wir es, manchmal nicht. Körperliche und psychische Verletzungen – Traumatisierungen – können abheilen, hinterlassen aber bleibende Spuren oder Narben, mit denen die Betroffenen weiterleben. Je nachdem, wie stark die Traumatisierung ausgeprägt ist, kann auch die Depression unterschiedlich ausgeprägt sein. Wenn Sie sich etwa nach einer Erkältung erschöpft, müde und deprimiert fühlen, sollten Sie daran denken, dass dies eine natürliche Reaktion des Körpers ist, die mit fortschreitender Genesung verschwinden wird. Wenn Sie einen Herzinfarkt erlitten haben, müssen Sie mit einem schwer ausgeprägten depressiven Zustand rechnen – heute versucht man vermehrt, das Risiko Depression bei der Therapie des Herzinfarkts zu berücksichtigen. Ein Grund für die Depression nach Traumatisierung könnte die enge Vernetzung von Immunsystem und Nervensystem sein – der Körper hat die Priorität auf körperliche Genesung gesetzt, was zu Abstrichen bei den Glückshormonen führt. Das ist naturgegeben.
Der stimmungsmäßige Gegenpol zur Depression ist die sogenannte Manie. Woran merken Betroffene, dass sich „normale“ Stimmungsschwankungen zur Krankheit entwickeln?
Dr. med. Wormer: Die Betroffenen fühlen sich super! Möglicherweise zu super. Bei ausgeprägter Manie nimmt das Schlafbedürfnis ab, der Appetit schwindet, und ein enormer Tatendrang macht sich bemerkbar. Maniker haben weltbewegende Ideen (die jeder Grundlage entbehren), die sie ihrem Umfeld mit größter Überzeugung nahebringen. Sie haben eine charmante, manchmal unwiderstehliche Ausstrahlung und fühlen sich einfach großartig. Im manischen Zustand werden in kürzester Zeit Konten bei fünf Banken eröffnet, drei Autos gekauft, immense Schulden gemacht und mehrfache Eheversprechen abgegeben. Die Manie ist der „Speedmodus“ des Lebens, rastlos getrieben von grandiosen Ideen, schlaflos und hyperaktiv und 1000 Prozent motiviert. Lässt die Manie nach, stehen die Betroffenen vor einem Scherbenhaufen. Im Prinzip hat der Maniker keine Wahl, er stürzt zwangsläufig in seine Raserei. Es ist eher das Umfeld, das solche Verhaltensauffälligkeiten bemerken und als Teilerscheinung einer psychischen Erkrankung erkennen sollte. Ist der manische Zustand gering ausgeprägt, spricht man von Hypomanie. Dieser Zustand kommt sehr viel häufiger vor. Betroffene gelten meist als „normal“, höchstens als „hyperaktiv“, „nervig“ oder „Machertyp“. Gleichwohl kann der Umgang mit diesen permanent zu gut gestimmten Charakteren anstrengend und belastend sein.
Im Zeitalter der modernen Medizin und Psychologie wird bei psychischen Problemen entweder auf die Anwendung chemischer Antidepressiva und/oder Psychotherapien gesetzt. Wie beurteilen Sie diese Optionen, und welche alternativen oder ergänzenden Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Dr. med. Wormer: Jede Therapieoption hat ihre Indikation und Berechtigung sowie bei richtiger Diagnose auch eine Erfolgswahrscheinlichkeit. Antidepressiva, alternative Mittel und Psychotherapie können einzeln oder kombiniert dazu beitragen, dass eine belastende oder lebensgefährliche Depression beseitigt wird. Zunächst muss geklärt werden, ob eine depressive Verstimmung oder eine echte Depression vorliegt. Dann muss sichergestellt sein, dass kein Mangelzustand irgendeiner Art herrscht. Wenn das geklärt ist und dennoch eine (zunehmend stärkere) Depression bemerkbar ist, sind Antidepressiva eine hilfreiche Option – um die Gemütslage zu stabilisieren und Suizid vorzubeugen. Antidepressiva sollten möglichst nur eine begrenzte Zeit benutzt werden. Psychotherapie kann bei jeder Stimmungsstörung wirksam und empfehlenswert sein. Sie ist gleichfalls eine bedarfsabhängige und temporäre Maßnahme, vor allem in Krisensituationen – mitunter erwies sich Psychotherapie in Studien mit Depressiven genauso wirksam wie Antidepressiva! Alternative Mittel sind die „First-Line-Therapie“ bei depressiven Zuständen und Verstimmungen: Beseitigung von Mangelzuständen, Behandlung von Drüsenstörungen, Förderung der Genesung, Stärkung des Immunsystems, Bewegungstraining oder künstlerische Aktivität.
Vitamin- und Mineralstoffmangelzustände sind oftmals die erste Ursache von Stimmungsstörungen. Welche davon sind mit Depressionen verbunden, und wie lässt sich Abhilfe schaffen?
Dr. med. Wormer: Die häufigsten Mangelzustände, die depressive Verstimmung verursachen, sind Vitamin-D-Mangel, Eisenmangel, Vitamin-B12-Mangel und Mangel an Schilddrüsenhormonen. All diese Zustände lassen sich leicht erkennen und erfolgreich behandeln – wenn man daran denkt und diese Möglichkeit nicht als belanglos oder unwichtig abtut. Ärzte wissen in der Regel wenig bis nichts darüber und verschreiben ihren Patienten beim kleinsten Anflug von Depressivität „reflexartig“ Antidepressiva – in jedem Fall viel zu häufig. Wer das zulässt, tappt möglicherweise völlig ahnungslos in die „Antidepressiva-Falle“, wo er jahrelang bleiben kann. Da sich Ärzte nur für „Kranke“ zuständig fühlen, müssen Sie selbst aktiv werden: Sie lassen Ihre Werte kontrollieren, identifizieren Mangelzustände und beseitigen sie durch Nahrungsergänzung. Es ist tatsächlich sehr einfach und sehr preiswert – und in sehr vielen Fällen sehr erfolgreich.
Was ist der Vorteil an den „natürlichen Antidepressiva“, und welche Risiken sind dabei zu beachten?
Dr. med. Wormer: Da natürliche Antidepressiva überwiegend körpereigene oder körperähnliche Stoffe sind, sind echte Nebenwirkungen kaum zu befürchten. Es gibt bei manchen Mitteln bestimmte Vorgaben für die Dosierung und Anwendung, die beachtet werden sollten. Die seltene Ausnahme ist der Elementarstoff Lithium, der nur unter ärztlicher Kontrolle eingesetzt wird – Lithium ist ein Stimmungsstabilisierer zur Behandlung der bipolaren Erkrankung. Gesunde Ernährung, körperliche Bewegung, Psychotherapie, Schlafentzug und Kunsttherapie sind sehr sichere Empfehlungen.
Aufgrund ihrer Neben- und Wechselwirkungen raten Sie vom leichtfertigen Gebrauch von Psychopharmaka ab. Wann ist der Einsatz der „chemischen Keule“ dennoch unerlässlich?
Dr. med. Wormer: Ja, ich rate dringend vom leichtfertigen Gebrauch von Antidepressiva ab und verabscheue die verantwortungslose Verordnung von Psychopharmaka! Antidepressiva und Psychopharmaka haben absolute Berechtigung bei echten Depressionen oder Psychosen. Sie können dabei helfen, schwere psychische Krisen zu überstehen und Suizide zu verhindern. Antidepressiva können im Akutfall und bei wiederkehrenden depressiven Phasen eingesetzt werden. Sie können auch Leben retten. Sie sind aber keine nachhaltige Lösung für eine psychische Störung oder ein Heilmittel für eine psychische Erkrankung.
So wie Depressionen oder Melancholie seit jeher große Kunstwerke inspiriert haben, bieten sich kreative Tätigkeiten als Therapiemöglichkeiten an. Welche Angebote halten Sie dabei für erfolgversprechend und wirksam?
Dr. med. Wormer: Das ist leicht zu beantworten: Jede Art künstlerischer oder kultureller Betätigung – sei es nun Musik, Malen, Schreiben, Töpfern oder was auch immer – kann die Psyche stabilisieren und zur Bewältigung von Stimmungsstörungen erfolgreich beitragen.
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.