Jede sechste HIV-Diagnose betrifft Menschen im Alter über 50 Jahre
Die Zahl der HIV-Diagnosen in Europa ist laut einer aktuellen Studie bei den Menschen im Alter über 50 Jahre deutlich gestiegen. Jede sechste neue Diagnose betrifft laut Aussage der Forscher des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) Menschen dieser Altersgruppe. Insgesamt bleibe die HIV-Epidemie mit rund 30 000 neu diagnostizierten Neuinfektionen pro Jahr in den 31 Ländern der Europäischen Union und des Europäischen Wirtschaftsraums ein bedeutendes Problem der öffentlichen Gesundheit.
Aus der aktuellen Studie geht hervor, dass die Rate der neu gemeldeten HIV-Fälle in Europa zwar bei den jüngeren Menschen zwischen 2004 und 2015 konstant geblieben ist, aber bei den älteren Menschen jährlich ein Anstieg um jeweils rund zwei Prozent zu verzeichnen war. „Die Studienergebnisse deuten darauf hin, dass sich die HIV-Epidemie in neue Richtungen entwickelt, die möglicherweise ein Ergebnis des geringen Bewusstseins für die Erkrankung sind“, so die Mitteilung des ECDC. Veröffentlicht wurde die Studie in dem Fachmagazin „The Lancet HIV“.
Mehr als 300.000 HIV-Diagnosen ausgewertet
Für die aktuelle Studie wurden sämtliche an das ECDC gemeldeten HIV-Diagnosen aus den Jahren 2004 bis 2015 ausgewertet. Demnach waren in der EU und dem Europäischen Wirtschaftsraum insgesamt 312.501 neue HIV-Diagnosen bei jüngeren Erwachsenen (15 bis 49 Jahre) festzustellen, was einem Schnitt von 11,4 Diagnosen pro 100 000 Einwohner entspricht. Hinzu kamen in den zwölf Jahren des Untersuchungszeitraums 54.102 HIV-Neudiagnosen bei Erwachsenen im Alter über 50 Jahre (2,6 Diagnosen pro 100.000 Einwohner).
17 Prozent der Neudiagnosen betreffen ältere Menschen
Bei den älteren Menschen ist die Zahl der Neudiagnose laut Aussage der Wissenschaftler deutlich gestiegen. Seit dem Jahr 2004 (3.132 HIV-Diagnosen bei über 50-Jährigen) habe sich die Rate der Neudiagnose in dieser Altersgruppe um zwei Prozent pro Jahr erhöht und im Jahr 2015 seien 5.076 gemeldete Infektionen bei über 50-Jährigen festzustellen gewesen, was einem Anteil von 17 Prozent an den Neudiagnose entsprach. „Die Zunahme neuer HIV-Diagnosen bei älteren Erwachsenen deutet auf die zwingende Notwendigkeit hin, das Bewusstsein bei den Gesundheitsdienstleistern für diese Altersgruppe zu erhöhen und für die gesamte erwachsene Bevölkerung gezieltere Präventionsmaßnahmen zu ermöglichen“, betonen die Studienautoren.
Oftmals erfolgt erst verspätet eine Diagnose
Aus den Studienergebnissen geht auch hervor, dass bei den älteren HIV-Infizierten die heterosexuelle Übertragung den Hauptweg der Infektion bildet, während bei jüngeren Erwachsenen sich vor allem homosexuelle Männer infizieren. Außerdem werde bei den älteren Menschen die Erkrankung oftmals erst sehr spät diagnostiziert, was erhebliche Schwierigkeiten bei der Behandlung mit sich bringt, berichten die Wissenschaftler. Bei rechtzeitiger Diagnose und entsprechend frühzeitiger Therapie könnten die meisten Infizierten durchaus ein fast normales Leben führen, doch sind die Schäden am Immunsystem bereits fortgeschritten, hat die Erkrankung oftmals einen frühzeitigen Tod zur Folge.
Zugang zu HIV-Tests verbessern
Bei den älteren Erwachsenen wurden laut Aussage der Wissenschaftler 63 Prozent der Fälle erst spät diagnostiziert, wobei dies anhand der Anzahl der sogenannten CD4-Zellen bestimmt wurde. Bei einem Wert von weniger als 350 Zellen pro Mikroliter Blut ist demnach von einer späten Diagnose die Rede, bei weniger als 200 CD4-Zellen pro Mikroliter liegt eine fortgeschrittene HIV-Erkrankung vor. Über alle Altersgruppen hinweg betrachtet wurden nach dieser Definition immerhin 53 Prozent der Infektionen frühzeitig erkannt. Für die ältere Menschen besteht allerdings offenbar in vielen Ländern ein Problem mit dem Zugang zu HIV-Tests und entsprechender Beratung, erklären die Forscher.
Tests aktiv anbieten
Ein entscheidender Faktor bei der frühzeitigen Diagnose von HIV-Infektionen unter älteren Erwachsenen ist laut Aussage der Forscher „das aktive Angebot eines HIV-Tests durch Gesundheitdienstleister“, wobei dieses Angebot an spezifische gesundheitliche Voraussetzungen gekoppelt werden könne. Das sei „ein sehr effektiver und vielversprechender Ansatz“, um auch ältere Erwachsene zu erreichen. Zusätzlich könne das Angebot eines Selbst-Tests eine wertvolle Ergänzungen darstellen und auch zu einer Normalisierung der HIV-Tests bei älteren Menschen und der erwachsenen Bevölkerung insgesamt beitragen.
Ärzteschaft sensibilisieren
Nicht zuletzt muss „die Ärzteschaft für das Thema sensibilisiert werden, auch in ländlichen Gebieten“, so die RKI-Epidemiologin Barbara Gunsenheimer-Bartmeyer, CO-Autorin der Studie, in einem Beitrag des Nachrichtenportals „WeltN24“. Beispielsweise sollte auch bei unspezifischen Symptomen wie einer erhöhten Infektionsanfälligkeit oder Gewichtsverlust gegebenenfalls ein HIV-Test durchgeführt werden. Insgesamt muss insbesondere das Angebot der Tests für ältere Erwachsene deutlich verbessert werden, so das Fazit der Forscher.
Eine steigende Zahl der HIV-Neudiagnosen war den Angaben der Wissenschaftler zufolge nicht nur bei Menschen im Alter über 50 Jahre festzustellen, sondern auch bei homosexuellen Männern und Drogenkonsumenten, die die Substanzen per Injektion ihrem Körper zuführen. (fp)
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