Selbstmedikation bei Beschwerden: Experten warnen vor leichtfertiger Eigenbehandlung
Vor allem bei vermeintlich harmlosen Erkrankungen wie einer Erkältung greifen viele Menschen schnell zu Medikamenten. Gesundheitsexperten warnen jedoch vor zu sorgloser Eigenbehandlung. Selbstmedikation ohne ärztliche Beratung kann für die Patienten gefährlich werden.
Im Herbst wird schnell in den Medikamentenschrank gegriffen
Zwar vertrauen viele Menschen darauf, dass die richtigen Mittel bei Erkältung natürliche Hausmittel wie Salbei, Honig oder Schwitzkuren sind, doch nicht wenige werden im heranrückenden Herbst mit seinem nasskalten Wetter bei Beschwerden wie Husten oder Kopfschmerzen zu Medikamenten greifen – und dies ohne einen Mediziner zu fragen. Untersuchungen zufolge sind Frauen weit vorn bei der Selbstmedikation. Gesundheitliche Gefahren durch Eigenbehandlung drohen aber beiden Geschlechtern gleichermaßen.
Häufige Verwendung von rezeptfreien Schmerzmitteln
Laut einer von der AOK Baden-Württemberg in Auftrag gegebenen repräsentativen Forsa-Umfrage greifen 21 Prozent der Baden-Württemberger mindestens einmal im Monat zu rezeptfreien Schmerzmitteln – drei Prozent sogar mindestens einmal pro Woche.
„Dabei können rezeptfreie Schmerzmittel zu ernsthaften Nebenwirkungen führen“, schreibt die Krankenkasse in einer Mitteilung.
Die häufigsten gesundheitlichen Risiken durch Schmerzmittel sind Schleimhautentzündungen, Geschwüre oder Blutungen im Magen-Darm-Trakt.
Zudem könne solche Medikamente das Herzinfarktrisiko erheblich erhöhen, wie Forscher in einer Studie feststellten.
Fachleute warnen vor sorgloser Eigenbehandlung
Gesundheitsexperten warnen vor zu sorgloser Eigenbehandlung. So sagte Josef Kammermeier, Vizevorsitzender des Bayerischen Apothekerverbands (BAV), gegenüber der Deutschen Presse-Agentur:
„Selbstmedikation ohne Beratung oder eine blinde Bestellung in anderen Vertriebskanälen kann gefährlich werden.“
Seiner Aussage nach käme Apothekern eine Rolle als „Filter“ zu. „Wir trennen vermeintliche Wundermittel und Quacksalberei von verantwortungsvoller Arzneimittelanwendung.“
Kopfschmerzen sind eine Domäne der Selbstmedikation
Auch beim mehrtägigen Deutschen Schmerzkongress, der am 11. Oktober in Mannheim beginnt, werden sich die Teilnehmer mit Themen wie Selbstmedikation – der Eigenbehandlung von Beschwerden – beschäftigen.
„Kopfschmerzen sind leider noch immer eine Domäne der Selbstmedikation“, erklärte die Präsidentin der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG), Privatdozentin Dr. med. Stefanie Förderreuther vom Klinikum Innenstadt der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München, in einer Mitteilung der Deutschen Schmerzgesellschaft.
Wie es darin heißt, vertrauen die meisten Menschen demnach auf Hausmittel gegen Kopfschmerzen oder frei verkäufliche Schmerzmittel aus der Apotheke. Insgesamt zehn Prozent gaben in einer Umfrage der DMKG an, sich bei Kopfschmerzen an einen Heilpraktiker zu wenden.
Die Ergebnisse der Umfrage sollen auf der Pressekonferenz zum Deutschen Schmerzkongress 2017 vorgestellt werden.
„Ich wünsche mir, dass von dem Kongress die Botschaft ausgeht, dass man Schmerzen gut behandeln kann“, sagte Dr. Förderreuther laut dpa.
Gefährlich werde es, wenn Schmerzen chronisch zu werden drohen. „Spätestens dann sollte man sich helfen lassen. Schmerz verändert das Wesen des Menschen und hat Einfluss auf Familie und Beruf“, so die Oberärztin.
Gutes Geschäft für Pharmakonzerne
Jeder Deutsche gibt laut Schätzungen pro Jahr rund 50 Euro für Selbstmedikation aus. Natürlich haben auch die Pharmakonzerne den Trend zur Selbstversorgung gegen Beschwerden wie Schnupfen, Husten und Heiserkeit längst erkannt.
Das Geschäft mit rezeptfreien, schmerzlindernden Mitteln boomt. Auch Mediziner tragen dazu bei. So berichtete die ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände im vergangenen Jahr, dass Ärzte in Deutschland rund 20 Millionen rezeptfreie Arzneien allein für Kinder verordneten.
Laut Kammermeier vom Bayerischen Apothekerverband könne es aus Sicht von Krankenkassen durchaus attraktiv sein, mehr Aufgaben auf Apotheker zu übertragen.
„Die Bedeutung der Selbstmedikation ist gestiegen, seit die meisten rezeptfreien Arzneimittel aus der Apotheke nicht mehr von den Krankenkassen erstattet, sondern von den Patienten selbst bezahlt werden müssen“, so der Experte laut dpa.
Allerdings bedeute rezeptfrei nicht harmlos. „Schmerzmittel können wie jedes andere wirksame Medikament auch Nebenwirkungen haben und zu Komplikationen führen“, erläuterte Dr. med. Jan Paulus, Arzt bei der AOK Baden-Württemberg.
„Um unerwünschte Wirkungen zu vermeiden, ist es wichtig, auf die richtige Anwendung zu achten. Dies gilt insbesondere für Menschen, die bestimmte Vorerkrankungen haben oder die häufiger zu Schmerzmitteln greifen.“
Schmerzen natürlich behandeln
Beim Fachkongress in Mannheim werden sich die Experten insbesondere mit der Volkskrankheit Kopfschmerz auseinandersetzen.
„Viele scheren alle Arten dieser Beschwerden über einen Kamm, aber Spannungskopfschmerz ist etwas völlig anderes als Migräne“, erklärte Förderreuther gegenüber der Deutschen Presse-Agentur.
Bei häufigen Kopfschmerzen müssen Betroffene dringend zum Arzt. „Das verhindert, dass der Schmerz chronisch wird. Es gibt auch gute Möglichkeiten der Vorbeugung. Insgesamt kann dies die Lebensqualität erheblich verbessern.“
Medikamente sind jedoch nicht die einzige Behandlungsmöglichkeit. Kongresspräsident Professor Dr. med. Matthias Keidel, Chefarzt am Campus Bad Neustadt/Saale, verwies in der Mitteilung auf nichtmedikamentöse Therapien:
„Entspannungsverfahren wie die progressive Muskelrelaxation nach Jacobson, Ausdauersport und verschiedene Arten von Biofeedback sowie die kognitive Verhaltenstherapie können helfen, die Kopfschmerzen in den Griff zu bekommen.“
Auch BAV-Vizechef Kammermeier erläuterte in der dpa-Meldung, dass man bei Kopfweh nicht immer zu Medikamenten greifen muss: „Hier können auch Bewegung, ein kalter Waschlappen, Flüssigkeit, eine Druckmassage oder Pfefferminzöl helfen.“ (ad)
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Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.