Schmetterlingskind erhält durch Gentherapie eine zweite Haut
Der siebenjährige Hassan leidet an der sogenannten Schmetterlingskrankheit, eine angeborene Hauterkrankung, die bei dem Kind bereits einen Großteil der Oberhaut zerstört hatte. Nachdem alle etablierten Therapien fehlgeschlagen waren, startete ein Mediziner-Team einen letzten Versuch, das Leben des Jungen durch eine Gentherapie zu retten. Mit großem Erfolg, denn nur zwei Jahre später kann Hassan wieder weitgehend am normalen Alltagsleben teilnehmen. Über den Ablauf der Behandlung berichten die Forscher aktuell im Fachmagazin „Nature“.
Haut löst sich bei geringster Berührung ab
Mediziner haben zum ersten Mal einen Jungen mit massiven Hautschäden erfolgreich mit einer Gentherapie behandelt. Der Junge leidet an der lebensbedrohlichen Schmetterlingskrankheit, bei der sich die Haut schon infolge kleinster Berührungen unter großen Schmerzen ablöst. Um das Leben des Kindes zu retten, führte das Behandlungsteam der Ruhr-Universität Bochum und des Center for Regenerative Medicine der Universität Modena (Italien) eine experimentelle Therapie durch: Sie transplantierten Haut aus genmodifizierten Stammzellen auf die Wundflächen und verhalfen dem Jungen dadurch zu einem weitgehend beschwerdefreien Leben, so die Mitteilung des Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikums Bergmannsheil.
Hautschichten sind nicht ausreichend miteinander verankert
Die Erbkrankheit Epidermolysis bullosa gilt als unheilbar und schränkt die Lebensqualität der Betroffenen stark ein. Sie wird auch als „Schmetterlingskrankheit“ bezeichnet, da die Haut – wie die empfindlichen Flügel eines Schmetterlings – extrem verletzlich ist.
Grund hierfür sind Mutationen in bestimmten Genen, die für die Bildung des Proteins Laminin-332 zuständig sind. Sind diese nicht intakt, kann sich die obere Hautschicht (Epidermis) nur unzureichend mit der darunterliegenden Hautschicht (Dermis) verbinden. In der Folge führen schon geringste Einwirkungen oder Stöße dazu, dass sich Blasen, Wunden und Vernarbungen auf der Hautoberfläche bilden und sich die Haut ablöst.
Junge wiegt nur noch 17 Kilogramm
Je nachdem, wie stark die Krankheit ausgeprägt ist, kann sie auch innere Organe betreffen oder schwere Funktionsstörungen hervorrufen. Oft verläuft sie lebensgefährlich – so auch im Falle des kleinen Hassan. Als der damals Siebenjährige im Juni 2015 auf der Kinderintensivstation des Katholischen Klinikums in Bochum aufgenommen wurde, waren bereits 60 Prozent seiner Oberhaut zerstört, berichtet das Bergmannsheil.
„Er litt an einer ausgeprägten Sepsis mit hohem Fieber und wog nur noch 17 Kilogramm – ein lebensbedrohlicher Zustand“, so Dr. Tobias Rothoeft, Oberarzt der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin am Katholischen Klinikum Bochum.
Kooperation mit italienischen Kollegen
Da alle etablierten Therapien fehl geschlagen waren, entschied sich das Bochumer Team der Kinderärzte und der Plastischen Chirurgen angesichts der schlechten Prognose für eine experimentelle Therapie: Die Transplantation genetisch modifizierter epidermaler Stammzellen. Als Vorbild dienten die Arbeiten von Prof. Dr. Michele De Luca vom Center for Regenerative Medicine an der Universität von Modena (Italien). Dieser hatte bereits eine Gentherapie für Epidermolysis bullosa an zwei Patienten getestet – dabei jedoch nur kleinere Hauttransplantate eingesetzt.
Nachdem die Eltern zugestimmt hatten und die notwendigen Genehmigungen eingeholt waren, konnte das Projekt starten. Die deutschen Ärzte schickten einige Hautzellen des Siebenjährigen nach Modena. Die italienischen Kollegen schleusten in die daraus gewonnenen epidermalen Stammzellen mithilfe sogenannter retroviraler Vektoren das gesunde Gen ein. Anschließend wurden die genmodifizierten Stammzellen im Labor vermehrt und zu transgenen Hauttransplantaten verarbeitet.
Fast alle Körperteile mit gezüchteter bedeckt
Nach der Zertifizierung des OP-Zentrums des Universitätsklinikums Bergmannsheil als gentechnische Einrichtung, konnte die gezüchtete Haut in zunächst drei Operationen auf Arme und Beine, den gesamten Rücken, die Flanken und Teile des Bauchs sowie des Halses und Gesichts transplantiert werden.
„Insgesamt wurden dem kleinen Patienten 0,94 Quadratmeter transgene Epidermis zur Deckung aller Defekte und damit 80 Prozent seiner Körperoberfläche transplantiert“, so Privatdozent Dr. Tobias Hirsch, Leitender Oberarzt an der Klinik für Plastische Chirurgie und Schwerbrandverletzte am Bergmannsheil.
Schon nach kurzer Zeit ging es dem Kind besser, die veränderten Stammzellen hatten der Mitteilung nach eine neue Oberhaut mit intaktem Laminin-332-Protein im Bereich aller transplantierten Hautbereiche gebildet. “Nach der zweiten Operation besserte sich sein Zustand enorm. Heute ist seine Haut stabil, er geht zur Schule, spielt Fußball und kann ein weitgehend normales Leben führen”, so Tobias Rothoeft von der Kinderklinik in Bochum, gegenüber der Nachrichtenagentur “dpa”.
Bei Verletzungen an der neuen Haut verlief die Heilung nicht anders als bei anderen Kindern. Das Einbringen des intakten Gens in das Erbgut der epidermalen Stammzellen hatte also funktioniert und konnte von den Wissenschaftlern als stabil nachgewiesen werden.
Laut dem internationalen Behandlungsteams sei der Junge der weltweit erste Patient, der großflächig mit Hauttransplantaten aus transgenen epidermalen Stammzellen versorgt wurde, berichtet das Bergmannsheil. „Dieser Ansatz bietet erhebliches Potenzial für die Erforschung und Entwicklung neuer Therapieverfahren zur Behandlung der Epidermolysis bullosa und von Patienten mit großen Hautschädigungen“, erklärt Dr. Tobias Hirsch.
Extreme Herausforderung für das Ärzte-Team
Die Therapie des kleinen Hassan verlangte den Experten jedoch einiges ab: „80 Prozent der Haut zu transplantieren und den Patienten über acht Monate intensivmedizinisch zu überwachen, war eine extreme Herausforderung“, betonen Tobias Rothoeft und Tobias Hirsch. „Die enge Zusammenarbeit zwischen den Bochumer Kliniken und die Expertise der Universität Modena hat zum Erfolg geführt. Darauf sind wir sehr stolz.”
Ob der Therapieverlauf weiterhin so positiv ausfalle, müsse sich den Experten zufolge nun zeigen. Denn generell besteht bei Gentherapien wie dieser das Risiko, dass sich das neue Gen an einer ungünstigen Stelle im Erbgut integriert und im schlimmsten Fall eine Krebserkrankung ensteht. Bisher seien bei dem Jungen aber keine derartigen Entwicklungen oder ein Tumor entdeckt worden, informieren die Forscher. Gleiches gelte für die zwei Patienten, die vor einigen Jahren bereits kleinere Hauttransplantate erhalten hatten. (nr)
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