LSG Darmstadt: Unterschenkelamputierter kann damit besser gehen
Gesetzliche Krankenkassen müssen Unterschenkel-Amputierten zum unmittelbaren Behinderungsausgleich auch besonders teure Prothesen bezahlen. Voraussetzung ist, dass das kostenaufwendige Hilfsmittel einen „wesentlichen Gebrauchsvorteil im Vergleich zur kostengünstigeren Alternative“ bietet, entschied das Hessische Landessozialgericht (LSG) in einem am Dienstag, 28. November 2017, veröffentlichten Urteil (Az.: L 1 KR 211/15). Die Darmstädter Richter sprachen damit einem beinamputierten Rentner die Kostenerstattung für ein mikroprozessorgesteuertes sogenanntes Genium-Kniegelenk zu.
Dem 82-Jährigen musste 2012 wegen eines Sportunfalls der linke Unterschenkel mitsamt Kniegelenk amputiert werden. Seine Krankenkasse versorgte ihn im Juli 2012 mit einem 28.000 Euro teuren, sogenannten C-Leg-Beinprothesensystem. Als er einen Monat später in der Reha das Genium-Kniegelenk entdeckte, beantragte er diese Prothese bei seiner Krankenkasse.
Ebenso wie das C-Leg ist das knapp 46.000 Euro teure Genium-Kniegelenk auch mikroprozessorgesteuert. Die Krankenkasse müsse aber wegen wesentlicher Vorteile beim Gehen und Stehen die Prothese bezahlen. Da das C-Leg teilweise beim Genium-Kniegelenk mit verwertet werden könne, würden zusätzliche Kosten in Höhe von rund 26.000 Euro anfallen.
Doch die Krankenkasse lehnte die Kostenerstattung für das Genium-Kniegelenk ab. Das C-Leg sei ausreichend. Das begehrte Kniegelenk lasse keine erheblichen Gebrauchsvorteile erwarten.
In seinem Urteil vom 9. November 2017 widersprach das LSG. Die Krankenkasse müsse die Kosten für das Genium-Kniegelenk erstatten. Die Prothese ersetze ein Körperteil und diene damit dem unmittelbaren Behinderungsausgleich. In solch einem Fall seien Hilfsmittel zu gewähren, wenn sie im jeweiligen Einzelfall „wesentliche Vorteile“ im Alltagsleben bieten.
Dies sei hier der Fall. Der sportbegeisterte Kläger könne mit dem Genium Kniegelenk leichter Hindernisse übersteigen, auf schrägem Untergrund stehen und besser Treppensteigen und Rückwärtsgehen als mit einem C-Leg. Mit dem Genium-Kniegelenk erreiche der Kläger den höchsten Mobilitätsgrad vier, bei einem C-Leg liege der Mobilitätsgrad bei ihm bei zwei bis drei. Für den 82-Jährigen, der in etwa so fit wie ein 60-Jähriger sei, sei das Genium-Kniegelenk die einzige Möglichkeit, seine Behinderung nahezu vollständig auszugleichen.
Auch das Bundessozialgericht (BSG) hat bereits mehrfach zur Kostenerstattung von Beinprothesen entschieden. So urteilten die Kasseler Richter am 16. September 2004, dass die Krankenkassen Versicherten zum unmittelbaren Behinderungsausgleich ein C-Leg wegen der „wesentlichen Gebrauchsvorteile“ finanzieren müsse (Az.: B 3 KR 1/04 R, B 3 KR 6/04 R und B 3 KR 2/04 R). Betroffene könnten den Alltag im Vergleich mit der Nutzung mechanischer Prothesen viel besser bewältigen. Ein Anspruch auf optimale Versorgung bestehe aber nicht.
Beinamputierte Versicherte können zudem neben einer normalen Laufprothese auch eine süßwassergeeignete Badeprothese beanspruchen, so das BSG am 25. Juni 2009 (Az.: B 3 KR 2/08 R und B 3 KR 19/08 R). Damit werde das Mobilitätsbedürfnis im häuslichen Bad oder im Schwimmbad befriedigt. Eine spezielle Salzwasserprothese müssten die Kassen aber nicht bezahlen, da diese kein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens befriedigt (Az.: B 3 KR 10/08 R).
Auch spezielle Sportprothesen, etwa um besser Badminton spielen zu können, dürften nicht zulasten der Versichertengemeinschaft gehen, urteilte das BSG am 21. März 2013 (Az.: B 3 KR 3/12 R; JurAgentur-Meldung vom 5. Juni 2013). Denn die Förderung des Freizeit- und Vereinssports gehöre grundsätzlich nicht zu den Aufgaben der Krankenkassen bei der Hilfsmittelversorgung. fle/mwo
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