Bundesverfassungsgericht: Kindeswohl für Sorgerecht maßgeblich
Will ein Junge dauerhaft ein Mädchen sein und sich entsprechend in der Öffentlichkeit auch kleiden, dürfen Eltern dies nicht entgegen des Kindeswohls verbieten. Dies hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem am Freitag, 29. Dezember 2017 veröffentlichten Beschluss klargestellt und die Zuweisung der alleinigen Sorge an einen getrennt lebenden Vater wieder gekippt (Az.: 1 BvR 1914/17).
Hintergrund des Rechtsstreits war der Wunsch eines 2008 geborenen Jungen, sich dauerhaft wie ein Mädchen verhalten und anziehen zu dürfen. Das Kind hielt sich regelmäßig nach dem sogenannten Wechselmodell abwechselnd bei den getrennt lebenden Eltern auf. Die Eltern übten die gemeinsame Sorge aus.
Doch mit dem im Alter von sechs Jahren erstmals geäußerten Wunsch, ein Mädchen sein zu wollen, kam es zum Erziehungsstreit. Vater und Mutter wollten gerichtlich die alleinige Sorge für sich durchsetzen, um das Kind auch „richtig“ erziehen zu können. Psychologische Untersuchungen ergaben den Verdacht einer Geschlechtsidentitätsstörung.
Die Mutter ging auf den Wunsch des Sohnes ein. Sie zog ihm Mädchenkleidung an, sprach das Kind mit einem Mädchennamen an und kommunizierte dies auch in der Schule. Sie verwies darauf, dass das Kind schließlich ernst genommen werden müsse und es in seinem gefühlten Geschlecht zufrieden leben solle.
Der Vater hielt davon nichts. Die Mutter würde den Wunsch des Sohnes mit ihrem Verhalten auch noch fördern. Es drohten Hänseleien in der Schule. Halte sich der Sohn bei ihm auf, sei alles unauffällig. Er verbot dem Kind, in der Öffentlichkeit als Mädchen aufzutreten. Der Vater baute darauf, dass sich das mit der Pubertät schon geben werde. Er plädierte zudem für eine psychotherapeutische Behandlung.
Das Kind selber hatte vor dem Amtsgericht erklärt, dass es ihm nichts ausmache, Jungen-Kleidung zu tragen. Sowohl zu dem Vater als auch zu der Mutter hatte es enge soziale Bindungen und wollte dies auch so beibehalten.
Das Oberlandesgericht (OLG) Naumburg sprach schließlich dem Vater die alleinige Sorge zu. Ob eine Geschlechtsidentätsstörung bei dem mittlerweile achtjährigen Kind vorliege, sei nicht eindeutig. Auch das Verhalten des Kindes sei „ambivalent“, selbst wenn es sich anders verhielte, dürfe dem Kind nicht kurzer Hand die Entscheidung überlassen werden, sich als Mädchen oder Junge zu kleiden. Nur der Vater gewährleiste ein „möglichst ergebnisoffenes, akzeptierendes und unterstützendes Vorgehen, so das ihm das alleinige Sorgerecht zuerkannt werden müsse“, entschied das OLG.
Die Mutter sah damit ihr im Grundgesetz geschütztes Elternrecht verletzt. Der Vater halte einen Geschlechterrollenwechsel für nicht vertretbar. Er mache vielmehr Druck. So habe er dem Kind gedroht, keine Weihnachtsgeschenke zu erhalten, wenn es sich nicht die Haare schneiden lasse.
In ihrem Beschluss vom 7. Dezember 2017 kippten die Verfassungsrichter nun die OLG-Entscheidung. Inwieweit ein Elternteil die alleinige Sorge für ein Kind zugesprochen bekommen kann, hänge maßgeblich vom Kindeswohl ab.
„Das Kind ist als ein Wesen mit eigener Menschenwürde und dem eigenen Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit unter den besonderen Schutz des Staates gestellt“, mahnte das Bundesverfassungsgericht. Hier habe das Kind mit der Kundgabe seines Willens von seinem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch gemacht.
Die Begründung des OLG sei für die alleinige Zuweisung der alleinigen Sorge nicht ausreichend. So habe das Gericht nicht berücksichtigt, welche Auswirkungen es habe, wenn das Kind gegen seinen Willen vom Vater gezwungen werde, nur noch als Junge in der Öffentlichkeit aufzutreten. Dabei habe ein gerichtlicher Gutachter „weitreichende negative Folgen“ befürchtet, wenn dem Kind ein gewünschter sozialer Geschlechterrollenwechsel vorenthalten werde.
Eine Kindeswohlgefährdung sei damit möglich, was das OLG nun prüfen müsse, so das Bundesverfassungsgericht. fle
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