Forscher testen computergestützte Gesichtsanalyse zur Diagnose
Die Digitalisierung wird das Gesundheitswesen revolutionieren, sowohl bei den Diagnosemöglichkeiten, als auch bei den Therapieoptionen. Schon jetzt haben Wissenschaftler der Berliner Charité und des Universitätsklinikums Bonn erfolgreich die computergestützte Gesichtsanalyse als Diagnoseinstrument getestet.
„Bei seltenen Erkrankungen kann die computergestützte Bildauswertung von Patientenporträts die Diagnose erleichtern und deutlich verbessern“, berichtet die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn von den Studienergebnissen. Anhand des Krankheitsbildes der GPI-Ankerstörungen (auch GPI-Ankersynthese-Störungen) konnten die Wissenschaftler zeigen, dass die computergestützte Auswertung von Porträtaufnahmen einen guten Ansatzpunkt zur Diagnose bietet. Ihre Ergebnisse haben die Forscher in dem Fachmagazin „Genome Medicine“ veröffentlicht.
Verbesserungen der Diagnosemöglichkeiten untersucht
Das internationale Forscherteam unter der Federführung von Dr. Alexej Knaus und Prof. Krawitz vom Institut für Genomische Statistik und Bioinformatik des Universitätsklinikums Bonn und Prof. Dr. Denise Horn vom Institut für Medizinische Genetik und Humangenetik der Charité hat in der aktuellen Studie untersucht, inwiefern die computergestützte Gesichtsanalyse zur Verbesserung der Diagnose von GPI-Ankerstörungen beitragen kann. Ebenso wurde untersucht, ob sich mit modernen, besonders schnellen DNA-Sequenzierungsverfahren und Oberflächenanalysen von Zellen die Diagnosemöglichkeiten verbessern lassen.
Was sind GPI-Ankerstörungen?
Ein Beispiel aus der Gruppe der GPI-Ankerstörungen ist das sogenannte Mabry-Syndrom. Diese seltene Krankheit führt zu geistiger Entwicklungsverzögerung und wird durch die Veränderung an einem einzigen Gen ausgelöst, berichten die Wissenschaftler. Das Syndrom gehöre „zu einer Gruppe, die wir als GPI-Ankerstörungen beschreiben und zu der über 30 Gene zählen“, erläutert Prof. Dr. Peter Krawitz vom Institut für Genomische Statistik und Bioinformatik des Universitätsklinikums Bonn.
Signalübertragung und Transport der Zellen gestört
Die „Anker“ aus Glycosylphosphatidylinositol (GPI) halten an der Außenseite der Zelle spezielle Proteine fest und wenn dies durch eine Genmutation nicht richtig funktioniert, werden die Signalübertragung und der Transport innerhalb der Zelle und zwischen den Zellen gestört, berichten die Forscher. Auch auf das äußerliche Erscheinungsbild der Betroffenen habe dies Einfluss. Allerdings sei das Spektrum des äußerlichen Erscheinungsbildes der GPI-Ankerstörungen weit gefächert, was die Identifizierung der Betroffenen erschwert.
Auswirkungen auf das Erscheinungsbild
„Die Auswirkungen einer Mutation in einem bestimmten Gen können sich von sehr milde bis hin zu sehr stark äußern“; berichten die Forscher. Dies gelte auch für die Auffälligkeiten im Gesicht. Beispielsweise seien bei dem Mabry-Syndrom „eine schmale, manchmal zeltförmige Oberlippe, eine breite Nasenwurzel und ein großer Augenabstand mit langen Lidspalten“ als klassische Merkmale bekannt. Diese können jedoch stärker oder schwächer ausgeprägt sein, was häufig die Diagnose der seltenen Erkrankung erschwere.
DNA-Sequenzierung, Zelloberflächenanalysen, computergestützte Bildanalyse
Da sich bei dem Mabry-Syndrom zudem die namensgebende Erhöhung der alkalischen Phosphatase im Blut ebenfalls nicht bei jedem Patienten nachweisen lässt, durchlaufen „Patienten und ihre Angehörigen häufig eine jahrelange Odyssee, bis die richtige Diagnose gestellt wird“, so Krawitz. Neue DNA-Sequenzierungsverfahren, Oberflächenanalysen von Zellen und die computergestützte Bildanalyse könnten hier die Diagnosemöglichkeiten in Zukunft deutlich verbessern.
Typische Gesichtsmerkmale erkennbar
In ihrer aktuellen Studien nutzten die Forscher die Aufnahmen der Gesichter von insgesamt 91 Patienten. Die ebenfalls durchgeführte Analyse der Zelloberflächen bei den Probanden ergab, dass bei einem Teil der Teilnehmer die für GPI-Ankerstörungen typischen Veränderungen vorlagen. Auch bei der Analyse des Erbguts konnten Genmutationen festgestellt werden, die für diese seltene Erkrankungsgruppe typisch sind, berichten die Forscher. Anschließend nutzten die Forscher „Methoden der künstlichen Intelligenz, um aus Daten zum Erbgut, der Oberflächenbeschaffenheit der Zellen und typischen Gesichtsmerkmalen Modelle der Erkrankungen zu simulieren.“
Diagnosemöglichkeiten erheblich verbessert
Die künstliche Modellierung der gen-typischen Gesichter anhand der vorliegenden Datensätzen hat laut Aussage von Erstautor Dr. Knaus ganz deutlich gezeigt, „dass die computergestützte Auswertung von Porträtaufnahmen der Patienten die Diagnose von GPI-Ankerstörungen erleichtern und verbessern kann.“ Das Studienergebnis ist nach Ansicht der Wissenschaftler „ein großer Fortschritt“ und mithilfe kombinierter Daten aus dem Labor und dem Computer erhoffen sie sich, auch die molekularen Prozesse solcher Erkrankungen besser zu verstehen.
Gesichtsanalyse auch bei anderen Erkrankungen anwendbar?
Beispielsweise sei ein erhöhter Wert für die alkalische Phosphatase im Blut bei gleichzeitig auffälligen Ergebnissen in der Bildanalyse ein verlässlicher Hinweis zur Einstufung einer neuen Mutation bei einer GPI-Ankerstörungen, erläutern die Experten. Die neuartige Kombination aus Zell- und Erbgutanalysen unsd computergestützter Bildauswertung ist ihrer Ansicht nach zukunftsweisend. „Absehbar lassen sich diese Methoden auch auf andere Krankheiten übertragen. Dies wäre hinsichtlich der Diagnose ein großer Sprung nach vorn“, so Prof. Krawitz. (fp)
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