OLG Hamm: Haftstrafe gegen Vater muss auch Tatfolgen berücksichtigen
Lässt ein nicht sorgeberechtigter Vater seinen sechsjährigen Sohn gegen dessen Willen und den Willen der Mutter aus religiösen Gründen beschneiden, muss er mit einer Haftstrafe wegen vorsätzlicher Körperverletzung rechnen. Wirkt sich die Beschneidung physisch oder psychisch belastend auf das Kind aus, muss dies strafverschärfend berücksichtigt werden, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Hamm in einem am Donnerstag, 18. Januar 2018, bekanntgegebenen rechtskräftigen Urteil (Az.: 5 RVs 125/17).
Im konkreten Fall hatte der heute 35-jährige aus Südeuropa stammende muslimische Angeklagte seinen Sohn aus religiösen Gründen beschneiden lassen. Die getrennt lebende und allein sorgeberechtigte Mutter hatte der Beschneidung des damals Sechsjährigen nicht zugestimmt.
Als das Kind jedoch in den Sommerferien 2015 zum Vater gebracht wurde, fuhr dieser zu einem Beschneidungszentrum in Essen. Der Sechsjährige hatte sich mit Händen und Füßen gegen die Beschneidung gewehrt, allerdings erfolglos. Ein medizinischer Grund für den Eingriff bestand nicht.
Das Landgericht Essen verurteilte den Vater schließlich zu einer einjährigen Bewährungsstrafe wegen vorsätzlicher Körperverletzung. Strafverschärfend wertete das Gericht, dass die Beschneidung gegen den Willen der allein sorgeberechtigten Mutter vorgenommen und die Sommerferien zur Durchführung der Tat ausgenutzt wurde. Auch sei der Junge zum Zeitpunkt der Beschneidung relativ alt gewesen. Er habe aber keine Möglichkeit gehabt, altersangemessen an der Entscheidung über den Eingriff mitzuwirken.
Die Staatsanwaltschaft hielt die einjährige Bewährungsstrafe für viel zu milde. Dass die Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde, sei rechtsfehlerhaft. So seien die physischen und psychischen Belastungen des Kindes nach der Tat nicht ausreichend berücksichtigt worden.
Dem folgte nun auch das OLG in seinem Urteil vom 21. November 2017. Das Landgericht habe bei der Strafzumessung nicht berücksichtigt, wie der eigentliche Beschneidungsvorgang gegen den Willen des Kindes abgelaufen sei. In welchem Ausmaß der geschädigte Sechsjährige bei der – regelmäßig mit Schmerzen verbundenen – Operation psychischen oder physischen Belastungen ausgesetzt gewesen sei, sei nicht voll aufgeklärt worden. Gleiches gelte für die Frage, inwieweit der Junge auch später noch unter dem Eingriff gelitten hat oder leidet.
Wollen sorgeberechtigte Eltern eine Beschneidung durchführen, müssten sie mit dem Kind den Eingriff altersgemäß besprechen und versuchen, Einvernehmen herzustellen. Obwohl der Vater hier nicht sorgeberechtigt ist, habe er noch nicht einmal ein Gespräch mit dem Kind durchgeführt, rügte das OLG.
Über die zu verhängende Strafe wegen des Vorwurfs der vorsätzlichen Körperverletzung muss nun eine andere Strafkammer am Landgericht Essen entscheiden.
Bereits am 30. August 2013 hatte das OLG in einem anderen Fall entschieden, dass Beschneidungen bei einer Kindeswohlgefährdung unzulässig sind (Az.: 3 UF 133713; JurAgentur-Meldung vom 25. September 2013). Nach Möglichkeit sei das Kind bei der Entscheidung über die Beschneidung mit einzubeziehen, so das OLG mit Verweis auf die gesetzlichen Bestimmungen.
Der Gesetzgeber hatte am 28. Dezember 2012 die Vorschriften so geändert, dass Eltern auch ohne medizinische Notwendigkeit die Beschneidung ihres Sohnes veranlassen können, vorausgesetzt, das Kind könne über diese Frage nicht selbst entscheiden. fle/mwo
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