Neue Möglichkeiten der Diagnose und Therapie bei Schwindelgefühlen
Gelegentliche Schwindelgefühle sind ein weit verbreitetes Beschwerdebild. Mit einem neuen System namens EQUIVert sollen hier die Diagnosemöglichkeiten und auch die therapeutischen Optionen in Zukunft deutlich verbessert werden.
Entwickelt wurde das neue System gemeinsam von Forschern des Fraunhofer-Instituts für Mikroelektronische Schaltungen und Systeme IMS in Duisburg mit Kollegen der Universität Duisburg-Essen, der GED Gesellschaft für Elektronik und Design mbH sowie der HNOnet NRW eG. Es soll eine objektive Diagnose der Beschwerden sowie neue Ansätze der Therapie ermöglichen.
Diagnose und Behandlung bislang schwierig
Schwindelgefühle können für die Betroffenen erhebliche Einschränkungen im Alltag mit sich bringen, die schlimmstenfalls bis hin zu einer Berufsunfähigkeit reichen. Laut Aussage der Forscher ist Schwindel nach Schmerzen der zweithäufigste Grund, aus dem Patienten die Behandlungszimmer von Allgemeinmedizinern aufsuchen. Allerdings gestalte sich sowohl die Diagnose als auch die Behandlung bislang schwierig. Wie stark die Schwindelgefühle sind, werde beim Arzt oftmals nur per Augenmaß bestimmt.
Objektive Bewertung des Schwindels
So werden die Patienten gebeten, mit geschlossenen Augen entweder ruhig stehen zu bleiben oder auf der Stelle zu gehen, während der Arzt dies beobachtet, um sich ein Bild über das Ausmaß der Beschwerden zu machen. Damit ist die Diagnose jedoch keineswegs objektiv. Mit dem neuartigen EQUIVert-System soll sich dies in Zukunft ändern. „Mit unserem System EQUIVert (…) können Ärzte den Schwindel objektiv bewerten“, betont Burkhard Heidemann, Gruppenleiter am IMS. Für die Diagnose nutzt das System ein Screening-Gerät namens EQUIMedi in Form eines Kopfhörers und entsprechender Software.
Bei der Diagnose bietet EQUIVert laut Aussage der Forscher objektive Daten, da mit dem Gerät EQUIMedi, das über integrierte Beschleunigungs- und Drehratensensoren verfügt, die exakten Schwankungen des Patienten erfasst werden können. Die Auswertung erfolgt anschließend am PC mit dem Analyseprogramm EQUISoft, welches es den Ärzten erlaubt, „Schwindel erstmals objektiv zu diagnostizieren“, so Heidemann.
Gleichgewicht trainieren
Bei der Behandlung der Schwindelgefühle hilft laut Aussage der Experten vor allem Training, doch dies bleibe meist auf die Praxisräume des Arztes beschränkt und es mangele an effektiven Systemen, die ein sicheres und zielführendes Üben in den eigenen vier Wänden erlauben. Hier biete das neue System mit dem Trainingsgerät EQUIFit den Betroffenen eine gute Möglichkeit, den Schwindel auf einfache, sichere und effiziente Weise zu lindern. Die Patienten können ihr Gleichgewicht jederzeit trainieren – sicher, wirkungsvoll und unkompliziert, so die Mitteilung der Fraunhofer-Gesellschaft.
Zusammenspiel verschiedener Sinnesorgane
Um zu verstehen, wie EQUIVert funktioniert, sind laut Aussage der Wissenschaftler zunächst die Ursachen des Schwindels zu erklären. So werde im gesunden Körper durch eine ganze Reihe von Organ- und Funktionssystemen dafür gesorgt, dass wir gerade stehen und sicher laufen können. Dabei seien Sensoren im Innenohr für die Erfassung der Bewegung des Kopfes und die Weiterleitung der Informationen an das Gehirn verantwortlich. Durch die Augen werden weitere Hinweise zur Lage unseres Körpers im Raum an das Gehirn vermittelt und auch Sensoren in Haut, Gelenken, Muskeln und Sehnen senden entsprechende Informationen an das Gehirn.
Wie entsteht Schwindel?
„Ist eines dieser Systeme gestört – sei es durch Erkrankungen im Innenohr, durch Nervenentzündungen oder vielfältige andere Ursachen – liefert das Gleichgewichtsorgan falsche Signale“, erläutern die Experten. Die Folge seien Schwindelgefühle. Werde das Gleichgewicht allerdings trainiert, etwa auf einem Wackelbrett, lerne das Gehirn auf Dauer, mit den falschen Signalen umzugehen. Bei Training mit offenen Augen, übernehmen laut Aussage der Wissenschaftler jedoch die Augen einen Großteil des Gleichgewichtsgespürs. Der Schwindel ist dabei nicht wirklich weg. Denn liegen Betroffene beispielsweise in einem dunklen Zimmer im Bett oder schließen sie ihre Augen, kehren die Beschwerden zurück, da keine Ausgleich über die Informationen der Augen mehr erfolgen kann.
Anwender durch akustische Signale geführt
Ein Training des Gleichgewichtssinns mit geschlossenen Augen auf dem Wackelbrett wäre eigentlich die logische Lösung, doch ist hierbei die Unfallgefahr nicht zu unterschätzen. Für das Training zuhause ist dies daher keine Option. Durch das EQUIVert-System werde das Problem jedoch behoben, berichten die Wissenschaftler. Betroffene setzen ihr Trainingsgerät EQUIFit auf und erhalten über Kopfhörer die Anweisung, gerade zu stehen, wobei sie über akustische Signale geführt werden, erklärt Burkhard Heidemann.
Gleichgewichts-Feedback über die Ohren
Schwanken Patienten bei dem Training beispielsweise zu weit nach rechts, ertönt per Kopfhörer ein Ton, der von rechts zu kommen scheint, erläutern die Forscher das System. EQUIFit funktioniere mit den akustischen Signalen ähnlich wie eine Einparkhilfe und kontrolliere, „wie gut der Patient die Übungen erfüllen konnte.“ So werde den Betroffenen ein Gleichgewichts-Feedback geliefert, das nicht über die Augen komme, sondern über die Ohren, die eng mit dem Gleichgewicht verknüpft sind. Gegebenenfalls schaltet das Gerät nach erfolgreicher Übung automatisch in die nächstschwierigere Stufe. (fp)
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Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.