Krebsdiagnose: Pinkeln statt piksen?
Urinuntersuchungen gehören zu den ältesten Methoden, bestimmte Erkrankungen etwa der Nieren oder Harnwege zu untersuchen. Die Ausscheidung kann allgemein viel über unseren Gesundheitszustand aussagen. Urin könnte sich auch für die Krebsdiagnose anbieten, wie Forscher nun berichten.
Zahl der Krebserkrankungen steigt
Gesundheitsexperten zufolge erkranken immer mehr Menschen an Krebs. Allein in Deutschland werden jährlich rund eine halbe Million Neuerkrankungen registriert. Die Zahl der Diagnosen hat sich hierzulande seit 1970 fast verdoppelt. Patienten können heutzutage allerdings stärker als früher auf Genesung hoffen. Wichtig hierfür ist jedoch eine möglichst frühe Diagnose. Laut Forschern könnte sich auch Urin für die Krebsdiagnostik anbieten.
Genetisches Material aus Urin
Forscher der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU), des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) und der Litauischen Universität für Gesundheitswissenschaften in Kaunas sind vom diagnostischen Potenzial des Urins überzeugt.
Der Grund dafür ist das darin enthaltene genetische Material, das als sogenannte zellfreie DNA neue Möglichkeiten für die Krebsdiagnostik bietet, heißt es in einer Mitteilung der Kieler Uni.
Den Angaben zufolge konnten die Forschenden aus einer Menge von 60 Millilitern Urin – ungefähr ein halber Urinbecher – im Labor genau so viel genetisches Material gewinnen wie aus einer Blutprobe von zehn Millilitern.
Dafür arbeitete das Wissenschaftlerteam an neuen Methoden, um die zellfreie DNA aus dem Urin zu entnehmen.
Ihre nun vorliegenden Ergebnisse veröffentlichten die Forschenden des Instituts für Klinische Molekularbiologie (IKMB) an der CAU gemeinsam mit den internationalen Kolleginnen und Kollegen in der Fachzeitschrift „BioTechniques“.
Menge an DNA im Urin von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich
Wie in der Mitteilung erklärt wird, bezeichnet der Begriff zellfreie DNA Bruchstücke von genetischen Informationen, die sich außerhalb von Zellen in verschiedenen Körperflüssigkeiten befinden.
Diese DNA-Bestandteile entstehen, wenn Körperzellen aber auch Tumorzellen absterben. Sie werden zunächst in den Blutstrom freigesetzt und gelangen von dort unter anderem auch weiter in den Urin.
Die Wissenschaftler stießen zunächst auf eine Reihe von Problemen: So ist die Menge an DNA im Urin von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich und variiert sogar bei ein und derselben Person von Tag zu Tag stark.
Aus diesem Grund waren die anfangs in den Proben enthaltenen DNA-Konzentrationen teilweise zu gering, so dass die Forschenden die jeweils gesammelten Urinmengen steigern mussten.
Sie beobachteten zudem regelmäßig, dass der Urin von gesunden Frauen mehr als doppelt so viel von der für die Diagnose vielversprechenden zellfreien DNA enthält wie eine identische Menge bei gesunden Männern.
Dieser Umstand muss bei der künftigen Krebsdiagnostik berücksichtigt werden, damit diese geschlechterspezifischen Unterschiede die Ergebnisse nicht verfälschen.
Tests für die Krebsdiagnose arbeiten meist mit Blutproben
Bislang arbeiten Tests für die Krebsdiagnose meist mit Blutproben. Manche dieser Bluttests nutzen zellfreie DNA, die aus einem möglichen Tumor stammt, um etwa bestimmte Lungen- oder Darmkrebsarten zu erkennen.
Ob das genetische Material aus dem Harn genauso gut für die klinische Forschung und Diagnostik geeignet ist wie Blut, möchten die Experten in den nächsten zwölf Monaten im Labor des IKMB an der Kieler Universität in weiterführenden Forschungsarbeiten klären.
„Dazu werden wir anhand der vorliegenden Proben der Studienteilnehmenden am UKSH die genetischen Spuren eines Tumors im Blutplasma und Urin vergleichen und schauen, ob auf beiden Wegen ein Nachweis der Erkrankung möglich ist“, sagt Michael Forster, Wissenschaftler am Institut für Klinische Molekularbiologie der CAU.
Vorteile für Patientinnen und Patienten
Die Forschenden in Kiel hoffen, künftig ein auf Urin basierendes Verfahren zu entwickeln, das ebenso sichere Diagnosen zulässt wie herkömmliche Bluttests. Dies böte zunächst Vorteile für Patientinnen und Patienten, denen so die unangenehme Blutentnahme erspart bliebe.
Zudem wäre ein solches Testverfahren schneller und weniger aufwändig als die bisherigen Methoden, da zum Beispiel anders als bei Bluttests kein medizinisches Personal bei der Probenentnahme erforderlich ist.
„In den USA werden bereits ähnliche Testverfahren zur Krebsdiagnose kommerziell angeboten. Vor Kurzem stellte ein internationales Forschungsteam zudem einen neu entwickelten, noch nicht klinisch zugelassenen Urintest für bestimmte Harnwegstumore vor“, beschreibt Forster den aktuellen Entwicklungsstand.
Und britische Forscher berichteten schon vor Jahren über einen Urintest, mit dem Bauchspeicheldrüsenkrebs diagnostiziert werden kann.
„Bis zur Einführung neuer klinischer Tests auf Urinbasis in Deutschland werden noch einige Jahre an klinischer Forschung sowie Kosten- und Nutzenabwägungen vergehen“, so Forster. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.