Faszientraining ist der neue Fitness-Trend
Gezieltes Training der Faszien (Bindegewebestrukturen, die sich durch den gesamten Körper ziehen) bildet nicht nur bei Profisportlern eine wichtige Übungseinheit, sondern findet auch im Breitensport zunehmend Anwendung. Der Direktor des Fascia Research Project der Universität Ulm, Dr. Robert Schleip, ist einer der Pioniere auf dem Gebiet des Faszientrainings. Er erläutert die Vorteile der „neuen“ Trainingsmethoden und weist auf die Grenzen ihrer Anwendungsmöglichkeiten hin.
Durch das Fazientraining soll das Fasernetzwerk der Bindegewebestrukturen hochelastisch, geschmeidig und belastbar gehalten werden, was einerseits vor Verletzung schützt und anderseits körperliche Höchstleistungen ermöglicht. Eine Besonderheit des Bindegewebes ist laut Angaben des Experten dessen enorme Anpassungsfähigkeit. So werde das Bindegewebe zum Beispiel bei anfordernden Belastung fester. Das alltägliche Gehen auf zwei Beinen habe daher eine spürbare Zunahme der Festigkeit bei der Oberschenkelfaszie zur Folge. Mit dem Faszientraining solle die kollagene Erneuerung durch spezifische Trainingsaktivitäten angeregt werden und die ständige Erneuerung der weichen Gewebe genutzt werden, um im Laufe von sechs bis 24 Monaten „einen seidig-geschmeidigen faszialen Ganzkörperanzug aufzubauen.“
Faszien bilden ein körperweiter Netzwerk
Das Bindegewebe wurde bei den herkömmlichen Trainingseinheiten mit Muskelaufbau, kardiovaskulärer Kondition und der neuromuskulären Koordination meist vernachlässigt. Erst im Zuge neuer Erkenntnisse zu der Bedeutung der Faszien für das Leistungsvermögen rückten diese verstärkt in den Fokus. Das Bindegewebe besteht im Wesentlichen aus Wasser, Kollagen und Zucker-Eiweiß Verbindungen, berichtet Dr. Schleip. Es verwebe sich zu Taschen, Beuteln, Umhüllungen und Strängen in zahlreichen Ausprägungen und vielerlei Formen. Die Faszien bilden dabei ein körperweites Netzwerk, dessen Struktur sich kontinuierlich an die täglichen Anforderungen anpasse. „Körpereigene Bindegewebszellen, die Fibroblasten, agieren als aktive Netzwerker und passen die interne Architektur der Faszien an deren wiederkehrende Dehn- und Bewegungsbelastungen an.“, schreiben Dr. Schleip und die Bewegungstherapeutin Divo Müller in dem Beitrag „Faszientraining – Theorie und Praxis zum Aufbau eines geschmeidig-kraftvollen Bindegewebes“.
Struktur der Faszien passt sich an
In Ansätzen findet das Training des Bindegewebes laut Aussage des Experten bereits bei alternative Bewegungsübungen wie Pilates, Tai Chi, Yoga, oder Chi Gong Berücksichtigung. Ein gezieltes Faszientraining biete jedoch mehr Möglichkeiten. Auffallend ist Dr. Schleip zufolge, dass die fazialen Gewebe von jungen Menschen eine Scherengitter-Ausrichtung bei deutlich ausgeprägter Wellenstruktur der Einzelfasern aufweisen. Geeignete sportliche Belastung führe zur Ausformung einer intensiveren Wellenstruktur. Bewegungsmangel bewirke hingegen eine multi-direktionale (Filz-ähnliche) Architektur des Fasernetzwerkes und gleichzeitig eine verminderter Wellung der Einzelfasern, wie sie auch bei älteren Menschen zu beobachten sei.
Muskelaktivierung bei gleichzeitiger Dehnung
Für den zusätzlichen Aufbau von elastischen Fasern, ist eine dynamische Muskelanforderung, die eine Muskelaktivierung mit einer gleichzeitigen Dehnung verbindet, laut Aussage des Experten gut geeignet. Dies könne zum Beisiel durch sanftes elastisches Wippen an den Endpunkten einer Bewegungsposition erfolgen. Neuere Erkenntnisse hätten die Annahme bestätigt, dass über adäquate und regelmäßige Dehnbelastungen der Aufbau einer jüngeren Kollagenstruktur angeregt werden kann. Diese ordne sich hierdurch in einer wellenförmigen Architektur, was mit einer deutlich gesteigerten, elastischen Speicherkapazität einhergehe.
Faszienrollen für den Einsatz zu Hause
Das wohl bekannteste Einsatzinstrument des Faszientrainings ist die Faszienrolle, welche sich auch für Übungen zu Hause eignet. Sie wird mit unterschiedlichem Druck über Oberschenkel, Rücken, Arme oder andere betroffene Körperpartien gerollt, wodurch eine lokale Stimulation des Bindegewebes erfolgt. Je nach Statur und individueller Gewebequalität kommen Roller unterschiedlicher Festigkeit zum Einsatz, berichtet Dr. Schleip. Verhärtungen des muskulären Bindegewebes sollen hierdurch gelöst werden. Vergleichbare Techniken seien als „Myofascial Release“ aus der Manualtherapie (insbesondere dem Rolfing) bekannt, so Schleip.
Durch den Druck mit den Händen Knöcheln oder Ellenbogen sollen hier die faszialen Adhäsionen und Verdickungen gelöst werden. Bei den „Release-Techniken“ im Faszientraining könnten die Betroffenen mit Hilfe spezifischer Hilfsmittel wie einem Tennisball oder der Faszienrolle selbst aktiv werden, erläutert Dr. Schleip weiter. Die Hilfsmittel ersetzen dabei den Druck der Hand oder des Ellenbogens.
Faszientraining nur als Ergänzung zum Trainingsprogramm geeignet
Von dem aktuellen Hype um das Faszientraining in Fitnesscentern, Yoga-, Pilatesstudios und sogar Volkshochschulen hält Dr. Schleip eher wenig. Hier werde bisweilen „mächtig übertrieben“, berichtet der Fachmann gegenüber „Spiegel Online“. Werbeslogans wie „Muskeltraining ist out, Faszien sind in“ seien schlichter Blödsinn. Das Faszientraining sollte vielmehr als kleine, aber wichtige Ergänzung für den Trainingsbereich angesehen werden. Sobald sich der Hype gelegt habe, wird dies seiner Ansicht nach als allgemeines Verständnis der speziellen Trainingsform übrig bleiben.
In Bezug auf den Einsatz der Faszienrollen erläutert der Experte, dass auch hier Grenzen für die Anwendung bestehen. Beispielsweise könnte das Rollen bei Menschen mit ausgeprägten Lymph- oder Durchblutungsstörungen negative Folgen haben, wenn sie mit zu viel Druck arbeiten. Zudem habe die Anwendung langsamer Rollbewegungen bei Sportlern mitunter zur Folge, dass in den folgenden fünf bis zehn Minuten die Schnellkraft verringert ist. (fp)
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