Nach Atomunfällen bleiben oft schwere psychische Traumata
Nuklearkatastrophen wie in Fukushima oder Tschernobyl sorgen für Entsetzen und tiefe Betroffenheit. In der Berichterstattung stehen in der Regel die körperlichen Verletzungen und Folgeschäden der Opfer wie z.B. Krebs oder Fehlbildungen im Mittelpunkt. Die seelischen Wunden werden hingegen meist vernachlässigt – obwohl ein so genannter „größter anzunehmender Unfall“ (GAU) bei vielen Betroffenen zu schwerem psychischen Leid führt.
Wissenschaftler fordern stärkere Aufklärung der Opfer
Mehr Krebsfälle, akute Strahlenkrankheit oder genetische Fehlbildungen: Nach Atomkatastrophen wie in Tschernobyl (1986) oder Fukushima (2011) stehen vor allem die gesundheitlichen Schädigungen und Langzeitfolgen der Betroffenen im Fokus der medialen Berichterstattung. Das seelische Leid erfährt hingegen meist nur wenig Aufmerksamkeit, obwohl ein GAU laut einer aktuellen Studie oft zu massiven psychischen Traumata führt. Forscher der Fukushima Medical University fordern daher, die betroffenen Menschen stärker über die tatsächlichen Folgen einer Nuklearkatastrophe aufzuklären.
Bewohner leiden unter Depressionen und Belastungsstörungen
Dies berichten die Wissenschaftler im Fachmagazin „The Lancet“, wobei ihr Artikel Teil einer Serie ist, die sich anlässlich des 70. Jahrestages der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August 1945 den anhaltenden radiologischen und psychologischen Auswirkungen von Atomkatastrophen widmet. Demnach hätten auch 20 Jahre nach dem Unglück in Tschernobyl viele Menschen in dem betroffenen Gebiet an Depressionen und posttraumatischen Belastungsstörungen gelitten. Ähnliches gelte für die Opfer von Fukushima: Denn von den Erwachsenen, die aufgrund des GAUs ihre Heimat verlassen mussten, seien knapp 15% von psychischen Problemen betroffen – während der Anteil in der Restbevölkerung bei nur drei Prozent läge.
Dies könne möglicherweise im Zusammenhang mit den chaotischen Zuständen bei der Evakuierung stehen, zudem seien die Menschen damals nicht ausreichend über die gesundheitlichen Gefahren aufgeklärt worden. „Obwohl die Strahlenbelastung für die Menschen nach Fukushima relativ niedrig war und keine erkennbaren körperlichen Gesundheitsschäden erwartet werden, hatten psychische und soziale Probleme einen verheerenden Einfluss auf das Leben der Menschen”, so Studienleiter Koichi Tanigawa.
Ärzte sollten intensiver auf psychische Belastungen achten
Dementsprechend müsse der Umgang mit dem Thema verändert werden, indem die Bewohner unter anderem umfassender über die Gesundheitsrisiken informiert und intensiver medizinisch betreut werden sollten, schreibt ein weiteres Forscher-Team um Prof. Akira Ohtsuru von der Fukushima Medical University in „The Lancet“. „Während der Erholungsphase nach einer nuklearen Katastrophe könnten Ärzte psychische Belastungen überprüfen und eine allgemeine physische und psychische Gesundheitsversorgung für die vielen betroffenen Einwohner anbieten, die ihre Heimatgebiete langfristig verlassen mussten“, schreiben die Wissenschaftler in ihrem Artikel.
Ein wichtiger Aspekt, denn nach dem Unglück in Fukushima im März 2011 mussten 170.000 Bewohner im Umkreis von 30 Kilometern aus dem Gefahrengebiet evakuiert werden.Die Dringlichkeit einer medizinischen Betreuung betonen auch Kenji Kamiya von der Hiroshima University und sein Team. Da die Strahlenbelastung das Risiko für Krebs im Laufe des Lebens erhöhe, sei eine medizinische Nachbeobachtung der Überlebenden unerlässlich, schreiben die Wissenschaftler in einem weiteren Artikel der Lancet-Serie. Zudem könne „bei hohen Dosen, und möglicherweise bei niedrigen Dosen, […] die Strahlung das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und einigen anderen Nicht-Krebserkrankungen erhöhen“, so die Forscher weiter. Unklar sei hingegen noch, ab welchem Strahlenwert das Risiko für Folgeerkrankungen steige. Daher sei es wichtig, nicht nur die gesundheitlichen Auswirkungen nuklearer Unfälle zu erforschen, sondern auch Grenzwerte und Schutzstandards zu entwickeln. (nr)
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