EGMR weist Abtreibungsgegner Annen ab
Der katholische Abtreibungsgegner Klaus Günter Annen darf Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, nicht als „Mörder” bezeichnen. Entsprechende Unterlassungsverfügungen deutscher Gerichte sind rechtmäßig und verletzen Annen nicht in seinem Recht auf freie Meinungsäußerung, urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) am Donnerstag, 20. September 2018, in Straßburg (Az.: 3682/10 und weitere).
Annen gehört zu den profiliertesten Abtreibungsgegnern in Deutschland. Er betreibt eine Homepage, auf der er auch rechtlich zulässige Schwangerschaftsbrüche mit dem Holocaust vergleicht. Zuletzt hatte er mehrere Hundert Ärztinnen und Ärzte wegen vermeintlicher „Werbung” für den Schwangerschaftsabbruch angezeigt, darunter die Gießener Hausärztin Kristina Hänel und die Kasseler Frauenärztinnen Natascha Nicklaus und Nora Szász, deren Gerichtsverfahren bundesweit für Aufsehen gesorgt hatten.
Auf seiner Homepage stand früher: „Pervertierte Ärzte ermorden im Auftrag der Mütter die ungeborenen Kinder.” Und: „Beten Sie (…) für die Mediziner (…), welche den MORD der Abtreibungstötung selbst vornehmen” (Hervorhebung wie im Original).
Vor dem Landgericht Karlsruhe erwirkte im Februar 2007 ein Arzt hiergegen eine Unterlassungsverfügung. Das Wort Mord werde gemeinhin als schwere Straftat verstanden; ein Schwangerschaftsabbruch im Rahmen der Fristenlösung sei aber nicht strafbar. Eine von Annen eingelegte Verfassungsbeschwerde hiergegen blieb ohne Erfolg (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Juli 2009, Az.: 1 BvR 1663/07).
Die Rechtslage in Deutschland wird gemeinhin so verstanden, dass Schwangerschaftsabbrüche zwar generell unzulässig sind, im Rahmen der Fristenlösung aber dennoch nicht unter Strafe stehen.
Annen hatte 2005 einem anderen Arzt in einem Flugblatt „rechtswidrige Abtreibungen” vorgeworfen, „die aber der deutsche Gesetzgeber erlaubt und nicht unter Strafe stellt”. 2015 hatte der EGMR entschieden, dass dies von der Meinungsfreiheit gedeckt war (Urteil und JurAgentur-Meldung vom 26. November 2015, Az.: 3690/10).
In ihrem neuen Urteil (Az.: 3682/10) rügten die Straßburger Richter, Annen habe diese Differenzierungen in seinem Internet-Text nicht gemacht. Stattdessen richte er „schwere Strafvorwürfe” gegen die Ärzte. Zulässig hätten die deutschen Gerichte daher das Persönlichkeitsrecht des Arztes schwerer gewichtet als die Meinungsfreiheit Annens.
Auch eine weitere Unterlassungsverfügung des Landgerichts Karlsruhe hatte vor dem EGMR Bestand (Az.: 3687/10). In einem Faltblatt Annens hieß es: „Wussten Sie schon, dass Dr. S. Abtreibungen durchführt, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts rechtswidrig sind?” Auch dies wurde dann in Verbindung mit dem Begriff „Mord” gebracht. Hier betonte der EGMR, dass der Begriff „rechtswidrig” zwar formal richtig sei. Im Kontext gelesen würden aber auch hier dem Arzt Mordvorwürfe gemacht.
Im dritten Fall (Az.: 9765/10) geht es um ein Flugblatt, das Annen direkt vor einer Arztpraxis Passanten und auch Patientinnen in die Hand gedrückt hatte. Auch hier war von rechtswidrigen Abtreibungen die Rede. Weiter hieß es: „Die Ermordung der Menschen in Auschwitz war rechtswidrig, aber der moralisch verkommene NS-Staat hatte den Mord an den unschuldigen Menschen erlaubt und nicht unter Strafe gestellt.” Auch hier bestätigte der EGMR die Unterlassungsverfügung. Denn Annen habe gezielt einen einzelnen Arzt an den Pranger gestellt, auch um das Vertrauensverhältnis zu den Patientinnen zu beeinträchtigen.
Der vierte Fall (Az.: 70693/11) war der einzige, in dem das Landgericht Karlsruhe neben einer Unterlassungsverfügung dem klagenden Arzt auch Schadenersatz zugesprochen hat: 10.000 Euro. Dabei geht es um Aussagen, die früher von Annens Internetseite aus durch ein oder zwei Links zu erreichen waren. Darunter: „Den Babycaust mit dem Holocaust gleichzusetzen würde bedeuten, die heutigen Abtreibungsmorde zu relativieren.”
Auch hier entstehe wieder der unzulässige Mordvorwurf, betonte der EGMR. Dabei untergrabe der Holocaust-Vergleich ernsthaft die Reputation der auf der Seite genannten Ärzte. Neben der Unterlassungsverfügung sei daher auch der Schadenersatz angemessen. mwo/fle
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