LSG Halle: psychisches Trauma wegen eingeklemmtem Pkw unter Schranke
Klemmt ein Fahrdienstleiter der Deutschen Bahn beim Herunterlassen einer Bahnschranke ein Auto ein, kann der dabei erlittene Schock des Bahn-Arbeitnehmers einen versicherten Arbeitsunfall begründen. Dies gilt auch dann, wenn der Schrankenvorfall glimpflich ausgegangen ist und der Versicherte einen Zusammenstoß des herannahenden Zuges mit dem Auto nur erwartet hat, entschied das Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt in Halle in einem kürzlich veröffentlichten Urteil vom 19. April 2018 (Az.: L 6 U 150/14).
Im konkreten Fall arbeitete der Kläger in einem Flachstellwerk der Deutschen Bahn und hatte am 25. November 2011 für die Durchfahrt eines Zuges die Schranke an einem Bahnübergang geschlossen. Doch dann hatte der Bahn-Beschäftigte plötzlich von weitem gesehen, wie ein Auto trotz des herannahenden Zuges unter der Schrankenanlage klemmte.
Der Mann erlitt wegen der Vorstellung des zu erwartenden Unfalls einen Schock, zumal er auch in der Vergangenheit selbst schon ähnliche Vorfälle erlebt hatte. Dass der Autofahrer seinen Pkw bereits verlassen hatte, hatte der Bahn-Angestellte nicht erkennen können. Der herannahende Zug fuhr letztlich knapp und langsam an dem Auto vorbei. Es kam bis auf ein paar Schrammen zu keinen Unfall.
Nach dem Beinahe-Unfall machten sich bei dem Angestellten psychische Beschwerden bemerkbar, wie Depressionen, Antriebs-, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen sowie eine innere Unruhe und Augenzucken. Ein Gutachter stellte eine unfallbedingte Anpassungsstörung mit Angst und depressiver Störung fest. Infolge der psychischen Beschwerden wurde der Mann vom Bahnmedizinischen Dienst am 2. Oktober 2013 auf Dauer als betriebsuntauglich eingestuft.
Der zuständige Unfallversicherungsträger lehnte die Anerkennung als Arbeitsunfall ab. Die gesamte Gefahrensituation habe nur in der Vorstellung des Fahrdienstleiters bestanden. Das Auto sei zwar unter der Schranke eingeklemmt gewesen, habe aber nicht auf den Gleisen gestanden. Der Bahn-Beschäftigte selbst habe sich auch nicht in Lebensgefahr befunden, so dass mit Blick auf die früheren schweren Bedrohungssituationen eine Retraumatisierung nicht vorliege. Die Zusammenrechnung verschiedener Unfallereignisse in der Vergangenheit sehe zudem das Unfallversicherungsrecht nicht vor.
Doch das LSG urteilte, dass ein Arbeitsunfall vorliegt. Der Kläger habe als Fahrdienstleiter unter dem Schutz der Unfallversicherung gestanden. Das Ereignis sei im Zuge seiner Arbeitstätigkeit geschehen. Das Geschehen stelle auch ein „von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis” dar, wie dies das Gesetz verlangt.
Entscheidend sei dabei, dass ein äußeres Ereignis – hier das unter einer Schranke eingeklemmte Auto – als Ursache einen Gesundheitsschaden bewirkt. Dem Fahrdienstleiter hätten nach dem Schließen der Schranke auch keine Maßnahmen mehr zur Verfügung gestanden, um die als sicher vorhergesehene Kollision mit dem Pkw zu unterbinden.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) seien auch Schockreaktionen vom Unfallversicherungsschutz umfasst. Hier habe der Kläger wegen des erwarteten Unfalls ein psychisches Trauma erlitten. Dies sei auch ursächlich mit der versicherten Tätigkeit verbunden. Denn es sei nicht belegt worden, dass die erlittene psychosomatische Störung durch jedes Alltagsereignis ebenfalls hätte ausgelöst werden können.
Gegen das Urteil wurde Revision beim BSG eingelegt. Dort ist das Verfahren unter dem Aktenzeichen B 2 U 8/18 R anhängig.
Bereits am 29. November 2011 hatte das BSG entschieden, dass auch ein Beinahe-Unfall ein Arbeitsunfall sein kann (Az.: B 2 U 10/11 R und B 2 U 23/10 R). Konkret ging es um zwei Lok-Führer, die mit einer Notbremsung einen Unfall mit einem Fußgänger beziehungsweise einem Pkw verhindern konnten. Entscheidend für die Anerkennung als Arbeitsunfall sei es, dass ein von außen kommendes, plötzlich auftretendes Ereignis zu einer Gesundheitsstörung bei dem Versicherten führt. fle/mwo/fle
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