Werden wir in Zukunft Depressionen einfach umkehren können?
Die direkte Aktivierung eines Gens, welches für die Anregung unserer sogenannten exzitatorischen Neuronen wichtig ist und mit schweren Depressionen in Zusammenhang gebracht wird, könnte dazu beitragen, klassische Symptome wie soziale Isolation und Interessenverlust umzukehren, zumindest bei Männern.
Die Wissenschaftler des Medical College of Georgia an der Augusta University stellten bei ihrer aktuellen Untersuchung fest, dass die Aktivierung eines speziellen Gens klassische Symptome einer Depression, wie beispielsweise soziale Isolation und Interessenverlust, umzukehren scheint. Die Mediziner publizierten die Ergebnisse ihrer Studie in dem englischsprachigen Fachblatt „Molecular Psychiatry“.
SIRT1 aktivierende Medikamente zur Behandlung von Depression?
Die Experten untersuchten bei ihrer Studie den präfrontalen Kortex, einen Gehirnbereich, der an komplexen Verhaltensweisen wie Planung, Persönlichkeit und sozialem Verhalten beteiligt ist. Dabei fanden sie heraus, dass wenn das sogenannte SIRT1-Gen deaktiviert wurde, dadurch Symptome von Depressionen bei den männlichen Mäusen entstanden. Wenn im wirklichen Leben Stress zur Entstehung von Depressionen geführt hat, könnte also ein Medikament, welches SIRT1 aktiviert, die Symptome rückgängig machen, zumindest bei Männern, erklären die Autoren der Studie. Medikamente, die SIRT1 aktivieren und die übliche hohe Aktivität der exzitatorischen Neuronen ermöglichen, könnten eines Tages eine wirksame Therapie für Menschen mit schwerer Depression sein, so die Experten.
SIRT1 reguliert Zellkraftwerke
Die Abgabe (Abfeuern) von Signalen und die Kommunikation der Neuronen ist bei Depressionen eindeutig verringert. Andere Krankheiten wie beispielsweise manisches Verhalten und Anfälle deuten hingegen auf eine übermäßige Abgabe von Signalen hin. Eine weitere bekannte Rolle von SIRT1 in Gehirnzellen besteht in der Regulierung von Zellkraftwerken, den sogenannten Mitochondrien. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass zumindest teilweise SIRT1 bei Männern die Erregbarkeit dieser normalerweise angeregten Neuronen beeinflusste, indem die Anzahl der Zellkraftwerke und die Expression von Genen, die an der Kraftwerksproduktion beteiligt sind, verringert wurde. Die Verhaltensweisen, die sie als Folge davon sahen, sind ein weiterer Indikator für die Bedeutung von SIRT1 bei der Stimmungsregulierung. auch konnten sie feststellen, dass die Auflösung stressinduzierter Depressionen bei männlichen Mäusen zu einer Aktivierung von SIRT1 führte, welches zuvor durch den Stress deaktiviert wurde.
Keine vergleichbaren Auswirkungen bei weiblichen Tieren?
Die Experten beobachteten zudem, dass es offenbar keine Auswirkungen bei weiblichen Mäusen gab. Dies war erstaunlich, weil die SIRT1-Variante erstmals bei einer groß angelegten Studie mit depressiven Frauen identifiziert wurde. Die Mediziner vermuten, dass körperliche Unterschiede in der vorderen Gehirnregion, wie Unterschiede in der Anzahl von Neuronen und Synapsen zwischen Männern und Frauen, die dabei gefundenen Geschlechtsunterschiede erklären könnten. Die Wissenschaftler untersuchen bereits, ob sie ähnliche Geschlechtsunterschiede auch im Hippocampus finden lassen, einer anderen Gehirnregion, welche bei Depressionen und anderen Erkrankungen wie Alzheimer eine wichtige Rolle spielt.
Auswirkungen von Anhedonie
Depressive Menschen und depressive Mäuse verhalten sich recht ähnlich. Sie zeigen eine sogenannte Anhedonie, eine Art Unfähigkeit Glück und Freude zu empfinden. Die Mediziner nutzten die übliche Vorliebe der Mäuse für eine süße Saccharoselösung, um ihre Depression zu messen. Wenn die Tiere vor die Wahl gestellt werden, trinken sie normalerweise die Lösung. Bei Anhedonie verlieren sie diese Vorliebe nicht notwendigerweise, aber ihr Interesse verringert sich. Männliche Mäuse suchen außerdem keinen sozialen Kontakt mehr und werden stattdessen Einzelgänger. Sie verlieren sogar ihr Interesse an Sex und an den Pheromonen der Weibchen, erläutern die Wissenschaftler.
Wodurch werden Depressionen verursacht?
Bereits vorhandene Medikamente, die bisher niemals zur Behandlung von Depressionen verwendet wurden, sollen jetzt genau untersucht werden, um so festzustellen, ob sie eine ähnliche Wirkung auf SIRT1 haben, wie das bei der Studie verwendete Arzneimittel. Depressionen werden im Allgemeinen durch eine Kombination von genetischen und Umweltfaktoren verursacht. Einige Menschen werden wahrscheinlich mit einer SIRT1-Variante geboren, die sie für Depressionen prädisponiert, obwohl auch Umweltfaktoren eine Rolle spielen, wenn Depressionen auftreten, berichten die Autoren der Studie. Solch eine SIRT1-Variante ist aber wahrscheinlich sehr selten und kann nur mit Depressionen in Verbindung gebracht werden, sie kann nicht als ursächlich betrachtet werden. Es ist bekannt, dass der präfrontale Kortex eine Rolle bei den emotionalen Reaktionen spielt und an der Steuerung von Neurotransmittern wie Serotonin beteiligt ist, welche für die Stimmungsregulierung entscheidend sind. Der Schweregrad der Depression korreliert mit dem Inaktivitätsgrad dieser Gehirnregion, schreiben die Autoren der Studie.
SIRT1-Gen wurde erst bei Frauen entdeckt
Eine im Jahr 2015 in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlichte Studie berichtete über Untersuchungen von 5.303 chinesischen Frauen mit schweren depressiven Störungen. Bei der Untersuchung identifizierten die Forschenden eine Variante des SIRT1-Gens als eine von zwei mit der Störung assoziierten Varianten. Die Wissenschaftler replizierten den Befund später bei Männern. (as)
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.