Klebereiweiß: Ist Gluten wirklich ungesund?
Glutenfreie Lebensmittel liegen im Trend. Nicht nur Menschen, die an einer Unverträglichkeit leiden, sondern auch viele gesunde Personen greifen darauf zurück. Doch ist das Klebereiweiß wirklich ungesund? Ein Experte erklärt, für wen solche Nahrungsmittel sinnvoll sind und wer die Glutenfrei-Welle ignorieren kann.
Lebenslang glutenhaltige Lebensmittel meiden
Gesundheitsexperten zufolge leidet etwa ein Prozent der deutschen Bevölkerung an einer Glutenunverträglichkeit (Zöliakie). Eine Therapie steht bislang nicht zur Verfügung. Helfen kann nur eine strikter Glutenverzicht. In Supermärkten ist mittlerweile ein großes Sortiment an Produkten zu finden, die kein Klebereiweiß enthalten. Auch gesunde Menschen greifen oft darauf zurück. Doch glutenfreie Lebensmittel sind nicht für alle Menschen gesund.
Mehr Zucker und Fett und weniger Ballaststoffe
Gluten, das Klebereiweiß, das im Korn einiger Getreide wie Weizen, Roggen, Gerste und Dinkel vorkommt, steht in der Kritik.
So wird manchmal behauptet, Gluten sei ein Dickmacher und mitverantwortlich für moderne Krankheiten wie Diabetes.
Viele Menschen verzichten auf glutenhaltige Nahrungsmittel, weil sie denken, dies sei gesund.
„Doch solche Pauschalaussagen stimmen nicht“, sagte der Gastroenterologe Professor Stephan Vavricka in einem Referat, das im Rahmen der Veranstaltungsreihe Wissen-schaf(f)t Wissen des Zentrums für Integrative Humanphysiologie an der Universität Zürich (UZH) stattfand.
Denn bei einer glutenfreien Ernährung läuft man Gefahr, mehr Zucker und Fett und weniger Ballaststoffe zu sich zu nehmen, wie in einer Mitteilung der UZH erklärt wird.
Glutenfreie Kost kann der Gesundheit schaden
Darüber hinaus führen glutenfreie Lebensmittel zu einer schnelleren Aufnahme von Glukose, weil sie typischerweise weniger faserhaltig sind.
Manche Gesundheitsexperten warnen sogar vor den gesundheitlichen Auswirkungen glutenfreier Ernährung.
So stellten beispielsweise Forscher aus den USA fest, dass durch eine solche Ernährungsform das Diabetes-Risiko signifikant gesteigert wird.
Und andere Wissenschaftler fanden heraus, dass glutenfreies Essen dem Herzen nachhaltige Schäden zufügen kann.
Menschen ernähren sich heute sehr hygienisch
Glutenfreie Produkte sind aber nicht nur nicht gesünder, sondern oft auch teurer.
„Es muss uns ganz klar bewusst sein, dass hinter der Glutenfrei-Welle eine riesige Industrie steckt, die uns ihre teuren glutenfreien Spezialprodukte verkaufen will“, sagte Vavrika, der Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie und Konsiliararzt am Universitätsspital Zürich ist.
Dennoch darf nicht übersehen werden, dass Gluten tatsächlich bei immer mehr Personen mehr oder weniger starke Beschwerden verursacht.
Laut der UZH gibt es dafür verschiedene Erklärungen. So hat sich in den letzten 50 Jahren der Getreideanbau durch proteinhaltigere Züchtungen verändert. Doch auch veränderte Lebensgewohnheiten können eine Rolle spielen. Beispielsweise ernähren wir uns heute sehr hygienisch.
„Wir waschen Geschirr und Hände sehr gründlich, bevor wir etwas essen. Dadurch nehmen wir jeden Tag Seifenrückstände zu uns, die die schützende Schleimschicht auf der Darmwand auflösen“, erklärte Vavricka.
Die Darmwand ist die Grenzfläche zwischen Umwelt und menschlichem Körper. Sie dient neben der Aufnahme von Nährstoffen auch der Immunabwehr.
Wenn die schützende Schicht jedoch aufgelöst wird, können Bakterien bis zur Darmwand wandern und Reaktionen vom Immunsystem auslösen.
Gefährliche Zöliakie
Die schwerwiegendste Form einer Reaktion auf Gluten ist die sogenannte Zöliakie, eine Autoimmunerkrankung, die etwa ein Prozent der Bevölkerung betrifft.
Dabei provoziert der Verzehr von Gluten die Bildung von Antikörpern, welche spezifische körpereigene Strukturen im Darm, die sogenannten Zotten, zerstören.
Zotten sind Erhebungen der Zellen in der Darmwand, die für die Nahrungsaufnahme verantwortlich sind. Ohne diese Zotten können Nährstoffe nicht mehr richtig aufgenommen werden, es kommt dann zu Verdauungsstörungen und Mangelerscheinungen.
Betroffene müssen streng auf ihre Ernährung achten. Wenn sie glutenhaltige Nahrungsmittel essen, treten die typischen Symptome wie Bauchschmerzen, Blähungen und Fettstuhl auf.
Um Zöliakie zu diagnostizieren, reicht eine Blutuntersuchung, mit der die Antikörper nachgewiesen werden können, welche die Zotten zerstören. Allerdings ist die Diagnose nur möglich, solange man Gluten zu sich nimmt.
Denn sobald man anfängt, sich glutenfrei zu ernähren, geht die Anzahl der Antikörper zurück, und schon nach wenigen Monaten sind sie nicht mehr nachweisbar.
„Wenn Sie den Verdacht auf einer Gluten-Erkrankung haben, gehen Sie daher bitte zum Arzt, bevor Sie mit einer Diät beginnen“, so Vavricka.
Die gute Nachricht ist, dass sich die Darmzellen mit der Zeit erholen. Die Betroffenen können beschwerdefrei leben, solange sie sich strikt glutenfrei ernähren.
Von der Zöliakie zu unterscheiden ist die Weizenallergie. Bei dieser reagiert das Immunsystem direkt gegen verschiedene Bestandteile der Weizen und verursacht zusätzlich zu Verdauungsbeschwerden auch allergische Symptome wie Asthma oder Juckreiz.
Gibt es eine Glutensensitivität?
Eine weitere Form von Reaktion auf Klebereiweiß ist die sogenannte Glutensensitivität. Wie in der Mitteilung erklärt wird, handelt es sich dabei weder um eine Autoimmunerkrankung noch um eine Allergie.
Möglicherweise spielen die Zusammensetzung der Darmflora und unspezifische Immunantworten eine Rolle. Die Fachwelt rätselt jedoch darüber, ob es die Krankheit wirklich gibt und wie sie entsteht.
Laut Vavricka seien die Symptome aber real. Betroffene berichten demnach neben Verdauungsproblemen oft über mehrere unspezifische Beschwerden wie Kopfschmerzen, Müdigkeit oder depressive Stimmung.
Es wird geschätzt, dass bis zu sechs Prozent der Bevölkerung betroffen sein könnten.
Wenn schwerwiegendere Erkrankungen wie Zöliakie oder auch Tumore ausgeschlossen wurden, kann es sinnvoll sein, eine glutenfreie Diät zu versuchen. Allerdings hilft diese häufig nicht.
Denn hinter einer vermeintlichen Glutensensitivität kann teilweise eine Unverträglichkeit auf bestimmte fermentierbare Zuckerarten stecken, die sogenannten FODMAPs. Dazu zählt man zum Beispiel Fruktose oder Oligosaccharide, die sich auch in gewissen glutenhaltigen Lebensmitteln befinden.
Diese werden bei bestimmten Personen nicht richtig verdaut, sondern von Darmbakterien im Dickdarm fermentiert, was zu Gasbildung und Beschwerden führt.
„Wir vermuten zudem, dass bei der Fermentierung toxische Gifte entstehen, die systemische Symptome wie Kopfschmerzen oder Konzentrationsstörungen auslösen können“, erläuterte Vavricka.
Eine FODMAP-arme Diät kann die Beschwerden oft verbessern. Doch in solchen Fällen sei eine fachliche Ernährungsberatung extrem wichtig, da FODMAPs in sehr vielen Lebensmitteln enthalten sind, vor allem in Früchten und Gemüsen. Daher ist es wichtig, dass man nur so viel wie nötig weglässt.
Alle, die nicht von einer bestätigten Unverträglichkeit betroffen sind, könnten laut Vavricka Weglassdiäten getrost vergessen. Vielmehr sollten sie darauf achten, sich möglichst vielseitig zu ernähren. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.