Jede zweite Discounter-Hähnchenfleischprobe mit antibiotikaresistenten Keimen kontaminiert
In einer aktuellen Analyse der Umweltorganisation “Germanwatch” hat sich gezeigt, dass mehr als jedes zweite Hähnchen vom Discounter mit antibiotikaresistenten Erregern kontaminiert ist. Jede dritte Hähnchenfleisch-Probe wies sogar Belastungen mit speziellen Resistenzen gegen Reserveantibiotika auf.
Verschiedene Krankheitserreger festgestellt
„Hähnchenfleisch mit gefährlichen Durchfallkeimen kontaminiert“, „Krankheitserreger in Hähnchenkeulen gefunden“, „Campylobacter-Bakterien in Hähnchenfleisch“: solche Schlagzeilen waren in den vergangenen Jahren immer wieder zu lesen. Selbst mit multiresistenten Keimen ist Fleisch oft belastet. Das zeigt auch eine aktuelle Analyse der Umwelt- und Verbraucherschutzorganisation Germanwatch.
Noch immer ein Anlass zur Sorge
Eigentlich sollte Antibiotika in der Massentierhaltung nach jahrelangen Bemühungen der Bundesregierung kein Anlass mehr für Sorge sein, schreibt die Umweltorganisation Germanwatch auf ihrer Webseite.
Ist es aber leider doch. Denn Billig-Hähnchen aus Discountern sind zu 56 Prozent mit Keimen kontaminiert, die resistent sind gegen Antibiotika.
Mehr als jedes dritte Hähnchen ist mit Keimen belastet, die Resistenzen gegen Reserveantibiotika aufweisen.
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Hähnchenfleisch zur Hälfte mit gefährlichen Durchfallkeimen kontaminiert
Das hat eine Stichprobenuntersuchung im Auftrag von Germanwatch ergeben, bei der insgesamt 59 Hähnchenfleischproben aus industrieller Fleischerzeugung auf resistente Erreger untersucht wurden.
Vorwurf an die Agrarministerin
Wie die Experten in der „Analyse von Hähnchenfleisch auf antibiotikaresistente Erreger“ erklären, werden Reserveantibiotika wie Colistin bei Menschen als letzte Mittel gegen Infektionskrankheiten eingesetzt, wenn andere Antibiotika nicht mehr wirken.
Häufig können solche Resistenzen artübergreifend an Menschen und Tiere verbreitet werden.
Warum gibt es immer mehr verunreinigtes Hähnchenfleisch?
Da es immer mehr mit Erregern kontaminiertes Hähnchenfleisch gibt, stellt sich die Frage, worauf die Zunahme der Verunreinigungen basiert. Die Ursache hierfür liegt wohl in der ungehemmte Ausbreitung der Erreger in den Schlachthöfen. Bei den dort vorherrschenden Hygienemaßnahmen wird offenbar einfach zu wenig gegen diesen speziellen Erreger unternommen.
„Bei der Bekämpfung der Antibiotikaresistenzen aus Massentierhaltungen hat Agrarministerin Klöckner versagt“, sagte Reinhild Benning, Agrarexpertin der Organisation Germanwatch.
„Das zeigen die anhaltend hohen Resistenzraten der Krankheitserreger auf Hähnchenfleisch.“
Die Ministerin lasse zu, dass multiresistente Keime, ESBL-bildende (Extended-Spectrum-Betalaktamasen) Bakterien und Colistin-resistente Krankheitserreger auf Billigfleisch bis in die Küchen von VerbraucherInnen, in Restaurants und auch in Krankenhausküchen gelangten.
„Die Antibiotikaresistenzen werden erst dann sinken, wenn die Bundesregierung Reserveantibiotika in Tierfabriken verbietet und alle Veterinärantibiotika mit Festpreisen so teuer macht, dass sie nicht mehr verschrieben werden, um die Folgen der katastrophalen Haltungsbedingungen und der Turbozucht in der Billigfleisch- und Billigmilcherzeugung zu kompensieren“, so Benning.
Keiner bot durchweg nicht-kontaminiertes Hähnchenfleisch an
Die Geflügelfleischproben stammen von den Discountern bzw. Supermarktkonzernen Edeka, Rewe, Lidl, Aldi und Metro, die zusammen 90 Prozent des Lebensmittelmarktes in Deutschland bestimmen.
Laut Germanwatch bot keiner der „Top 5“ der Supermarktkonzerne durchweg nicht-kontaminiertes Hähnchenfleisch an.
Die Fleischproben von Penny waren demnach zu über 80 Prozent, Hähnchenfleisch von Aldi war zu 75 Prozent kontaminiert.
Auch Netto-Hähnchen waren mit 58 Prozent mehrheitlich kontaminiert. Jede dritte Probe aus Lidl- und Real-Filialen wiesen jeweils resistente Erreger auf.
Wie die Experten berichten, wiesen von den Testkäufen 20 Prozent der Billig-Hühnchen Multiresistenzen gegen drei verschiedene Antibiotikaklassen gleichzeitig auf, sechs Fleischproben trugen MRSA-Erreger (zehn Prozent) und drei Hähnchenproben ESBL-bildende Keime (fünf Prozent).
Die Untersuchung der Hähnchenfleischproben, die von den vier umsatzstärksten Schlachthofkonzernen (PHW Gruppe, Sprehe Gruppe, Plukon Deutschland und Rothkötter-Gruppe) für Hähnchen in Deutschland stammten, wurde vom Labor für Pharmazeutische Mikrobiologie an der Universität Greifswald durchgeführt.
Hofschlachtungen ohne Resistenzen gegen Reserveantibiotika
Ergänzend hat Germanwatch elf Stichprobenkäufe bei Hofschlachtereien aus ganz Deutschland vorgenommen.
Eine dieser Hähnchenfleischproben aus handwerklicher Schlachtung war mit MRSA belastet.
Kontaminationen mit Resistenzen gegen Reserveantibiotika wurden bei den Hofschlachtungen aber nicht gefunden.
Die Belastung einer Probe mit MRSA müsse reflektiert werden. Das Ergebnis der Stichprobe scheine im Vergleich zu 56 Prozent belasteter Proben aus industrieller Schlachtung gleichwohl auf einen Gesundheitsvorteil für Fleisch aus handwerklicher Schlachtung hinzudeuten.
Sechs der elf Proben aus Hofschlachtungen stammten aus Öko-Betrieben. Bei diesen Öko-Hähnchenfleischproben wurden gar keine antibiotikaresistenten Keime gefunden.
Ausbreitung von antibiotikaresistenten Erregern bekämpfen
Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sterben jährlich weltweit ca. 700.000 Menschen an den Folgen von Antibiotikaresistenz.
In Deutschland sind es laut dem Robert-Koch-Institut (RKI) pro Jahr bis zu 4.000 Menschen.
Die EU-Behörde für Seuchenschutz, ECDC, meldete 2018, dass sich die Zahl der Infektionen durch resistente Keime seit 2007 deutlich erhöht hat.
So wurden 2015 mehr als 670.000 Infektionen mit resistenten Bakterien in Europa gezählt, 33.000 Menschen starben in Folge von Infektionen mit antibiotikaresistenten Erregern, von denen wiederum rund zwei Drittel dem Gesundheitswesen zugeordnet werden.
Lebensmittel gelten sicher als Übertragungsweg für Antibiotikaresistenzen, es ist aber nicht bekannt in welchem Umfang.
„Mit der vorliegenden Untersuchung möchte Germanwatch einen Beitrag dazu leisten, die Ausbreitung von antibiotikaresistenten Erregern aus der Tierhaltung deutlich wirksamer zu bekämpfen. Dabei steht aktuell im Vordergrund, die sogenannten Reserveantibiotika mit höchster Priorität für Menschen in erster Linie für die Humanmedizin wirksam zu erhalten“, schreiben die Experten.
Und: „Germanwatch fordert mit Nachdruck, Reserveantibiotika gemäß der UN-Gesundheitsorganisation für kranke Menschen zu sichern und diese Wirkstoffe dazu auf allen Ebenen der Massentierhaltung – auch in Brütereien und Zuchttierhaltungen – zu stoppen, wie es der Bundesrat bereits thematisiert hat.“ (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
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