BGH verweist auf Rechtsprechung zu „Schockschaden” nach einem Unfall
Nach einem Behandlungsfehler müssen Kliniken und Ärzte gegebenenfalls auch für die Folgen eines psychischen Schocks haften, die nahe Angehörige wegen des Fehlers erleiden. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe in einem am Freitag, 28. Juni 2019, veröffentlichten Urteil entschieden (Az.: VI ZR 299/17). Danach gelten auch hier die Grundsätze für „Schockschäden” nach einem Unfall.
Im konkreten Fall waren einem Patienten im Zuge einer Darmspiegelung auch Geschwülste im Darm entfernt worden. Am Folgetag wurde ein Darmriss festgestellt, weshalb der Bauchraum entzündet war. Sechs Tage nach der Darmspiegelung wurde der Bauchraum geöffnet und der Riss genäht.
Der Patient beauftragte privat einen Gutachter mit der Bewertung seiner Behandlung. Der stellte Anfang 2014 fest, der Riss gehöre zwar zu den Risiken einer Darmspiegelung und sei „schicksalhaft” gewesen; der Darm habe aber nicht in entzündetem Zustand genäht werden dürfen. Ein Gutachter der Krankenkasse meinte, der Eingriff sei zu spät und zudem unter Anwendung einer falschen Operationstechnik durchgeführt worden. Mit der Versicherung des Krankenhauses einigte sich der Mann auf eine Abfindung in Höhe von 90.000 Euro.
Seine Ehefrau machte sich große Sorgen und sah nach eigenen Angaben ihren Mann über Wochen in Lebensgefahr. Wegen dessen fehlerhaften Behandlung habe sie massive psychische und psychosomatische Beschwerden. Sie leide bis heute an Schlafstörungen, ständiger Angst vor schlechten Nachrichten, wiederkehrender Übelkeit und panischer Angst vor Krankenhäusern. Trotz Psychopharmaka und psychotherapeutischer Behandlung habe sich dies nicht gebessert. Sie sei nicht mehr erwerbsfähig und könne auch ihren Haushalt nicht mehr eigenständig versorgen.
Von dem Krankenhaus verlangt die Frau daher ein Schmerzensgeld. Die Klinik lehnt dies ab. Wegen der Behandlung sei der Mann nie wirklich in Lebensgefahr gewesen. Ein Zusammenhang mit den psychischen Problemen seiner Frau bestehe nicht.
Landgericht und Oberlandesgericht (OLG) Köln wiesen die Klage der Ehefrau ab. Sie meinten, bei der Ehefrau liege möglicherweise ein „Schockschaden” vor. Dessen Entschädigung komme aber nur beim Tod eines nahen Angehörigen in Betracht.
Dem widersprach nun der BGH. Danach gelten bei einer fehlerhaften ärztlichen Behandlung dieselben Grundsätze wie bei der Entschädigung eines „Schockschadens” nach einem Unfall. Es gebe keinen Grund, „die Ersatzfähigkeit sogenannter ‚Schockschäden’ im Falle ärztlicher Behandlungsfehler weiter einzuschränken als im Falle von Unfallereignissen, heißt es im Leitsatz des jetzt schriftlich veröffentlichten Urteils vom 21. Mai 2019.
Psychische Folgeschäden müssten danach deutlich über die beim Tod oder einer schweren Verletzung eines nahen Angehörigen üblichen psychischen Beeinträchtigungen hinausgehen. Dies sei hier der Fall.
Auch die erforderliche Nähe zwischen dem ursprünglich Geschädigten und dem Schockopfer sei zwischen Eheleuten gegeben (nicht dagegen bei einem tödlich verunglückten Hund, so ein BGH-Urteil vom 20. März 2012, Az.: VI ZR 114/11; JurAgentur-Meldung vom 17. April 2012).
Unter diesen Umständen genüge eine „hinreichende Gewissheit”, dass die psychischen Schäden der Ehefrau auf die „Verletzungshandlung” gegenüber dem Patienten zurückgehen, urteilte der BGH. Dies soll nun das OLG Köln überprüfen.
Nach einem Urteil vom 20. Mai 2014 haften Ärzte aber nicht, wenn sie Angehörige über eine schwere Krankheit des Patienten informieren und die Angehörigen dadurch einen Schock erleiden (Az.: VI ZR 381/13; JurAgentur-Meldung vom 11. Juni 2014) mwo
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- Bundesgerichtshof Az.: VI ZR 299/17
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