Wir durchleben unsere Entscheidungen in Ruhephasen erneut
Dank modernster Technik lassen sich Denkprozesse im Gehirn sichtbar machen. Dies machte sich ein deutsch-amerikanisches Forschungsteam zunutze, um das komplexe Zusammenspiel zwischen gesammelten Erfahrungen und getroffenen Entscheidungen näher zu untersuchen. Der Studie zufolge spielt unser Gehirn in Ruhephasen Erfahrungen, die wir durch getroffene Entscheidungen gemacht haben, erneut ab, um zukünftige Entscheidungen zu vereinfachen.
Forschende des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung untersuchten gemeinsam mit der Princeton University in New Jersey, welche messbaren Aktivitätsmuster im Gehirn ablaufen, wenn wir eine Entscheidung treffen und wie sich dies auf das Gehirn auswirkt. Das Forschungsteam entdeckte, dass genau die gleichen Aktivitätsmuster, die während der Entscheidung abliefen, in späteren Ruhephasen erneut im Gehirn abgespielt werden, wahrscheinlich sogar in einem sehr stark erhöhten Tempo. So schaffe sich das Gehirn Referenzen für zukünftige Entscheidungen. Die Studienergebnisse wurden kürzlich in dem Fachjournal „Science“ vorgestellt.
Der Hippocampus: Die Schaltzentrale des Gehirns
Der Hippocampus ist ein Teil des menschlichen Gehirns und dient als eine Art Schaltstation. Diese Hirnregion ist maßgeblich am Prozess der Entscheidung beteiligt, wie die aktuelle Science-Studie zeigt. Dass der Hippocampus eine zentrale Rolle bei Lern- und Gedächtnisvorgängen spielt, ist bereits durch andere Studien belegt. Welche Prozesse bei Entscheidungen im Hirn ablaufen, konnten nun das Forschungsteam um Yael Niv und Nicolas Schuck dokumentieren.
Im Hippocampus werden Entscheidungen zu Erfahrungen
33 Probandinnen und Probanden haben in 40 minütigen Zeiteinheiten eine komplexe Aufgabe bearbeitet, die auf das Treffen von Entscheidungen abzielte. Dabei wurden ihre Hirnaktivitäten mit Hilfe eines Magnetresonanztomografen (MRT) aufgezeichnet. Hier zeigten sich bestimmte individuelle Aktivitätsmuster im Gehirn, die mit der Entscheidung in Verbindung standen. Nach dem Abschluss der Aufgabe sollten die Teilnehmenden einige Minuten im MRT liegen bleiben und sich entspannen. Die Hirnaktivität wurde aber weiter aufgezeichnet. Es zeigte sich, dass während dieser kurzen Ruhephase das Aktivitätsmuster, dass während der Entscheidung ablief, erneut im Hippocampus abgespielt wurde.
Algorithmus erkennt Gehirnmuster
Den Forschenden ist es gelungen, einen Algorithmus zu programmieren, der Muster im Gehirn erkennt, speichert und wiedererkennt, wenn sie erneut auftreten. So konnten auch Aktivitätsmuster identifiziert werden, die dem bloßen Auge verborgen geblieben wären.
Erfahrungen im Zeitraffer
„Während die Teilnehmenden in den Pausen zwischen den Aufgaben ruhig dalagen, spielte der Hippocampus die soeben erledigte Entscheidungsaufgabe erneut ab“, fasst Forschungsleiter Nicolas Schuck zusammen. Dabei konnte sogar die Reihenfolge der zuvor stattgefundenen Erlebnisse beobachtet werden. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Wiederholungen im Gehirn in einem stark erhöhten Tempo ablaufen.
Kurze Ruhephasen können Erlerntes festigen
„Das könnte ein Hinweis dafür sein, dass Ruhephasen eine Rolle beim Erlernen neuer Aufgaben spielen“, betont Schuck. „Die Fähigkeit des Hippocampus, Erfahrungen im Zeitraffer durchzuspielen, scheint eine zentrale Rolle dabei zu spielen, dass aus Erfahrungen Repräsentationen im Gehirn werden, die uns dabei helfen, Entscheidungen zu treffen“, ergänzt seine amerikanische Kollegin Professorin Yael Niv. (vb)
Lesen Sie auch: Gedanken lesbar: Neurologen entschlüsseln Gehirnströme und erkennen zukünfige Handlungen im Vorfeld.
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Max-Planck-Institut für Bildungsforschung: Das Gehirn spielt in Ruhephasen Erfahrungen wieder ab, die wir beim Entscheiden gemacht haben (Abruf: 04.07.2019), mpib-berlin.mpg.de
- Schuck, Nicolas W. / Niv, Yael : Sequential replay of nonspatial task states in the human hippocampus, Science, 2019, science.sciencemag.org
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.