Versorgungsnotstand in Kinderkliniken – Fachgesellschaften warnen
Wenn ein Kind wegen einer Erkrankung stationär behandelt werden muss, wünschen sich alle Eltern eine bestmögliche Versorgung und eine schnelle Heilung. Doch scheint die Versorgungslage in deutschen Kinderkliniken laut einer aktuellen Studie gefährdet. „Der notwendige Versorgungsbedarf für kranke Kinder kann nicht mehr sicher gewährleistet werden“, warnt Dr. Florian Hoffmann, Oberarzt der Interdisziplinären Kinderintensivstation am Dr. von Haunerschen Kinderspital der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU).
Unter finanziellem Druck erfolgte in den vergangenen Jahren ein kontinuierlicher Abbau pädiatrischer Versorgungskapazitäten, der sich nun bitter bezahlt macht. So hat eine aktuelle Studie der Universität zu Köln gezeigt, dass „die Versorgung akut und chronisch schwer erkrankter Kinder vielerorts regelhaft nicht mehr gewährleistet (ist) und zu abnehmender Behandlungsqualität bis hin zu gravierender Patientengefährdung (führt).“ Veröffentlicht wurden die Studienergebnisse im Deutschen Ärzteblatt.
Immer weniger Betten und immer weniger Personal
Auch weil die Kinderabteilungen an den Kliniken in der Regel zu den defizitären Sektionen gehören, während sich in anderen medizinischen Bereichen gutes Geld verdienen lässt, erfolgte in den vergangenen Jahrzehnten eine zunehmende Umstrukturierung der pädiatrischen Versorgungslandschaft – zum Nachteil der betroffenen Kinder. „Kliniken haben immer weniger Betten und immer weniger Personal, um kritisch kranke Kinder zu behandeln“, betont Dr. Hoffmann in einer Mitteilung Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) zu den aktuellen Studienergebnissen.
Versorgung schwerkranker Kinder oftmals nicht sichergestellt
Basierend auf Einzel- und Gruppeninterviews mit 50 Beschäftigten aus Kinderkliniken oder Kinderabteilungen aus den Bereichen Pädiatrie und Kinderchirurgie wurde in der Studie eine Bestandsaufnahme erstellt, deren Ergebnis erschreckend ist. Zunächst wird in nahezu allen Bereichen der Pädiatrie eine ausgeprägte Leistungsverdichtung beschrieben, begleitet von gestiegenen Patientenzahlen, komplexeren Krankheitsbildern und kürzeren Aufenthaltszeiten. Doch ist zudem die erforderliche Versorgung schwerkranker Kinder oftmals nicht sichergestellt, was eine direkte Gefährdung der Gesundheit darstellen kann. Damit verbunden beschreiben die Befragten auch erhebliche ethische Konfliktsituationen.
Gravierende Auswirkungen für betroffene Kinder
„Immer öfter müssen Kinder in Kliniken umgeleitet werden, die mehr als hundert Kilometer vom Wohnort entfernt liegen“; kritisiert Hoffmann. Dies sei ein Trauerspiel für eine medizinisch so gut entwickelte Region wie Deutschland. Besonders prekär sei die Situation in der Kinderintensivmedizin, wo es durch Personal- und Bettenmangel regelmäßig zu Versorgungsengpässen mit gravierenden Auswirkungen für schwer erkrankte oder schwer verletzte Kinder komme.
Dramatische Situationen in den Kliniken
„Im Winterhalbjahr sind die Engpässe besonders dramatisch. Wir stehen jeden Tag vor der Frage, welchen Kindern wir absagen und welche wir aufnehmen“, berichtet Hoffmann. Ihm graue „jetzt schon davor, was wir den Kindern und Eltern wieder zumuten müssen.“ Die Politik müsse dringend handeln, bevor die Gesundheit von Kindern durch die Ökonomisierung des Systems riskiert wird. Es gelte eine wohnortnahe und exzellente Versorgung der Kinder sicherzustellen. „Die Entscheider in der Politik und in den Klinikleitungen sind aufgefordert, Kindern das ihnen zustehende Höchstmaß an Gesundheitsvorsorge zukommen zu lassen“, so Hoffmann.
Unterfinanzierung muss behoben werden
„Wir brauchen neben dem politischen Willen nun auch eine gesellschaftliche Diskussion darüber, was uns die Behandlung von Kindern wert ist“, betont der Oberarzt. Die aktuelle Studie habe gezeigt, dass ohne die umfassende Beseitigung der Unterfinanzierung die Versorgung kritisch kranker Kinder sowie die Leistungs- und Konkurrenzfähigkeit der Pädiatrie in Deutschland gefährdet ist. In den Kliniken sei immer öfter keinen Platz mehr auf den Kinderintensivstationen und die Kinder müssen in weit entfernte Krankenhäuser transportiert werden.
Auch der Wettbewerb mit profitablen Subdisziplinen wie zum Beispiel der Neonatologie spielt bei der schlechten Versorgungslage eine Rolle. Denn zur Erfüllung der dort vorgegebenen Personalschlüssel erfolgten Verschiebungen des Personals. Es entstanden Interessenkonflikte zwischen benachbarten pädiatrischen Spezialisierungen, obwohl sich das Personal dieser intensivmedizinischen Bereiche kompetitiv ergänzen sollte, so die Kritik der DIVI.
Deutliche Verbesserungen gefordert
Laut Dr. Hoffmann steuern wir seit Jahren offenen Auges auf das Problem zu „und können nun in einem der reichsten Länder der Welt die flächendeckende Versorgung von kritisch kranken oder schwer verletzten Kindern nicht mehr sicher gewährleisten.“ Es bedürfe deutlicher Verbesserungen der Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen und auch die Bezahlung der Pflegekräfte müsse deutlich angehoben werden. Insgesamt scheint die zunehmende Orientierung an ökonomischen Zielen im Bereich der Medizin erhebliche Fehlentwicklungen zu fördern, was an dem Beispiel der Kinderkliniken nun auf besonders besorgniserregende Weise deutlich wird. Vergleichbare Entwicklungen lassen sich jedoch auch in anderen Bereichen der stationären Versorgung beobachten und ein Umdenken scheint hier dringend erforderlich. (fp)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Weyersberg, Annic; Roth, Bernd; Köstler, Ursula; Woopen, Christiane: Pädiatrie: Gefangen zwischen Ethik und Ökonomie; in: Deutsches Ärzteblatt, Jg. 116, Heft 37, 2019, aerzteblatt.de
- Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI): Besorgniserregende Studienergebnisse: Mediziner warnen vor Versorgungsnotstand in deutschen Kinderkliniken (veröffentlicht 04.10.2019), DIVI
Wichtiger Hinweis:
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