Bakterien aus dem Meer bieten Potenzial zur Produktion neuer Antibiotika
Einem Forschungsteam ist es gelungen, bisher wenig beachtete Bakterien aus dem Meer zu kultivieren und eine Quelle für neue Antibiotika zu erschließen. Die neuen Erkenntnisse sind vor allem auch vor dem Hintergrund der Zunahme resistenter Keime von großer Bedeutung.
Obwohl die zunehmende Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen die Entwicklung neuer Antibiotika dringend notwendig macht, ziehen sich insbesondere die großen Pharmakonzerne immer mehr aus diesem Geschäftsfeld zurück, vor allem weil sich damit nur schlecht Geld verdienen lässt. Doch ein Forschungsteam hat nun bisher wenig beachtete Meeresbakterien kultiviert und so eine Quelle für neue Antibiotika erschlossen.
Wenig beachtete Bakterien aus dem Meer
Den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern um Prof. Dr. Christian Jogler von der Friedrich-Schiller-Universität Jena ist es gelungen, mehrere Dutzend bisher wenig beachtete Bakterien aus dem Meer im Labor zu kultivieren, funktionell zu charakterisieren und so einem systematischen Wirkstoff-Screening zugänglich zu machen.
Laut einer Mitteilung der Universität deuten erste bioinformatische Analysen und zellbiologische Beobachtungen auf ein Potenzial zur Produktion neuer Antibiotika hin. Darüber berichten die Forschenden in der Fachzeitschrift „Nature Microbiology“.
Neue Antibiotika werden dringend gebraucht
„Die Einführung von Antibiotika zählt zu den bedeutendsten Fortschritten der Medizin im 20. Jahrhundert“, schreibt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) auf ihrem Portal „infektionsschutz.de“. „Mit diesen Medikamenten können bakteriell verursachte Infektionskrankheiten wirksam behandelt werden“, so die Fachleute.
Wie es in der Mitteilung der Friedrich-Schiller-Universität Jena heißt, sind fast drei Viertel aller klinisch relevanten Antibiotika Naturstoffe – produziert von Bakterien. Doch die heute verfügbaren Antibiotika verlieren ihre Wirksamkeit, immer mehr Krankheitserreger sind gegen die Medikamente resistent. Es werden also dringend neue Antibiotika gebraucht.
Allerdings stehen für die Wirkstoffsuche derzeit weniger als ein Prozent der bekannten Bakterienarten zur Verfügung, die übrigen 99 Prozent gelten als „unkultivierbar“ und sind deshalb kaum erforscht. Zudem ist die Fähigkeit Antibiotika zu produzieren unter Bakterien nicht gleichmäßig verteilt.
„Sie ist vor allem in Mikroorganismen mit komplexen Lebensweisen zu finden, einer ungewöhnlichen Zellbiologie und großen Genomen“, erläutert Prof. Dr. Christian Jogler von der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
„Solche Organismen produzieren antibiotische Verbindungen und setzen sie im Kampf um Nährstoffe und Lebensräume gegen andere Bakterien ein“, so der Mikrobiologe. Wo immer solche mikrobiologischen Verteilungskämpfe auftreten und Nährstoffe knapp sind, sei ein aussichtsreicher Ort, um nach potenziellen Antibiotikaproduzenten zu suchen.
An zehn Orten nach Planctomyceten gesucht
Genau das haben die Jenaer Forschenden getan: Mit Tauchrobotern und wissenschaftlichen Tauchern haben sie an insgesamt zehn Orten im Meer nach sogenannten Planctomyceten gesucht.
„Wir wissen, dass Planctomyceten in Gemeinschaften mit anderen Mikroorganismen leben, und mit diesen um Lebensraum und Nährstoffe konkurrieren“, erklärt Jogler den Grund, der diese Gruppe von Bakterien für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler interessant macht.
Aus den Proben aus dem Mittelmeer, der Nord- und Ostsee, dem Schwarzen Meer sowie dem Atlantik, dem Pazifik und dem Nordpolarmeer gelang es ihnen insgesamt 79 neue Planctomyceten in Reinkultur zu bringen. „Zusammen bilden diese Reinkulturen 31 neue Gattungen und 65 neue Arten“, sagt Dr. Sandra Wiegand, die Erstautorin der Studie.
Teil der Analysen konnte bereits experimentell bestätigt werden
Um diese neu gewonnenen Reinkulturen zu charakterisieren kamen bioinformatische und mikroskopische Methoden zum Einsatz. „Die bioinformatische Analyse war dabei ganzheitlich angelegt“, so Dr. Wiegand.
Das Potenzial, kleine Moleküle wie Antibiotika zu produzieren, sei laut den Fachleuten genauso untersucht worden, wie die Prozesse der zellulären Signalverarbeitung. Diese sind ein Maß für die Komplexität der mikrobiellen Lebensweise und somit ein weiterer Hinweis auf eine Antibiotikaproduktion.
„Die Ergebnisse dieser Analysen belegen, dass die neu gewonnenen Planctomyceten außergewöhnlich komplexe Lebensweisen besitzen und über das Potenzial verfügen, neue Antibiotika produzieren zu können.“
Einen Teil ihrer bioinformatischen Analysen konnten die Forschenden bereits in der vorliegenden Studie experimentell bestätigen. So haben sie unter anderem die Zellbiologie der isolierten Planctomyceten untersucht.
„Sie teilen sich ganz anders als alle kritischen pathogenen Bakterien“, sagt Prof. Jogler. Zudem zeigen die Arbeiten unerwartete neue Mechanismen der bakteriellen Zellteilung. Vor allem aber belege die Studie eindrücklich, dass auch vermeintlich „unkultivierbare“ Bakterien in Reinkultur gewonnen und charakterisiert werden können.
Viele Aspekte lasen sich auf andere potenzielle Antibiotikaproduzenten übertragen
Laut den Autorinnen und Autoren werden sich viele Aspekte ihrer aktuellen Arbeit auf andere potenzielle Antibiotikaproduzenten übertragen lassen. „Die Hypothesen-getriebene Kultivierung und ganzheitliche Charakterisierung ist zwingend erforderlich, um wirklich Neues zu entdecken und neue therapeutische Wege zu ermöglichen“, so Prof. Jogler.
Neben dem Team der Friedrich-Schiller-Universität Jena sind an der vorgelegten Arbeit auch Forscherinnen und Forscher aus anderen deutschen Einrichtungen sowie aus den Niederlanden, Spanien, Norwegen, Portugal und den USA beteiligt. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Friedrich-Schiller-Universität Jena: Antibiotika aus dem Meer, (Abruf: 19.11.2019)
- Nature Microbiology: Cultivation and functional characterization of 79 planctomycetes uncovers their unique biology, (Abruf: 19.11.2019), Nature Microbiology
- Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): Antibiotika, (Abruf: 19.11.2019), infektionsschutz.de
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.