Soll Menschen mit hohem Fleischverzehr keine Reduzierung des Konsums empfohlen werden?
Immer wieder zeigen wissenschaftliche Untersuchungen, dass der hohe Konsum von verarbeitetem und rotem Fleisch mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und andere Krankheiten verbunden ist. Dennoch meinen Fachleute, dass Menschen mit einem hohen Verzehr von solchem Fleisch nicht empfohlen werden sollte, den Konsum dieser Lebensmitteln zu reduzieren.
Der (hohe) Verzehr von rotem Fleisch und daraus hergestellten Fleischerzeugnissen wird seit langem mit einem erhöhten Risiko für Krankheiten wie Herzinfarkt und Schlaganfall in Verbindung gebracht. Doch die gesundheitlichen Vorteile durch Fleischverzicht sind laut einer Studie eher gering. Fachleute berichten nun, dass Menschen mit einem hohen Verzehr von rotem und verarbeitetem Fleisch nicht empfohlen werden sollte, den Verzehr an diesen Lebensmitteln zu reduzieren.
Ernährungsempfehlungen vorgestellt
Wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) in einer aktuellen Mitteilung berichtet, ist unter dem Namen NutriRECS („Nutritional Recommendations and Accessible Evidence Summaries Composed of Systematic Reviews“) eine neue Gruppe von internationalen, medizinisch orientierten Methodikern angetreten, Ernährungsempfehlungen abzugeben.
Ende September 2019 trat die NutriRECS-Gruppe mit ihrer Bewertung der gesundheitlichen Bedeutung eines (hohen) Konsums von rotem Fleisch und daraus hergestellten Fleischerzeugnissen an die Öffentlichkeit.
In der angesehenen Fachzeitschrift „Annals of Internal Medicine“ stellten sie sowohl ihre bis dahin durchgeführten Analysen der Studiendaten als auch ihre daraus abgeleiteten Bewertungen, sprich Empfehlungen, vor.
Warum die Reduzierung des Fleischkonsums nicht empfohlen werden sollte
Laut der DGE kam die NutriRECS-Gruppe der 14 Bewerter und Bewerterinnen mit elf gegen drei Stimmen zu der Schlussfolgerung, dass trotz beobachteter steigender Krankheitsrisiken mit dem Fleischkonsum den Menschen mit einem hohen Verzehr von rotem und verarbeitetem Fleisch nicht empfohlen werden sollte, den Verzehr an diesen Lebensmitteln zu reduzieren.
Die Fachleute geben dafür drei Gründe an:
- Es fehlt an Studien, die zeigen, dass auf eine Reduktion des Fleischverzehrs bei nach dem Zufallsprinzip ausgewählten Personen tatsächlich eine Reduktion von Herz-Kreislauferkrankungen und Krebs erfolgt.
- Bei etwa 20 bis 25 weniger Erkrankten pro 1.000 Personen über die nachfolgenden zehn Jahren, die bei einem geringen Fleischverzehr in den methodisch guten und von der NutriRECS-Gruppe akzeptierten Studien in Vergleich zu einem hohen Konsum beobachtet wurden, sind die Auswirkungen für eine einzelne Person zu vernachlässigen.
- Personen, die Fleisch essen, haben meist auch eine klare Präferenz dafür und entsprechend zeigen diese eine geringe Bereitschaft, ihren Konsum zu reduzieren.
Die NutriRECS-Gruppe steht mit diesen Empfehlungen im Gegensatz zu vielen anderen Wissenschaftlergruppen und ernährungspolitischen Entscheidungsgremien. Ihre eigenen Daten legen diese Schlussfolgerung nicht unbedingt nahe, weil sie Risikoerhöhungen für bestimmte Krankheiten bestätigen.
Auch sei der DGE zufolge die Erkenntnis nicht neu, dass die Risikoreduktionen für Krankheiten durch weniger rotes Fleisch im Vergleich zu einem höheren Konsum anderen Lebensmittelgruppen, wie Vollkornprodukte und Nüsse, aber auch Obst und Gemüse, gering sind.
Allerdings übersieht die Gruppe, dass aus gesundheitspolitischer Sicht die Risikosenkung durch einen geringeren Fleischkonsum in einer Bevölkerung, die sich – wie Deutschland – durch einen hohen Konsum auszeichnet, zu einer relevanten Verringerung der Erkrankungszahlen führt.
Ernährung soll langfristig ein „gesundes Altern“ unterstützen
Eine weitere Kontroverse betrifft insbesondere Fleischerzeugnisse (inklusive Wurst), die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als karzinogen (Gruppe 1) eingestuft wurden und die in einigen europäischen Ländern verstärkt verzehrt werden.
Ein grundsätzliches Manko bei den Bewertungen der NutriRECS-Gruppe ergibt sich aus der Tatsache, dass es bei der Ernährungsforschung weder um Therapien noch um Medikamente bei Erkrankten geht; vielmehr soll Ernährung langfristig ein „gesundes Altern“ unterstützen, schreibt die DGE.
Der Mangel an Ernährungsstudien, bei denen nach dem Zufallsprinzip entweder die bisherige Ernährungsweise beibehalten wird (Kontrollgruppe) oder in der Interventionsgruppe die Ernährung zielgerichtet verändert wird bei gleichzeitiger Beibehaltung der bisherigen Energiezufuhr, ist Fachpersonen in Bereich der Ernährungsforschung bekannt.
Solche langfristigen, über zehn Jahre angelegten Studien sind in der Regel gescheitert, da die geforderte Ernährung über so lange Zeiträume in keiner der Studiengruppen eingehalten wurde.
Ernährungsempfehlungen auf Basis vorliegender wissenschaftlicher Evidenz
Für die DGE ist klar, dass die NutriRECS-Gruppe mit ihrer Methodenkompetenz wertvolle Anregungen geben kann, wie die Evidenzbewertung, also die Basis von Ernährungsempfehlungen, hinsichtlich der zahlreichen, methodisch unterschiedlichen Studien in Zukunft gestaltet sein könnte.
Die DGE arbeitet nach eigenen Angaben seit vielen Jahren erfolgreich daran, ihre Ernährungsempfehlungen auf der Basis der vorliegenden wissenschaftlichen Evidenz abzuleiten (siehe beispielsweise die stetige Überarbeitung der Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr, die Erstellung von Leitlinien, u.a.m.).
Die Gesellschaft sieht in ihrem prinzipiellen Vorgehen bei der Bewertung der Studienlage keine großen Unterschiede zu der NutriRECS-Gruppe, weil auch bei der DGE die Studienqualität eine große Rolle spielt.
Es ist aber zu berücksichtigen, dass im Ernährungsbereich für Lebensmittelempfehlungen andere Wege beschritten werden müssen als auf die Studien zu hoffen, die in der Praxis nicht durchführbar sind.
Deshalb sind für die Weiterentwicklung der Methodik der Evidenzbewertung weitere methodische Diskussionen nötig, die idealerweise zusammen mit europäischen und internationalen Expertengruppen geführt werden sollten. Zusätzlich werde die DGE künftig noch mehr Wert auf die biologische Plausibilität legen, einschließlich der Erkenntnisse zu der Stoffwechselbedeutung einzelner Lebensmittel und deren Hauptbestandteile.
Zur Stärkung der Basis von Empfehlungen wird sie auch vermehrt Ergebnisse aus Interventionsstudien heranziehen, die frühe metabolische und funktionelle Veränderungen untersuchen und damit Kausalität aufzeigen können. Solche inhaltlichen Überlegungen spielten bei der NutriRECS-Gruppe bisher keine Rolle.
Auch die Umweltauswirkungen sind zu berücksichtigen
Die DGE hält es nicht für sinnvoll, Ernährungsempfehlungen nur an dem einen Kriterium „Minimierung des individuellen Krankheitsrisikos“ auszurichten. Für die Gesellschaft ist es bedeutsam, bei den Empfehlungen ein Lebensmittel in seinem kulturellen Kontext und in Verbindung mit dem Verzehr anderer Lebensmittel zu sehen; ebenso sind gleichzeitig die Umweltkonsequenzen mit zu berücksichtigen.
Die DGE sei sich bewusst, dass eine vegetarische und vegane Lebensweise nur bedingt gesundheitlich begründet werden kann (im Vergleich zu einem geringen Verzehr von Fleisch), aber sehr wohl aus ethischen und ökologischen Gründen. Daher können Umweltauswirkungen bei der Ableitung von Empfehlungen nicht unberücksichtigt bleiben, weil sie integraler Bestandteil des Systems von der Lebensmittelerzeugung bis zur Ernährung sind.
Laut einer Mitteilung haben auch einige Mitglieder der NutriRECS-Gruppe ihren persönlichen Konsum von rotem und verarbeitetem Fleisch wegen dem Schutz von Tieren und Umwelt beendet oder reduziert.
Aus Sicht der DGE müssen Ernährungsempfehlungen viele Dimensionen integrieren und optimieren und können nicht nur eine Dimension, wie die Auswirkung auf die Gesundheit, herausgreifen, obwohl letztere unbenommen einen hohen Stellenwert hat.
Nicht mehr als 600 Gramm Fleisch pro Woche
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. empfiehlt als Teil der 10 Regeln der DGE: “Wenn Sie Fleisch essen, dann nicht mehr als 300 bis 600 g pro Woche.“
Die Nationale Verzehrsstudie II zeigt eine durchschnittliche wöchentliche Zufuhr von zirka 600 Gramm Fleisch und Fleischerzeugnissen (inkl. Wurstwaren) bei Frauen und etwa ein Kilogramm bei Männern. Diese Daten zeigen, dass ein großer Teil der erwachsenen Deutschen deutlich mehr als die von der DGE angegebenen Mengen verzehrt. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE): Die Aussagen der NutriRECS Experten zum Verzehr von rotem und verarbeitetem Fleisch – Implikationen für die Evidenzfindung im Ernährungsbereich?, (Abruf: 23.12.2019), Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE)
- Annals of Internal Medicine: Unprocessed Red Meat and Processed Meat Consumption: Dietary Guideline Recommendations From the Nutritional Recommendations (NutriRECS) Consortium, (Abruf: 23.12.2019), Annals of Internal Medicine
- McMaster University: No need to cut down red and processed meat, says study, (Abruf: 23.12.2019), McMaster University
- Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE): Vollwertig essen und trinken nach den 10 Regeln der DGE, (Abruf: 23.12.2019), Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE)
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.