Achtsamkeit wie ein verkümmerter Muskel, der Training braucht
Stress ist allgegenwärtig, sei es auf der Arbeit, im Verkehr oder manchmal auch zu Hause. Selbst wenn wir eigentlich mal abschalten könnten, setzten sich viele Freizeitstress aus. Stress wird zwar oft als selbstverständlich wahrgenommen, ist aber ein Risikofaktor für viele, zum Teile schwere Leiden, wie beispielsweise Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen, Herzinfarkt, Magenschleimhautentzündungen oder Magengeschwüre.
Im zunehmend stressigen Alltag fällt es vielen Menschen schwer, Rücksicht auf die eigenen Bedürfnisse zu nehmen. Achtsamkeit soll dem vorbeugen. Diplom-Pädagoge und Achtsamkeitstrainer Mathias Gugel erklärt, was Achtsamkeit bedeutet und wie man sich mit Achtsamkeit vor den schädlichen Auswirkungen von Stress schützen kann.
Viele Menschen stehen permanent unter Stress
Ein Meeting jagt das nächste, das Handy klingelt unentwegt, am Abend noch ein schneller Blick in die Mails: Im Alltag stehen viele Menschen permanent unter Stress. Achtsamkeit gilt da als Patentrezept. Doch ist das nur ein Modewort – und was steckt eigentlich dahinter?
„Ein achtsamer Umgang mit sich selbst kann Symptome und Beschwerden bei Stress lindern – er will allerdings auch gelernt sein“, erläutert der Achtsamkeits-Experte in einem Gespräch über bewusstes Duschen, ständige Smartphone-Ablenkungen und Zähneputzen für den Geist.
Was ist Achtsamkeit?
„Achtsamkeit ist eine offene und nicht wertende Haltung im Leben von Moment zu Moment. Indem ich achtsam bin, kriege ich klarer mit, was in mir und in meiner Umwelt vor sich geht ohne diese Erfahrungen, auch die unangenehmen, sofort zu bewerten. So kann ich lernen, besser mit Stress und anderen Belastungen zurecht zu kommen und bewusste Entscheidungen zu treffen. Ohne in gewohnte Muster zu verfallen, die Stress verursachen können“, erklärt Mathias Gugel.
Warum derzeit Achtsamkeit in aller Munde ist
„Achtsamkeit ist tatsächlich ein Trendthema“m so Gugel. Seine Kurse werden sowohl von Studenten als auch Senioren besucht. Sie alle verspüren einen gewissen Leidensdruck und wollen etwas in ihrem Leben ändern. Diese Nachfrage nach Achtsamkeit sieht Gugel als einen Gegentrend zu Entwicklungen wie der Arbeitsverdichtung oder der Reiz und Informationsüberflutung, die viele erleben.
Gelassenheit und Ruhe muss trainiert werden
Die Übung der Achtsamkeit kann uns helfen, Gelassenheit und innere Ruhe zu entwickeln in einer Welt, die von vielen als beschleunigt und unsicher erlebt wird. Allein durch das Smartphone haben wir die Möglichkeit, uns permanent abzulenken. Das machen wir ja auch. Wenn man drei Minuten auf die Bahn warten muss, kommt automatisch der Griff nach dem Smartphone.
„Diese permanente Zerstreuung hat Auswirkungen auf Geist, Gehirn und Wohlbefinden. Wir merken, dass uns das nicht dauerhaft glücklich macht“, so der Achtsamkeitstrainer.
Wie kann Achtsamkeit dem entgegenwirken?
Gugel berichtet weiter: „Durch Achtsamkeit lernen wir, dass wir unsere Gewohnheitsmuster bewusst wahrnehmen und verändern können. Wir erkennen, wie wir gestrickt sind und entwickeln daraus die Freiheit zu einer bewussten Wahl von Moment zu Moment. Von den kleinen lebensnahen Dingen wie der Frage: Brauche ich eine kurze Pause? Bis hin zu den großen Fragen des Lebens wie: Welche Werte vertrete ich eigentlich und von welchen Leuten möchte ich umgeben sein?“
Achtsamkeit kommt nicht über Nacht
„Allerdings geht das nicht von heute auf morgen“, betont Gugel. Es müsse für eine Weile, circa acht bis zwölf Wochen, geübt werden. „Ohne diese Übung bleiben wir in unserer alten Erfahrung und wiederholen sie immer wieder von Neuem“, so der Trainer. Das liege einfach an der Beschaffenheit unseres Gehirns. Es sei veränderbar, brauche aber Zeit für den Umbau, also einen Lernprozess.
Wie kann Achtsamkeit trainiert werden?
Achtsamkeit könne zum einen mit angeleiteten Achtsamkeitsübungen wie der Atem- oder Gehmeditation trainiert werden. Für diese Übungen sollte man sich bewusst eine gewissen Zeit am Tag einräumen – quasi wie Zähneputzen für den Geist. Zum anderen könne man kleine Achtsamkeitsübungen konsequent in den Alltag einbaut, so dass sie zur Gewohnheit werden.
Duschen als Achtsamkeitsübung
Eine super Übung kann Gugel zufolge zum Beispiel das Duschen sein. Also eine Tätigkeit, die wir oft nebenher erledigen während wir Gedanken oder den Tagesplan durchgehen. „Wenn wir uns darauf konzentrieren, das warme Wasser zu spüren und den Duft von Seife und Shampoo zu riechen, wird duschen zur sinnlichen Erfahrung und damit zu einer Übung in Achtsamkeit“, unterstreicht der Achtsamkeitsexperte.
Achtsamkeit kann wie ein Muskel trainiert werden
„Auch wenn unsere Konzentration anfangs vielleicht schon nach wenigen Sekunden abschweift und unsere Gedanken woanders hinwandern – sobald wir das gedankliche Abdriften bemerken, ist es ein Moment der Achtsamkeit“, sagt Gugel. „Im nächsten Schritt lenken wir unsere Aufmerksamkeit freundlich und gezielt auf die sinnliche Erfahrung zurück. So können wir Achtsamkeit trainieren wie einen Muskel.“ Weitere Methoden zum Stressabbau finden Sie in dem Artikel: Stress abbauen leicht gemacht. (vb; Quelle: dpa/Natalie Skrzypczak)
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.