Geringeres Blutgerinnsel-Risiko bei künstlichen Herzklappen
Millionen Menschen müssen gerinnungshemmende Medikamente einnehmen. Auch Patientinnen und Patienten mit mechanischen Herzklappen sind auf solche Arzneimittel, die im Volksmund als Blutverdünner bezeichnet werden, angewiesen. Doch möglicherweise könnte diesen Betroffenen ein Leben ohne solche Präparate ermöglicht werden.
Mechanische Herzklappen aus Kunststoff und Metall haben eine sehr hohe Lebensdauer. Doch das körperfremde Material der künstlichen Herzklappe beeinflusst die Blutgerinnung, weshalb betroffene Patientinnen und Patienten eine verstärkte Blutgerinnung haben. Als Folge leiden sie unter einem höheren Risiko für ein Blutgerinnsel (Thrombose) und müssen daher ein Leben lang gerinnungshemmende Medikamente einnehmen, erklärt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) auf dem Portal „organspende-info.de“. Doch dies ließe sich womöglich ändern.
Tägliche Einnahme von gerinnungshemmenden Medikamenten
Wie die Universität Bern in einer aktuellen Mitteilung schreibt, müssen Menschen mit mechanischen Herzklappen täglich Blutverdünner einnehmen, da sie ein erhöhtes Risiko für Blutgerinnsel und Hirnschlag haben.
Jetzt haben Forschende des ARTORG Center der Universität Bern entdeckt, wie in den Klappen turbulente Blutströmung entsteht, die letztlich zu Gerinnseln führen kann.
Laut den Fachleuten könnte eine Design-Optimierung dieses Risiko stark vermindern und den Betroffenen ein Leben ohne Medikamente ermöglichen.
Erhöhtes Risiko für eine Gerinnselbildung
Turbulenzen kennen die meisten Menschen aus der Luftfahrt: Bestimmte Windverhältnisse sorgen für einen holprigen Passagierflug. Doch auch innerhalb menschlicher Gefäße kann der Blutfluß turbulent sein.
Turbulenzen können etwa auftreten, wenn das Blut entlang von Gefäßkrümmungen oder -kanten fließt und dabei die Fließgeschwindigkeit abrupt ändert. Eine turbulente Blutströmung erzeugt zusätzliche Kräfte, die die Wahrscheinlichkeit der Bildung von Blutgerinnseln erhöhen können.
Diese Gerinnsel wachsen langsam an, bis sie vom Blutstrom mitgerissen werden und einen Schlaganfall verursachen können, indem sie eine Arterie im Gehirn verschließen.
Patientinnen und Patienten mit künstlicher Herzklappe haben ein erhöhtes Risiko für solche Gerinnselbildung. Dies ist aus der Beobachtung von Betroffenen nach der Implantation einer künstlichen Klappe bekannt.
Vor allem trifft das bei Personen mit mechanischen Herzklappen zu, die deshalb täglich Blutverdünner erhalten, um einem Hirnschlag vorzubeugen. Unklar war bislang aber, warum mechanische Herzklappen die Gerinnselbildung weitaus stärker fördern als andere Klappentypen, beispielsweise biologische Herzklappen aus tierischem Gewebe.
Starke Turbulenz im Blutstrom
Zwei Ingenieuren der Cardiovascular Engineering Gruppe am ARTORG Center for Biomedical Engineering Research der Universität Bern ist es nun gelungen, einen Mechanismus zu identifizieren, der wesentlich zur Gerinnselbildung beitragen kann.
Dazu verwendeten die Wissenschaftler komplexe mathematische Methoden der hydrodynamischen Stabilitätstheorie, einem Untergebiet der Strömungsmechanik, das bereits seit vielen Jahrzehnten erfolgreich zur Entwicklung treibstoffeffizienter Flugzeuge eingesetzt wird.
Den Angaben zufolge ist es die erste Translation dieser Methoden, die Physik und angewandte Mathematik verbinden, in die Medizin.
Mit aufwändigen Simulationen auf Supercomputern des Centro Svizzero di Calcolo Scientifico in Lugano (Schweiz) konnte das Forschungsteam zeigen, dass die aktuelle Form der Ventilflügel der Herzklappe zu starker Turbulenz im Blutstrom führt.
„Anhand der Simulationsdaten konnten wir beobachten, wie das Blut an der Vorderkante der Ventilflügel aufprallt, und wie der Blutfluss dadurch rasch instabil wird und turbulente Wirbel bildet“, erläutert Hadi Zolfaghari, Erstautor der Studie.
„Durch die hohen Kräfte, die dabei entstehen, wird die Blutgerinnung aktiviert und im Rückströmgebiet unmittelbar hinter der Klappe können sich Gerinnsel bilden. Mit Hilfe von Supercomputern konnten wir eine Ursache für die Turbulenz in diesen Herzklappen aufspüren und mittels hydrodynamischer Stabilitätstheorie eine technische Lösung dafür finden.“
Ihre Ergebnisse wurden in dem Fachmagazin „Physical Review Fluids“ veröffentlicht.
Schon ein leicht abgeändertes Design würde eine Verbesserung bewirken
Laut der Mitteilung bestehen die in der Studie untersuchten mechanischen Herzklappen aus einem Metallring und zwei auf Scharnieren rotierenden Flügeln, die sich bei jedem Herzschlag öffnen und schließen und so das Blut aus dem Herzen aus-, aber nicht wieder einströmen lassen.
Das Team untersuchte auch, wie die Herzklappe verbessert werden könnte. Es zeigte sich, dass bereits ein leicht abgeändertes Design der Ventilflügel das Blut fließen lässt ohne Instabilitäten zu erzeugen, die zu Turbulenz führen – also ähnlich wie bei einem gesunden Herzen.
Ein solcher turbulenzfreier Blutfluss würde die Neigung zu Gerinnselbildung und Hirnschlag deutlich reduzieren.
Normales Leben ohne dauerhafte Medikamenteneinnahme
Der Universität Bern zufolge erhalten jährlich mehr als 100.000 Menschen eine mechanische Herzklappe. Wegen des hohen Risikos zur Gerinnselbildung müssen diese Menschen täglich und lebenslang Medikamente zur Blutverdünnung einnehmen.
Würde also das Design der Herzklappen aus strömungsmechanischer Sicht verbessert, dann wäre es künftig denkbar, dass diese Patientinnen und Patienten mit Implantaten gar keinen Blutverdünner mehr benötigen. Sie könnten ein normales Leben führen – ohne erhöhtes Schlaganfallrisiko und ohne dauerhafte Medikamenteneinnahme.
„Das Design mechanischer Herzklappen wurde seit ihrer Entwicklung in den 1970er Jahren so gut wie nicht angepasst“, erklärt Dominik Obrist, Leiter der Forschergruppe am ARTORG Center.
„Dagegen gab es in anderen Ingenieursbereichen, wie beispielsweise im Flugzeugbau, sehr viel Forschung und Weiterentwicklung. Wenn man bedenkt, wie viele Menschen eine künstliche Herzklappe tragen, ist es an der Zeit, auch hier über Design-Optimierungen zu sprechen, um diesen Menschen ein besseres Leben zu ermöglichen“, so der Experte. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Universität Bern: Weniger Risiko für Blutgerinnsel bei künstlichen Herzklappen, (Abruf: 14.01.2020), Universität Bern
- Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): Die Herzklappentransplantation, (Abruf: 14.01.2020), organspende-info.de
- Hadi Zolfaghari and Dominik Obrist: Absolute instability of impinging leading edge vortices in a submodel of a bileaflet mechanical heart valve; in: Physical Review Fluids, (Veröffentlichung: 06.12.2019), Physical Review Fluids
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.