Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung: Mehr ADHS-Diagnosen bei Erwachsenen
Die Zahl der Diagnose „ADHS“ steigt seit Jahren. Vor allem bei immer mehr Kindern in Deutschland wird eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung festgestellt. Allerdings wird das Krankheitsbild auch zunehmend bei Erwachsenen diagnostiziert.
Anhand von Diagnose- und Abrechnungsdaten der AOK Niedersachsen hat sich gezeigt, dass im Jahr 2018 bei 26.000 Versicherten der Krankenkasse eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung diagnostiziert wurde. Im Vergleich der Jahre 2009 bis 2018 entspricht dies einem relativen Anstieg von 45 Prozent. Laut einer Mitteilung zeigt die Analyse auch, dass Diagnosen bei Erwachsenen zugenommen haben.
Bis zu drei Prozent der Bevölkerung sind betroffen
„Lange galt ADHS als eine Krankheit, unter der vor allem Kinder und Jugendliche leiden. In der Bevölkerung hält sich diese falsche Annahme bis heute“, schreibt die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) in einer älteren Mitteilung.
„Fakt ist aber, dass die sogenannte Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung auch Erwachsene plagen kann – und das nicht selten: Rund zwei bis drei Prozent der Bevölkerung sind betroffen“, so die Fachleute.
Im Erwachsenenalter äußert sich ADHS anders
Wie das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) auf dem Portal „gesundheitsinformation.de“ erklärt, ist eine ADHS bei Erwachsenen weniger offensichtlich als bei hyperaktiven, „zappeligen“ Kindern und Jugendlichen.
Erwachsene mit ADHS haben demnach vor allem Probleme, ihren Alltag oder ihre Arbeit zu organisieren, sich über längere Zeit auf Aufgaben zu konzentrieren, Termine einzuhalten oder Rechnungen zu bezahlen.
Sie sind jedoch auch sehr impulsiv. Beispielsweise reden Erwachsene mit ADHS viel und unterbrechen andere häufig. Manche Betroffene bekommen schnell Ärger, beenden voreilig Beziehungen, wechseln von jetzt auf gleich den Job oder kündigen, bevor sie eine neue Stelle haben.
Zudem tun sich viele Erwachsene mit ADHS schwer damit, ihre Gefühle im Gleichgewicht zu halten. Den Fachleuten zufolge sind sie leicht reizbar, neigen zu Wutausbrüchen und haben eine niedrige Frustrationstoleranz.
Wenn sie gestresst sind, fällt es ihnen meist schwer, ihre Pflichten zu erfüllen. Und: „Erwachsene mit ADHS können auch Schwierigkeiten haben, sich Ziele zu setzen und diese zu erreichen“, heißt es auf dem Portal „gesundheitsinformation.de“.
Weniger Medikamente
Wie die AOK Niedersachsen berichtet, diagnostizieren Ärztinnen und Ärzte ADHS-Erkrankungen am häufigsten bei Kindern und Jugendlichen: In der Altersklasse der 5-Jährigen bis unter 10-Jährigen hatten vier Prozent im Jahr 2018 eine gesicherte Diagnose. Bei den 10-Jährigen bis 15-Jährigen waren es demnach sogar 6,1 Prozent.
Den Angaben zufolge blieb die Diagnosehäufigkeit bei Kindern auf einem hohen Niveau stabil. Erwachsene weisen die Erkrankung zwar insgesamt seltener auf, doch trotz dessen sind die Diagnosen im Vergleich zum Jahr 2009 im jungen und mittleren Erwachsenenalter (20 bis 55 Jahre) überproportional angestiegen.
Die Therapie der ADHS mit speziellen Medikamenten ist laut der Krankenkasse im 10-Jahres-Vergleich allerdings rückläufig. Während im Jahr 2009 58 Prozent aller Patientinnen und Patienten ein Medikament erhielten, waren es 2018 nur noch 47 Prozent.
Dieser Rückgang ist vor allem auf geringere Verschreibungsraten bei Kindern und Jugendlichen zurückzuführen. Bekamen im Jahr 2009 noch 62 Prozent ein spezifisches ADHS-Arzneimittel, so waren es im Jahr 2018 nur noch 50 Prozent. Doch bei Erwachsenen über 20 Jahren zeigen sich steigende Verschreibungszahlen (2009: 28 Prozent; 2018: 36 Prozent).
„Diese Entwicklungen lassen sich auf eine vermehrte Awareness bei Patienten und Therapeuten für die ADHS-Diagnose speziell im Erwachsenenbereich zurückführen“, erläutert Prof. Kai Kahl, leitender Oberarzt in der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie der Medizinischen Hochschule Hannover.
„Wird eine ADHS diagnostiziert, ist bei entsprechendem Schweregrad eine multimodale Therapie, bestehend aus Psycho- und Pharmakotherapie, angezeigt“, so der Experte. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- AOK Niedersachsen: ADHS auf dem Vormarsch? – Analyse zeigt Zunahme von Diagnosen bei Erwachsenen, (Abruf: 16.02.2020), AOK Niedersachsen
- Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN): ADHS ist keine Castingshow:Nachwuchsinitiative der DGPPN kämpft gegen Vorurteile, (Abruf: 16.02.2020), Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN)
- Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): ADHS bei Erwachsenen, (Abruf: 16.02.2020), gesundheitsinformation.de
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.