COVID-19 und Ibuprofen: Viel Wirbel um dünne Beweislage
Derzeit herrscht viel Verwirrung über Empfehlungen, Ibuprofen-Einnahmen bei Infektionen mit dem neuen Coronavirus SARS-CoV-2 besser zu unterlassen. Nachdem die Weltgesundheitsorganisation WHO erst vor Ibuprofen warnte, zog sie nun die Warnung wieder zurück. Auch renommierte deutsche Ärztinnen und Ärzte sehen keine Evidenz für erhöhte Gefährdung von COVID-19-Betroffenen unter Ibuprofen. Zudem nimmt jetzt auch die European Medicines Agency Stellung zu dem Thema.
„Für mich ist die WHO-Warnung keineswegs schlüssig, ich halte sie für völlig überzogen“, betont Bernd Mühlbauer, der Direktor des Institutes für Klinische Pharmakologie am Klinikum Bremen Mitte und Vorstandsmitglied der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) gegenüber dem „Deutschen Ärzteblatt“. Dennoch sei an der Empfehlung, sich eher an Paracetamol zu halten, grundsätzlich nichts auszusetzen, da das Mittel im Vergleich zu nicht-steroidalen Schmerz- und Entzündungshemmern sehr sicher ist.
Viel widersprüchliche Meldungen über Ibuprofen
Kürzlich machte ein Nachricht auf Whats-Nachricht die Runde, in der behauptet wurde, dass Ibuprofen den Verlauf von COVID-19-Erkrankungen verschlimmern kann. Da in der Nachricht die MedUni Wien erwähnt wurde, dementierte die Universität kurze Zeit später, dass sie etwas damit zu tun habe.
Die ganze Geschichte wurde neu befeuert, als der französische Gesundheitsminister Olivier Veran in einer Twitter-Mitteilung ebenfalls vor Ibuprofen-Einnahmen bei Coronavirus-Infektionen warnte. Schließlich stellte sich sogar die WHO hinter die Warnung, wodurch sie zunehmend ernst genommen wurde – sowohl von Gesundheitsfachleuten, als auch von der Presse sowie von Laien.
Jetzt gerät der Zusammenhang erneut in Straucheln, da viele Fachgesellschaften hinter dem oftmals angeführten Zusammenhang keine Evidenz erkennen. Dies gestand sich nun auch die WHO ein und zog die Warnung zurück. Was steckt hinter dem ganzen Wirbel?
WHO zieht Warnung vor Ibuprofen zurück
Expertinnen und Experten der WHO hatten Studien und Fachleute konsultiert und kamen dann zu dem Schluss, dass es keine Hinweise darauf gibt, dass Ibuprofen-Einahmen über die bekannten Nebenwirkungen hinaus negative Konsequenzen bei Covid-19-Betroffenen auslösen. Die Organisation zog in Folge ihre Warnung zurück und teilte mit, dass auf der Basis der vorhandenen Informationen nicht von einer Einnahme abgeraten werden könne.
Selbst die WHO kann sich täuschen – wie kam es dazu?
Die Verwirrung um Ibuprofen zeigt, dass selbst große Institutionen wie die WHO voreilige Schlüsse ziehen können. Die Warnung basierte auf vier Covid-19-Fällen aus einem französischen Krankenhaus, bei denen sich der Zustand der Betroffenen nach der Gabe von antientzündlichen Medikamenten wie Ibuprofen verschlechterte. Der französische Pharmakologe Jean-Louis Montastruc äußerte daraufhin Bedenken.
Kurz darauf zitierte auch das „British Medical Journal“ Professor Paul Little, der die Meinung vertrat, dass nichtsteroidales Antirheumatikum (NSAR) zu vermehrten Komplikationen bei Atemwegsinfektionen führen würde. Zudem vermutete der Virologe Ian Jones, dass Ibuprofen über den Einfluss auf den Wasser- und Elektrolythaushalt einer Lungenentzündung Vorschub leiste.
Das Bild wurde abgerundet durch eine Studie, die das Fachjournal „The Lancet“ veröffentlichte, die darauf hinweist, dass das neue Coronavirus über ACE2-Bindungsstellen in die Zellen gelangt. Diese Bindungsstellen werden durch die Einnahme bestimmter Medikamente, darunter auch Ibuprofen, erhöht. Die Vermutung lag nun nahe, dass die erhöhte Anzahl der ACE2-Bindungsstellen dem Virus bessere Angriffsmöglichkeiten bietet.
EMA schaltet sich ein
Diese Kette plausibel erscheinender Argumente brachte die WHO dazu, sich hinter die Warnung zu stellen. Nun schaltete sich jedoch auch die European Medicines Agency (EMA) ein und veröffentlichte ihrerseits eine Stellungnahme.
„Derzeit gibt es keine wissenschaftlichen Beweise, die einen Zusammenhang zwischen Ibuprofen und der Verschlechterung von COVID-19 herstellen. Die EMA beobachtet die Situation genau und wird alle neuen Informationen, die im Zusammenhang mit der Pandemie zu diesem Thema verfügbar werden, überprüfen“, schreibt die EMA in ihrer Stellungnahme.
Neue Empfehlung der EMA
„Bei Beginn der Behandlung von Fieber oder Schmerzen bei COVID-19 sollten Betroffene und medizinisches Fachpersonal alle verfügbaren Behandlungsoptionen, einschließlich Paracetamol und NSAR, in Betracht ziehen“, empfiehlt die EMA. Jedes Medikament habe seine eigenen Vorteile und Risiken, die sich in den Produktinformationen widerspiegeln. In den nationalen Behandlungsleitlinien der EU werde Paracetamol ohnehin als erste Behandlungsoption bei Fieber oder Schmerzen genannt.
„In Übereinstimmung mit den nationalen Behandlungsrichtlinien der EU können Erkrankte und Angehörige der Gesundheitsberufe NSAIDs wie Ibuprofen gemäß den genehmigten Produktinformationen weiterhin verwenden“, so die EMA weiter. Laut den Empfehlungen sollte dieses Medikament nur in der niedrigsten wirksamen Dosis über einen möglichst kurzen Zeitraum eingesetzt werden. Es gebe derzeit keinen Grund, die Ibuprofen-Einnahme aufgrund der angeführten Zweifel einzustellen. Dies gelte besonders für chronisch Kranke, die auf NSAID-Medikamente angewiesen sind. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- European Medicines Agency: EMA gives advice on the use of non-steroidal anti-inflammatories for COVID-19 (veröffentlicht: 18.03.2020), ema.europa.eu
- Ärzteblatt: Keine Evidenz für erhöhte Gefährdung von COVID-19-Patienten unter Ibuprofen (veröffentlicht: 18.03.2020), aerzteblatt.de
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.