Mehr gegen Antibiotika resistente Bakterien durch COVID-19?
In Zeiten der Coronakrise sind medizinische Zentren in Pandemie-Hotspots häufig überfüllt. Bei der Behandlung und Betreuung erkrankter Personen werden zudem viel mehr Antibiotika als normal verabreicht, was die Ausbreitung resistenter Bakterien begünstigt, so die Warnung in einem aktuellen Beitrag des Fachmagazins „Science“.
Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass der vermehrte Einsatz von Antibiotika im Zuge der COVID-19-Pandemie zu einem Anstieg von antibiotikaresistenten Bakterienstämmen beiträgt. Zwar fehlen derzeit noch belastbare Daten, doch sei von steigenden Resistenzen insbesondere gegen Antibiotika wie Azithromycin auszugehen.
Probleme an der Lunge werden häufig mit Antibiotika behandelt
Antibiotika wirken nicht direkt auf das für COVID-19 verantwortliche Atemwegsvirus SARS-CoV-2. Aber virale Atemwegsinfektionen erleichtern Bakterien das Eindringen in den Körper und führen häufig zu einer bakteriellen Lungenentzündung. Mediziner können nur schwer feststellen, welche Erreger die Lungenprobleme einer Person verursachen. Solche Personen werden daher häufig mit Antibiotika behandelt, besonders wenn es um Leben und Tod geht.
Führt Anstieg von COVID-19-Patienten zu mehr resistenten Bakterien?
Die Forschenden befürchten, dass der Anstieg von COVID-19-Patienten letztlich zu einem Anstieg antibiotikaresistenter Bakterien führen könnte. Krankenhäuser, insbesondere Intensivstationen, seien wahre Brutstätten antimikrobieller Resistenz. Zwar gebe es erhöhte Bemühungen, den Einsatz von Antibiotika einzudämmen. Doch COVID-19 erschwere viele dieser Bemühungen.
Verlangsamt COVID-19 die Ausbreitung von Antibiotikaresistenz?
Es gibt aber auch die These, dass die Pandemie die Ausbreitung von der Bakterien als auch der Antibiotikaresistenz innerhalb der Krankenhäuser verlangsamen könnte. Denn viele im Krankenhaus erworbene Infektionen benötigen Operationen, welche zur Zeit weitgehend abgesagt werden, um Bettenkapazitäten für COVID-19-Patienten aufrechtzuerhalten. Und das Personal trage derzeit verstärkt Masken und andere persönliche Schutzausrüstungen. Einige Krankenhäuser sind allerdings gezwungen persönliche Schutzausrüstung wiederzuverwenden und Beatmungsgeräte zwischen Erkrankten auszutauschen.
Übertragung von Krankheitserregern in Kliniken
„Es ist ganz klar, dass COVID-19 in Krankenhäusern übertragen wird, und wenn dies der Fall ist, dann gilt dies auch bei resistenten Bakterien“, berichtet Bo Shopsin vom Langone Health Center der University New York in dem Beitrag des Fachmagazins Science.
Einsatz von Antibiotika scheint stark zuzunehmen
Noch wichtiger ist, dass der Einsatz von Antibiotika anscheinend stark zunimmt. Mehrere neuere Studien aus China deuten darauf hin, dass fast alle schweren Fälle von COVID-19 mit Antibiotika behandelt werden. Den Forschenden zufolge berichten viele US-amerikanische und europäische Ärzte dasselbe.
Antibiotika notwendig, um Sekundärinfektionen zu bekämpfen
Oft sind Antibiotika zur Behandlung tatsächlich notwendig. Denn es gibt vermehrt Hinweise, dass viele COVID-19-Patienten eher an Sekundärinfektionen als am Virus selbst versterben. Eine kürzlich in „The Lancet“ erschienene Studie über die Ergebnisse von 247 hospitalisierten COVID-19-Patienten in Wuhan in China ergab, dass 15 Prozent dieser Patienten und die Hälfte der verstorbenen Personen bakterielle Infektionen hatten.
Ausbrüche von Atemwegsviren begünstigten tödliche Lungenentzündung
Größere Ausbrüche anderer Atemwegsviren verdeutlichen die Besorgnis der Forschenden. Bis zur Hälfte der 300.000 Menschen, die im Jahr 2009 an der H1N1-Grippe verstarben, und die Mehrheit der Todesfälle durch die Grippe von 1918, starben tatsächlich an bakterieller Lungenentzündung.
Richtlinien sind nicht immer anwendbar
Es gibt natürlich Richtlinien, wann Antibiotika eingesetzt werden sollte und wann nicht. Aber in der gegenwärtigen Situation ist es nur schwer vorstellbar, dass diese Richtlinien vollständig eingehalten werden, betonen die Forschenden. Sie erläutern die am Beispiel von Azithromycin.
Azithromycin-Mangel in den USA durch COVID-19?
In Kombination mit dem Malaria-Medikament Hydroxychloroquin wird derzeit Azithromycin vermehrt zur Behandlung von COVID-19-Patienten genutzt, nachdem kleine, unkontrollierte Studien auf die Wirksamkeit der Kombination hingewiesen hatten. Es ist quasi unmöglich zu wissen, wie oft die Kombination verschrieben wird, aber die Rate ist hoch genug, um einen Azithromycin-Mangel in den Vereinigten Staaten zu verursachen, berichten die Forschenden.
Antibiotika immer weniger wirksam?
Es ist noch zu früh, um zu sagen, in welchem Ausmaß COVID-19 die globalen Antibiotikaresistenzraten beeinflussen wird. Aber in einigen Teilen der Vereinigten Staaten waren bereits vor der Pandemie 30 bis 40 Prozent einiger verbreiteter Bakterienarten gegen die Medikamentenklasse resistent, zu der Azithromycin gehört, berichten die Forschenden. Nun könnte diese oder andere Antibiotika noch weniger wirksam werden.
Brauchen wir neue Richtlinien?
Weitere Forschung wird untersuchen, in welchem Umfang COVID-19-Patienten Antibiotika verabreicht werden und wie oft sie an Sekundärinfektionen leiden, welche den Einsatz von Antibiotika rechtfertigen. Die Ergebnisse sollten helfen, neue Richtlinien dafür zu entwickeln, wann und wie Antibiotika verschrieben werden. Die Bereitstellung von Datensätzen der Patientinnen und Patienten könnten auch helfen, besser zu verstehen, wie sich Infektionen in Krankenhäusern ausbreiten und warum bakterielle und virale Infektionen miteinander verbunden sind. (as)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Sara Reardon: Antibiotic treatment for COVID-19 complications could fuel resistant bacteria, in Science (Veröffentlicht 16.04.2020), Science
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.