Allergische Reaktionen: Schlaf spielt eine entscheidende Rolle
Fast jeder dritte Erwachsene in Deutschland leidet an einer Allergie. Bei den Betroffenen kommt es nach direktem Kontakt mit dem Allergieauslöser zu Beschwerden wie Husten, Niesen, Hautrötung, Juckreiz oder Ausschlag. Allerdings können allergische Reaktionen auch ohne das auslösende Allergen auftreten.
Laut einer aktuellen Mitteilung hat ein Forschungsteam der Universität Tübingen den Mechanismus des Lernens fehlangepasster allergischer Antworten auf eine neutrale Umgebung und die entscheidende Rolle des Schlafs entschlüsselt. Ihre Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) veröffentlicht.
Beschwerden treten meist sofort nach Kontakt auf
Dem Allergieinformationsdienst des Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt zufolge ist die Zahl der Menschen mit Allergien in westlichen Industriestaaten in den letzten Jahrzehnten teils um das Zwanzigfache angewachsen.
In Deutschland ist demnach bei einem knappen Drittel der Erwachsenen zwischen 18 und 79 Jahren irgendeine Allergie ärztlich festgestellt worden.
Wie das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) auf dem Portal „gesundheitsinformation.de“ erklärt, kommt es zu allergischen Reaktionen am häufigsten an den Atemwegen, der Haut und den Schleimhäuten.
Die Beschwerden treten laut den Fachleuten meist sofort nach Kontakt auf, manchmal auch erst nach Stunden oder Tagen.
Einfluss psychologischer Faktoren auf allergische Reaktionen
Allergische Reaktionen können auch ohne das auslösende Allergen wie Gräser- oder Birkenpollen auftreten, wenn die Allergikerin oder der Allergiker in die gleiche räumliche Umgebung zurückkehrt, in der sie oder er zuvor dem Allergen ausgesetzt war.
Eine solche Konditionierung – das Lernen einer bedingten Reaktion auf eine an sich neutrale und ungefährliche Situation – passiert allerdings nur nach einer Schlafphase, die auf die Konditionierung folgt.
Das hat nun eine neue Studie zum Einfluss psychologischer Faktoren auf allergische Reaktionen ergeben, die ein Forschungsteam unter der Leitung von Dr. Luciana Besedovsky und Professor Jan Born vom Institut für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie der Universität Tübingen durchgeführt hat.
Mit den Ergebnissen lässt sich zumindest teilweise erklären, warum allergische Beschwerden so oft in einer Art Placebo-Reaktion ohne Vorhandensein des Allergens beobachtet werden.
Allergischer Schnupfen ohne Allergene
Für die Studie wurden Probandinnen und Probanden mit allergischem Schnupfen rekrutiert, die in einem neutralen Versuchsraum durch Verabreichung eines Nasensprays mit ihrem jeweiligen Allergen wie Gräser- oder Birkenpollen konfrontiert wurden.
Die Stärke der bei allen Teilnehmenden auftretenden allergischen Reaktion wurde jeweils über die Menge eines bestimmten Enzyms im Nasensekret gemessen. Die Hälfte der Probandinnen und Probanden ging nach diesem Experiment für acht Stunden schlafen, die zweite Hälfte musste bis zum kommenden Abend wach bleiben.
Eine Woche darauf wurde das Experiment im selben Versuchsraum wiederholt – nur dass dieses Mal keine Allergene verabreicht wurden.
„Die Probanden reagierten schon kurz nach Betreten des Versuchsraums mit allergischem Schnupfen. Allerdings nur die aus der Schlafgruppe“, erklärt Besedovsky.
Weder hätten die Versuchsteilnehmenden der Wachgruppe allergisch auf die Rückkehr in den Versuchsraum reagiert noch hätte ein anderer Ort, an den die Probandinnen und Probanden der Schlafgruppe in der zweiten Woche geführt wurden, eine solche Wirkung gehabt.
Schlafphase spielte eine entscheidende Rolle
„Wie bei klassischen Lernprozessen aus anderen Zusammenhängen spielte die Schlafphase in unserer Studie eine entscheidende Rolle. Nur so verknüpfte das Gehirn eine bestimmte Umgebung fest mit einer allergischen Reaktion“, so Jan Born.
Laut der Mitteilung sei dies der erste Beleg dafür, dass allein ein bestimmter Ort eine allergische Reaktion auslösen kann. Die Forschenden gehen davon aus, dass an der Konditionierung durch die Umwelt, wie bei vielen Gedächtnisprozessen, die Hirnstruktur des Hippocampus beteiligt ist. Dieser arbeite schlafabhängig.
„Erstaunlich ist, wie schnell das Immunsystem die fehlangepasste Reaktion erlernt. Im Experiment genügte eine einzige Allergengabe, um die allergische Reaktion mit der Umgebung zu verknüpfen“, erklärt Besedovsky.
Dass dieser Lernmechanismus entschlüsselt werden konnte, helfe sowohl der Allergie- als auch der Schlafforschung. Einfache Schlussfolgerungen zur Verbesserung der Situation von Allergikerinnen und Allergikern seien jedoch schwierig, da man auf Schlaf nicht verzichten könne – zumal dieser sich positiv auf andere, hilfreiche Immunreaktionen auswirke. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Universität Tübingen: Schon der falsche Ort kann eine allergische Reaktion auslösen, (Abruf: 06.05.2020), Universität Tübingen
- Luciana Besedovsky, Mona Benischke, Jörg Fischer, Amir S. Yazdi, Jan Born: Human sleep consolidates allergic responses conditioned to the environmental context of an allergen exposure; in: Proceedings of the National Academy of Sciences, (veröffentlicht: 04.05.2020), Proceedings of the National Academy of Sciences
- Helmholtz Zentrum München - Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt: Allergieinformationsdienst: Wie verbreitet ist Heuschnupfen?, (Abruf: 06.05.2020), Allergieinformationsdienst
- Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): gesundheitsinformation.de: Allergien, (Abruf: 06.05.2020), gesundheitsinformation.de
Wichtiger Hinweis:
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