Entscheidungsspielraum für Bund und Länder bei Corona-Lockerungen
Bund und Länder müssen die am 6. Mai 2020 beschlossenen Lockerungen im Zuge der COVID-19-Pandemie weder zurücknehmen noch ausweiten. Sie haben bei den Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung einen weiten „Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum”, stellte das Bundesverfassungsgericht mit zwei am Donnerstag, 14. Mai 2020, veröffentlichten Beschlüssen klar (Az: 1 BvR 1027/20 und 1 BvR 1021/20). Die Karlsruher Richter wiesen damit Verfassungsbeschwerden ab, bei denen ein Antragsteller die Verlängerung von Eindämmungsmaßnahmen zur COVID-19-Pandemie und ein anderer weitergehende Lockerungen verlangte.
Kläger wollte Verlängerung der Maßnahmen erreichen
Im ersten Verfahren befürchtete ein fast 65-jähriger Mann, dass die von Bund und Ländern beschlossenen Lockerungen der Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen sein Recht auf körperliche Unversehrtheit verletzen. Er gehöre angesichts seines Alters zu einer Risikogruppe, die bei einer Infektion mit dem Virus SARS-CoV-2 besonders gefährdet sei. Er verlangte vom Bundesverfassungsgericht eine einstweilige Anordnung, dass die Lockerungsmaßnahmen ausgesetzt und die Öffnungen der Schulen einstweilen untersagt werden. Der Staat sei schließlich zum Schutz seiner Gesundheit verpflichtet.
Weiterer Kläger wandte sich gegen Corona-Maßnahmen
Im zweiten Fall forderte der aus Bayern stammende Antragsteller das Gegenteil. Er rügte, dass Bund und Länder immer noch viel zu weitgehende Eindämmungsmaßnahmen vorsehen und seine Freiheitsrechte beschränken. Er sei jünger und gehöre auch sonst nicht zu einer Risikogruppe. Die Gefahren seien für ihn daher gering, eine Corona-Infektion sei für ihn allenfalls mit einer normalen Grippe zu vergleichen. Die Freiheit jüngerer, nicht gefährdeter Personen dürfe aber nicht zum Schutz von Risikogruppen beschränkt werden. Der Staat könne ja Quarantänemaßnahmen allein gegen gefährdete Personen erlassen.
Doch die mit den Fällen befasste 3. beziehungsweise 1. Kammer des Bundesverfassungsgerichts wiesen die Verfassungsbeschwerden mit Beschlüssen vom 13. Mai 2020 als unzulässig zurück. Im ersten Verfahren bestätigte das Gericht zwar die staatliche Pflicht, „sich schützend und fördernd vor das Leben zu stellen sowie Beeinträchtigungen der Gesundheit zu schützen”. Doch die Verletzung dieser Schutzpflicht könne das Bundesverfassungsgericht nur feststellen, „wenn überhaupt nichts getan wird, wenn Maßnahmen offensichtlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind oder wenn sie erheblich hinter dem Schutzziel zurückbleiben”.
Dies sei hier aber nicht der Fall. Bund und Länder hätten bei den Lockerungsmaßnahmen einen weiten Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum. Mit den Lockerungen sollten andere Grundrechte und die gesellschaftliche Akzeptanz der Pandemie-Bekämpfung gewährleistet werden.
Im zweiten Verfahren erinnerten die Verfassungsrichter den jüngeren Beschwerdeführer daran, dass die Corona-Eindämmungsmaßnahmen nicht nur seinem eigenen Schutz, sondern auch dem Schutz besonders gefährdeter Personen dienen. Zu deren Schutz sei der Staat grundsätzlich berechtigt und auch verpflichtet.
Bund und Länder dürfen Freiheitsbeschränkungen abverlangen
Bund und Länder dürften dabei Regelungen treffen, „die auch den vermutlich gesünderen und weniger gefährdeten Menschen in gewissem Umfang Freiheitsbeschränkungen abverlangen”. So könne auch die gesellschaftliche Teilhabe und Freiheit gefährdeter Menschen gesichert werden. Hier stehe dem Staat ein Spielraum beim Ausgleich der widerstreitenden Grundrechte zu. Den verfassungsrechtlichen Anforderungen trügen die Länder zudem dadurch Rechnung, dass sie die Freiheitsbeschränkungen befristen und stetig lockern. (sb)
Autoren- und Quelleninformationen
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- Bundesverfassungsgericht: Az: 1 BvR 1027/20 und 1 BvR 1021/20
Wichtiger Hinweis:
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