Virus-Mutationen bieten auch Chancen
Das Coronavirus SARS-CoV-2 verändert sich ständig, wie andere Viren auch. Dieser Vorgang wird Mutation genannt und ist ein wichtiger Bestandteil der Evolution. Unter einem mutierten Virus stellen sich die meisten Menschen ein Erreger vor, der gefährlicher ist, als vorher. Doch dieser Prozess kann auch dazu führen, dass ein Virus weniger tödlich wird. Ein Virologe erklärt, warum SARS-CoV-2 im Laufe der Zeit zu einem harmlosen Schnupfen werden könnte.
Professor Dr. Christian Drosten ist Leiter der Virologie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin und Spezialist im Bereich Coronaviren. In dem NDR-Podcast Coronavirus-Update erklärt der Experte, wie Viren mutieren und welche Auswirkungen dies haben kann. Bei SARS-CoV-2 stehen die Chancen gut, dass das Virus durch Mutationen weniger gefährlich wird.
Viren unterliegen einer ständigen Veränderung
Viele Virenarten verändern sich ständig. Allein von dem Influenza-Virus, welches jedes Jahr für die Grippe-Welle sorgt, existieren drei Haupttypen und zahlreiche Subtypen, weshalb der Impfstoff auch ständig verändert werden muss und nicht hundertprozentig schützt.
Die Evolution von Viren
Eine infizierte Person bildet eine Virus-Population innerhalb des Körpers. Diese Population kann auch einen Teil mutierter Viren beinhalten oder es bilden sich neue Mutationen innerhalb dieser Population. Die Mutationen sind rein zufällig und in den allermeisten Fällen bieten sie keine Vorteile für das Virus, weshalb sie mit der Zeit wieder verschwinden. In der Regel bieten Mutationen erst einen Vorteil, wenn in einer Generation von mutierten Viren erneut eine Mutation erfolgt.
„Häufig ist es in der Evolution so, dass eine Mutation keinen Unterschied macht und erst die Summe von drei, vier oder fünf Mutationen, die macht auf einmal eine große phänotypische Veränderung, also in der Gestalt und Erscheinungsformen und dem Verhalten eines solchen Virus aus“, erklärt Drosten.
Wenn Mutationen zum Selektionsvorteil werden
Dass so ein Mutationsgeschehen innerhalb einer einzigen Person geschieht, ist extrem unwahrscheinlich. Wenn eine Person jedoch eine andere Person infiziert, wird immer nur ein kleiner Teil der gesamten Viruspopulation weitergegeben. Dieser Teil kann auch bereits mutierte Viren enthalten. Trifft diese mutierte Teilpopulation auf eine andere mutierte Teilpopulation, kann es Drosten zufolge zu einem Riesenselektionsvorteil für das Virus kommen. Dabei erhält eine Generation die Mutationen, die in zwei verschiedenen Teilpopulationen entstanden sind. „Und dieses Zusammenstecken der Mutationen, das ist Rekombination, also das sich Überkreuzen und Zusammenschmelzen von Genomen“, so der Virologe.
Evolution ist reiner Zufall
„Das ist einfach Evolution, das passiert einfach“, betont der Coronavirus-Experte. Dahinter stecke keine Vorstellung oder kein Plan. Wenn ein Virus sich zufällig so verändert, dass es sich besser vermehren oder ausbreiten kann, als das Original, dann verdrängt das neue Virus das alte im Laufe der Zeit.
Sind Mutationen gefährlich für den Menschen?
„Ich will gar nicht sagen, wir müssen uns da vor etwas fürchten“, unterstreicht Drosten. Doch man müsse sich vor Augen führen, dass das Coronavirus SARS-CoV-2 sehr gute Chancen hat, sich durch Mutation an den Menschen anzupassen, denn das Virus wird in einer großen Propulationsgröße übertragen, sodass gemischte Zusammensetzungen von mutierten Viren über mehrere Infizierte hinweg bestehen bleiben können. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Mutationen aufeinandertreffen, die einen Selektionsvorteil auslösen.
Welche Veränderungen sind bei SARS-CoV-2 vorstellbar?
Erst kürzlich zeigte eine aktuelle Studie, dass sich das Coronavirus SARS-CoV-2 am schnellsten in der Nase vermehrt und die Nasenhöhle wahrscheinlich der primäre Eintrittspunkt für das Virus ist. Ein Selektionsvorteil für SARS-CoV-2-Mutationen könnte also sein, dass sich das Virus noch besser auf die Nase spezialisiert. „Aber in der Nase werden wir nicht allzu krank davon“, erläutert der Coronavirus-Spezialist. Konkret gesagt: COVID-19 könnte auf lange Sicht zu einem Schnupfen werden, der sich nicht mehr in die Lunge ausbreitet. „So etwas könnte passieren“, unterstreicht Drosten.
Gefährliche Mutationen bieten nicht unbedingt einen Selektionsvorteil für das Virus
Eine für den Menschen deutlich schlechtere Variante wäre, dass SARS-CoV-2 durch Mutationen sein Vermehrungspotenzial in anderen Schleimhäuten steigert. Das würde die Krankheit gefährlicher machen, da sich dadurch das Risiko für den Befall der Lunge erhöht. Doch Drosten hält den ersten Fall für wahrscheinlicher. „Wenn so ein Virus sich noch besser auf die Nase fokussiert und uns noch weniger in der Lunge krank macht, dann laufen wir vielleicht noch längere Zeit mit einer laufenden Nase durch die Gegend und fühlen uns überhaupt nicht krank“, schildert der Virologe. In diesem Fall würde das Virus sich schneller verbreiten und hätte einen Selektionsvorteil.
Wenn eine gefährlichere Variante grassiert, sind die Menschen vorsichtiger und bleiben eher zu Hause und es werden mehr Maßnahmen zur Eindämmung durchgeführt. Dadurch wird das Virus weniger wahrscheinlich auf einen anderen Menschen übertragen, was kein Selektionsvorteil für das Virus darstellt. „Und jetzt werde ich wieder vom Evolutionsbiologen zum Menschen, der wieder vorsichtig optimistisch sagt, dass ich glaube, dass das einer der Treiber ist, der dazu führt, dass erfahrungsgemäß tatsächlich Virusepidemien über die Zeit harmloser werden“, resümiert Drosten. (vb)
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