COVID-19: Medikamententests laufen
Fachleute gehen davon aus, dass die Entwicklung eines Impfstoffs gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 noch länger dauern wird. Daher wird verstärkt daran gearbeitet, die Krankheit COVID-19 besser behandeln zu können. Dafür werden nicht nur neue Arzneimittel entwickelt, sondern auch bereits vorhandene Präparate erprobt. Derzeit laufen Tests mit vielversprechenden Medikamenten.
Auch wenn die Corona-Pandemie mittlerweile schon Monate anhält, gibt es noch immer keinen international zugelassenen Wirkstoff gegen die durch das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelöste Erkrankung COVID-19. Forschende aus Österreich testen nun vielversprechende COVID-19 Medikamente an SARS-CoV-2 Proben.
Wirkung in Zellkulturexperimenten getestet
Laut einer Mitteilung werden im BSL-3 Labor an der Medizinischen Universität Graz, dem Labor mit der höchsten Sicherheitsausstattung Österreichs, aktuell mögliche Medikamente auf ihre Wirkung gegen SARS-CoV-2-Erreger in Zellkulturexperimenten getestet.
In dem interdisziplinären Forschungsprojekt setzen sich die Forschenden zum Ziel, eine vorklinische Wirkstoff-Datenbank aufzubauen. Antivirale Medikamente sollen somit deutlich schneller zu einer klinischen Anwendung geführt werden. Zudem werden Medikamente zur Therapie bereits infizierter COVID-19-Patientinnen und -Patienten entwickelt.
Schnellere Verfügbarkeit mit hoher Wirkung
Wie es in der Mitteilung heißt, geht die Entwicklung von Impfstoffen gegen das Coronavirus weltweit mit noch nie gesehener Geschwindigkeit voran. Dennoch dauert es häufig Jahre, bis eine geeignete Impfung vorliegt.
Daher konzentriert sich ein Forschungsprojekt des Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib), der Medizinischen Universität Graz sowie des Grazer Biotech-Unternehmens Innophore zusätzlich auf das Auffinden, Evaluieren und vorklinische Testen einer bestimmten Klasse an Wirkstoffen, die schnellere Verfügbarkeit mit hoher Wirkung verbindet.
Die Rede ist von antiviralen Medikamenten, wie sie beispielsweise gegen HIV, MERS oder SARS entwickelt wurden. Diese hemmen Enzyme, die Viren zur Vermehrung benötigen, in ihrer Aktivität und verhindern das Eindringen von Viren in zum Beispiel Lungenzellen. Damit können die Mittel einerseits die Infektion von Zellen verhindern, und andererseits die Vermehrung von Viren in infizierten Zellen unterdrücken. Beide Strategien sind wichtige Säulen für die Therapie von COVID-19-Erkrankten.
Potenzielle Wirkstoffkandidaten identifiziert
Weil viele dieser Arzneimittel bereits am Markt zugelassen sind, lassen sie sich relativ rasch zu Coronamedikamenten umfunktionieren. „Dieses Repurposing hat den Vorteil, dass chemische Substanzen schneller identifizierbar und aufgrund ihrer bereits erfolgten Zulassung für andere Erkrankungen sehr schnell für COVID-19 Patienten anwendbar sind“, erklärt Innophore-CEO und acib-Senior Researcher Christian Gruber.
„Im ersten Schritt konzentrieren wir uns darauf, Wirksubstanzen gegen das Coronavirus ausfindig zu machen. Daher screenen wir in einem weiteren Projekt durch den Einsatz von Computermodellierungen und -simulationen über zwei Milliarden einzelne Wirkstoffe gegen COVID-19“, so der Experte weiter.
Zudem wird im acib-Kooperationsprojekt die computergestützte Suche mit Hochdurchsatzscreenings im Labor ergänzt. Den Angaben zufolge testen Robotersysteme einerseits die in den Computermodellen vorgeschlagenen Medikamente und andererseits neue Verbindungen aus Bibliotheken hunderttausender chemischer Verbindungen direkt im Labor auf ihre Wirkung. Sie zeigen in Echt, ob die Computermodelle stimmen und durch den Rückfluss der real gemessenen Daten in die Simulationen kann die Vorhersagegenauigkeit der Computermodelle verbessert werden.
„Wir freuen uns, dass wir bereits eine Reihe an potenziellen Wirkstoffkandidaten identifizieren konnten”, sagt Gruber. Derzeit werden diese Ausgangssubstanzen im BSL-3 Hochsicherheitslabor an der Med Uni Graz optimiert und unterschiedlichen in-vitro-Tests unterzogen, um ihre Eignung für spätere klinische Studien abzuklären.
Hochinfektiöse Viren
Um Substanzen auf ihre Wirkung zu testen, müssen sie mit dafür eigens vermehrten, lebenden Erregern wie dem hochinfektiösen SARS-CoV-2 Coronavirus in Zellkulturen zusammengebracht werden. Um den Schutz von Personen und Umwelt zu gewährleisten, ist deswegen eine Laborinfrastruktur gefordert, wie sie am Med Uni Campus Graz zur Verfügung steht.
„Das BSL-3 Labor weist den in Österreich derzeit höchsten verfügbaren Sicherheitsstandard für Labore auf“, sagt Kurt Zatloukal vom Diagnostik- und Forschungsinstitut für Pathologie der Medizinischen Universität Graz.
Die in-vitro Tests antiviraler Arzneimittel folgen dabei drei Phasen: „Diese Erstphase der Covid-19 Experimente wurde bereits erfolgreich abgeschlossen. Dabei führen wir Zytotoxizitätstests durch, um sicherzustellen, dass die Verbindungen keine generelle Schädigung der Zellen verursachen und bestimmen in einem weiteren Schritt, in welcher Konzentration die Substanz eingesetzt werden kann“, so Zatloukal und Gruber.
Dazu bekamen sie unter anderem von der Medizinischen Universität Wien OC-43-Isolate (einer Untergruppe von Coronaviren) sowie den von der Charité – Universitätsmedizin Berlin isolierten SARS-CoV-2 Virusstamm und Viruskulturen, die von insgesamt 17 steirischen COVID-19-Patienten angelegt wurden und unterschiedliche genetischen Varianten des Virus umfassen. Laut den Forschenden können von ihnen durchgeführte Experimente Aufschluss darüber geben, ob ein Medikament die Virusvermehrung verhindern kann.
Entwicklungsdauer wird verkürzt
In der zweiten, kürzlich gestarteten Prozessphase testen die Forschenden die Verbindungen auf ihre Wirkung gegen COVID-19. Um möglichst genau Aufnahme und Wirkung – sowie mögliche Nebenwirkungen – von Medikamenten im menschlichen Körper nachzubilden, kommen sogenannte humane Organoide zum Einsatz.
„Das sind im Labor gezüchtete Zellgruppen, deren Aufbau und Fähigkeiten weitgehend denen von Organen gleicht. Diese nächste Generation neuartiger, organischer Tools erlaubt es, die Wirkung von Substanzen in Zellen – außerhalb des Körpers – sehr genau zu untersuchen“, erklärt Zatloukal.
„Wir versuchen, möglichst viel Information darüber, wie sich Substanzen im menschlichen Körper verhalten können, in solchen Modellorganen in der Petrischale abzufragen. Damit werden der Einsatz von Tierversuchen verringert und die Entwicklungsdauer von SARS-CoV-2-Medikamenten verkürzt.“
Neue Medikamentengruppen entwickeln
In der letzten Phase testen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, ob die genetische Diversität verschiedener Virus-Subklassen von SARS-CoV-2 die Wirkungsweise von Medikamenten beeinflusst. Laut den Forschenden werden dazu die Virus-Isolate der steirischen COVID-19 Patienten sequenziert und gemeinsam mit Referenzstämmen aus anderen Ländern in-vitro und in-silico-Experimenten unterzogen. Das ist erforderlich, um zu zeigen, dass eine chemische Substanz für einen breiten klinischen Einsatz geeignet sein könnte.
„Unsere Forschungsarbeiten betreffen die sogenannte prä-klinische Entwicklungsphase eines Medikamentes. Je umfangreicher und überzeugender die Daten sind, umso größer ist die Chance, dass die Substanzen von der Industrie weiterentwickelt werden und letztendlich zum Einsatz am Menschen kommen. Was wir innerhalb des einjährigen, über das acib finanzierten Projekts, zeigen wollen, ist, dass unser Ansatz, antivirale Medikamente zu identifizieren und auf ihre Wirkung hin zu testen, funktioniert“, so Zatloukal.
Was für den kooperativen Ansatz der Zusammenarbeit gilt, könnte laut dem Fachmann auch auf den Einsatz von Medikamenten zutreffen: „Womöglich wird es am Ende die Kombination mehrerer Konzepte brauchen, um COVID-19 zu bekämpfen.“ (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Medizinische Universität Graz: COVID-19: Wirkstofftests laufen, (Abruf: 06.07.2020), Medizinische Universität Graz
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.