Einfluss früherer Erkältungen auf Verlauf von COVID-19
Beeinflusst eine frühere Infektion mit Erkältungsvviren die Schwere des Verlaufs von Covid-19? Neu Studienergebnisse deuten auf eine solche Schutzwirkung hin, da bei einer Vorinfektion gebildete Abwehrzellen auch gegen das neue Coronavirus SARS-CoV-2 wirken.
Bei einer aktuellen Untersuchung an der Charité – Universitätsmedizin Berlin wurde ein möglicher Zusammenhang zwischen früheren Erkältungen und einer Schutzwirkung vor einem schweren Verlauf von COVID-19 festgestellt. Die Ergebnisse wurden in dem englischsprachigen Fachblatt „Nature“ publiziert.
Wie schützt sich der Körper vor dem Coronavirus?
Das menschliche Immunsystem schützt sich durch eine besondere mehrstufige Abwehrstrategie gegen Erreger wie das Coronavirus SARS-CoV-2. Einerseits werden spezielle Antikörper gegen bestimmte Oberflächenstrukturen des Virus gebildet, andererseits setzt das Immunsystem auch verschiedene Zellen zur Abwehr von Erregern ein, beispielsweise mehrere Arten von T-Zellen. Diese reagieren auf Teile der Oberflächenproteine des Virus, was hilft, die Immunantwort und Antikörperproduktion zu koordinieren, erklären die Forschenden.
Welche Rolle spielen T-Zellen?
Das Vorhandensein von bestimmten T-Zellen könnte bei einigen Menschen den Verlauf von COVID-19 entscheidend beeinflussen. Dies habe sich bei der Untersuchung der T-Helferzellen aus dem Blut von 18 Menschen mit COVID-19 und 68 gesunden Teilnehmenden gezeigt. Bei ungefähr einem Drittel der untersuchten Teilnehmenden stellte die Forschungsgruppe entsprechende T-Helferzellen fest.
Wie war die Untersuchung aufgebaut?
Diese Abwehrzellen mit der Bezeichnung CD4+-T-Zellen wurden für die Untersuchung mit verschiedenen Teilstücken des Spike-Proteins von SARS-CoV-2 in Verbindung gebracht. Die T-Helferzellen aus dem Blut der meisten Personen mit COVID-19 reagierten auf die Protein-Teile des Coronavirus, berichten die Forschenden.
Immunsystem von gesunden Menschen erkannte Virus
Die Forschungsgruppe war überrascht von der Vorstellung, dass die T-Zellen von manchen der gesunden Teilnehmenden ebenfalls auf die viralen Proteinstücke reagierten. Bei etwa einem Drittel der gesunden Teilnehmenden waren T-Helferzellen vorhanden, welche Fragmente von SARS-CoV-2 identifizierten. Mit anderen Worten ausgedrückt: Es gab tatsächlich Personen, welche noch nie Kontakt zu dem neuen Coronavirus hatten, aber deren Immunsystem trotzdem das Virus erkannte.
Möglicher Ursprung der Reaktion auf das Coronavirus
Die Forschungsgruppe fand einen möglichen Grund für die oben genannte Reaktion. T-Zellen von Personen mit COVID-19 reagierten auf fast alle Komponenten des Spike-Proteins, allerdings war dies bei T-Zellen von gesunden Teilnehmenden nicht der Fall. T-Zellen wurden nur von Teilstrukturen des Proteins aktiviert, welche evolutionär älter sind und auch bei anderen, eng verwandten Coronaviren (SARS-CoV oder vier bekannten Erkältungs-Coronaviren) vorkommen.
Vorherige Erkältung führt zu Schutzwirkung?
Diese Feststellung deutet darauf hin, dass T-Helferzellen von gesunden Menschen auf SARS-CoV-2 reagieren, weil sie sich in der Vergangenheit mit heimischen Erkältungs-Coronaviren auseinandersetzen mussten. Eine bekannte Eigenschaft von T-Helferzellen ist, dass sie nicht ausschließlich von passenden Erregern aktiviert werden, sie können auch von ähnlichen Erregern aktiviert werden.
Was sind T-Helfer-Gedächtniszellen?
Reaktionstests mit Proteinteilen von gängigen Erkältungs-Coronaviren zeigten, dass T-Helferzellen von gesunden Probanden stark auf diese ansprachen. Dies lies darauf schließen, dass etwa ein Drittel der gesunden Teilnehmenden in ihrer Vergangenheit bereits einmal eine Erkältung durchlebt hatten, die von harmlosen Erkältungs-Coronaviren verursacht wurde. Nach solch einer Infektion scheinen im Körper sogenannte T-Helfer-Gedächtniszellen vorhanden zu bleiben, die auch später noch auch auf das neue Coronavirus zu reagieren scheinen.
Erkältung schwächt Symptome von COVID-19 ab?
Die Forschenden sind der Meinung, dass kreuzreaktive T-Helferzellen eine schützende Wirkung haben könnten, beispielsweise dadurch, dass vom Körper schneller Antikörper gegen das neuartige Virus gebildet werden. Sollte diese Vermutung zutreffen, könnte eine vor kurzer Zeit durchgemachte Coronavirus-Erkältung Symptome von COVID-19 wahrscheinlich abschwächen.
Wird eine Fehlreaktion des Immunsystems ausgelöst?
Es wäre aber allerdings auch möglich, dass diese kreuzreaktive Immunität den Verlauf von COVID-19 verschlimmert, berichten die Forschenden. Durch die Fähigkeit von Abwehrzellen oder Antikörpern an einem Virus anzudocken, obwohl sie nicht perfekt auf dessen Struktur passen, kann auch eine Fehlreaktion des Immunsystems ausgelöst werden. Dadurch kann die körpereigene Abwehr das Virus nicht ausschalten und der Erreger sich weiter vermehren, wobei es gleichzeitig zu einer übersteigerten Immunantwort kommt.
Weitere Forschung ist nötig
Welche der beiden oben genannten Theorien stimmt, soll jetzt in einer Folgestudie geklärt werden. Bei solch einer Untersuchung sollten besonders Menschen involviert werden, die durch Erkältungsviren eventuell eine gewisse Immunität gegenüber SARS-CoV-2 entwickelt haben, weil sie in der Vergangenheit bereits häufig Erkältungen durchgemacht haben, beichten die Forschenden. Dies könnte dann dazu geführt haben, dass bei diesen Personen kreuzreaktive T-Helferzellen zu einem besonderen Schutz beitragen. Gleichzeitig plant die Forschungsgruppe Corona-Risikogruppen medizinisch zu begleiten. Dies könnte helfen, den Verlauf von COVID-19 sowohl vor als auch nach erfolgter SARS-CoV-2-Infektion besser vorherzusagen. (as)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Julian Braun, Lucie Loyal, Marco Frentsch, Daniel Wendisch, Philipp Georg et al.: SARS-CoV-2-reactive T cells in healthy donors and patients with COVID-19, in Nature (veröffentlicht 29.07.2020), Nature
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.