Herzmuskelentzündung durch SARS-CoV-2?
Verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass das Coronavirus SARS-CoV-2 nicht nur die Lunge, sondern viele weitere Organe befällt. Der neuartige Erreger kann unter anderem auch das Herz schädigen – und dies auch bei jüngeren Infizierten. Nun wollen Forschende untersuchen, ob es durch COVID-19 auch zu einer Herzmuskelentzündung kommen kann.
Da das neuartige Coronavirus erst vor relativ kurzer Zeit auf den Menschen übergesprungen ist, lernen Fachleute erst im Verlauf der aktuellen Pandemie mehr über sein Verhalten und die medizinischen Folgen der Infektion. Bisher stehen bei der durch SARS-CoV-2 ausgelösten Erkrankung COVID-19 vor allem die Atemwegs- und Lungensymptome im Vordergrund, doch das Virus greift unter anderem auch das Herz an.
Herzmuskel kann geschädigt werden
Der Schaden, den das Coronavirus SARS-CoV-2 anrichten kann, ist enorm. Es ist auch deshalb ein sehr ernst zu nehmender Krankheitserreger für die Medizin, weil es sämtliche Organe befallen kann. Laut einer aktuellen Mitteilung der Deutschen Herzstiftung berichten selbst genesene Patientinnen und Patienten von Folgewirkungen in Nieren, Lunge, Herz und Gehirn.
Seit Ausbruch der Corona-Pandemie wurden bei COVID-19-Betroffenen neben Symptomen wie Atemwegsprobleme bis hin zur Luftnot sowie Fieber und Husten auch vermehrt Herz- und Gefäßkomplikationen beschrieben. Bereits vor Monaten berichteten Forschende aus Italien in dem Fachmagazin „JAMA Cardiology“, dass COVID-19 auch Herzmuskelentzündungen zu begünstigen scheint.
Mittlerweile ist bekannt, dass SARS-CoV-2 den Herzmuskel schädigen kann. „Allerdings kennen wir noch nicht die genauen Mechanismen, mit denen das neuartige Coronavirus das Herz schädigt, wenn es den Herzmuskel befällt“, erläutert der Kardiologe und stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Herzstiftung, Prof. Dr. med. Thomas Voigtländer.
„Für Covid-19-Patienten sind rasch Forschungserkenntnisse dringend nötig, damit wir früh und gezielt mit Therapien eingreifen können, noch bevor das Virus seinen lebensbedrohlichen Schaden im Herzen verursacht.“
Richtiger Zeitpunkt für die richtige Therapie
Genau zu dieser Fragestellung wird ein Forschungsvorhaben der Abteilung für Kardiopathologie des Instituts für Pathologie und Neuropathologie am Universitätsklinikum Tübingen unter Leitung von Prof. Dr. med. Karin Klingel durchgeführt, das von der Deutschen Herzstiftung finanziell unterstützt wird.
Das im Rahmen von Autopsien an COVID-19 verstorbenen Patientinnen und Patienten entnommene Gewebe des Herzens sowie weiterer Organe werden histologisch, immunhistologisch sowie molekularbiologisch und elektronenmikroskopisch untersucht.
Über das Forschungsprojekt mit dem Titel „SARS-CoV-2: ein neues kardiotropes Virus mit Myokarditispotenzial?” informiert das Fachleute-Video auf dem YouTube-Kanal der Herzstiftung.
Wie es in der Mitteilung heißt, haben Studien gezeigt, dass COVID-19-Patientinnen und -Patienten auch EKG-Veränderungen und erhöhte Troponinwerte im Blut aufweisen. „Das deutet auf eine direkte Schädigung der Herzmuskelzellen und mögliche Funktionsstörungen der Gefäßinnenwände hin, bedarf aber der genauen wissenschaftlichen Abklärung“, erklärt die Ärztin und Forscherin Prof. Klingel.
Für die richtige Therapie der COVID-19-Infektion speziell bei Risikogruppen wie Herz-Kreislauf-Erkrankten ist es wichtig, den richtigen Zeitpunkt abzupassen. „Noch bevor das Virus großflächig Entzündungen in Lunge und anderen Organen hervorruft, sollten wir medizinisch beispielsweise durch Gabe antiviraler Substanzen eingreifen“, erläutert die Medizinerin.
„Dazu müssen wir unterscheiden, in welcher Krankheitsphase sich der Patient gerade befunden hat als er verstarb und wo sich das Virus im Herzen in diesem Augenblick vermehrt (repliziert): in den Herzmuskelzellen, den Zellen der Gefäßinnenhaut oder in Entzündungszellen wie den Makrophagen?“, so Klingel.
Schädigungen auch bei jüngeren Erkrankten
Der Herzstiftung zufolge verfolgt die COVID-19-Forschung mehrere Hypothesen, wie das neuartige Coronavirus den Herzmuskel schädigen und möglicherweise zu einer Herzmuskelentzündung (Myokarditis) führen kann.
Laut der ersten Hypothese könnte SARS-CoV-2 über den Rezeptor ACE2 (Angiotensin-konvertierendes Enzym 2) nicht nur in die Lunge, sondern auch in das Herz gelangen und dort direkt über die Virusvermehrung die Herzmuskelzellen zytotoxisch schädigen.
Das Tübinger Team untersucht, in welchen Zelltypen das Virus tatsächlich seine Erbinformation, die Ribonukleinsäure (RNA) replizieren und sich so in den menschlichen Organen ausbreiten kann. Deshalb auch die Autopsien in der Tübinger Pathologie: die Gewebeanalysen umfassen alle Organe von verstorbenen meist älteren COVID-19-Patientinnen und -Patienten über 80 Jahre, die auch an Vorerkrankungen wie Bluthochdruck, koronare Herzkrankheit (KHK), Diabetes und Herzmuskelerkrankungen wie Kardiomyopathie oder Herzschwäche litten.
Den Angaben zufolge lassen sich in der Tübinger Pathologie mittels histochemischer und immunhistochemischer Methoden oder mit Hilfe der Elektronenmikroskopie die unterschiedlichen Gewebestrukturen des Herzens sichtbar machen, die im Zuge von COVID-19 möglicherweise verändert werden. Die erhobenen Ergebnisse werden den klinischen Daten aus der zuvor stattgefundenen stationären Behandlung der Erkrankten am Tübinger Universitätsklinikum gegenübergestellt.
„Am Mikroskop erkennen wir dank der Technik der In-situ-Hybridisierung deutlich den Virusbefall spezifischer Zellen in Lunge und Herz anhand der angefärbten Virus-RNA in Form roter Flecken“, erklärt Prof. Klingel.
In Zusammenarbeit mit der Berliner Charité haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Tübingen außerdem die Möglichkeit, zusätzlich zu ihren Ergebnissen aus dem Gewebe verstorbener, auch Herzmuskelbiopsien lebender COVID-19-Erkrankter, darunter auch jüngere Patientinnen und Patienten, zu untersuchen und zu vergleichen. „Hier konnten wir ganz klar erkennen: Auch jüngere Menschen können offensichtlich eine Schädigung durch SARS-CoV-2 haben, die das Herz beeinträchtigt.“
Überreaktion des Immunsystems
Die zweite Hypothese zur Schädigung des Herzens befasst sich laut den Fachleuten mit einer Beeinträchtigung des Herzmuskels infolge einer Überreaktion des Immunsystems. Während einer Infektion mit dem neuartigen Coronavirus könnte es auch im Rahmen einer schon bestehenden kardiovaskulären Vorerkrankung zu einer massiven Überreaktion des Immunsystems in Form eines „Zytokinsturms“ kommen.
Zytokine sind Botenstoffe des Immunsystems, die bei einer Entzündung freigesetzt werden „Ein Mechanismus, der auch bei Influenzavirusinfektionen mit funktionellen Störungen des Herzmuskels einhergeht und zu gefährlichen Rhythmusstörungen führen kann“, betont Klingel. Unter anderem untersuchen die Medizinerinnen und Mediziner anhand von Gewebeproben die Coronavirus-infizierten Organe nach molekularen Schädigungsmechanismen.
„So gewinnen wir Informationen über die Erzeugung pathogener Proteine, über lokale Entzündungsprozesse, Zellsterben und Reaktionen des Immunsystems.“ Im Visier hat die Tübinger Forscherin insbesondere die Botenstoffe Interleukin-6 (IL-6) und -1 (IL-1).
„Zytokinspiegel im Blut zeigen uns, was gerade im Zuge der Virusinfektion passiert und wann es Zeit wird, therapeutisch einzugreifen. Interleukin-6 ist ein guter Indikator für den richtigen Moment, die Überreaktion des Immunsystems etwa mit Hilfe eines IL-6-Rezeptorblockers zu stoppen.“
Da käme derzeit ein antientzündlicher Wirkstoff wie zum Beispiel Tocilizumab infrage. Den Angaben zufolge konnten in der Vergangenheit die hier angewandten Methoden bereits zur Aufklärung von Herzmuskelentzündungen, wie sie etwa durch andere RNA-Viren wie den Enteroviren (Coxsackieviren) hervorgerufen werden, beitragen. „Wir erhoffen uns nun mehr Aufschluss darüber, inwiefern Sars-CoV-2 ein neues Virus mit Myokarditis-Potenzial darstellt.“ (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Deutsche Herzstiftung: Herzschädigung bei Covid-19, (Abruf: 17.08.2020), Deutsche Herzstiftung
- Riccardo M. Inciardi, Laura Lupi, Gregorio Zaccone, et al.: Cardiac Involvement in a Patient With Coronavirus Disease 2019 (COVID-19); in: JAMA Cardiology, (veröffentlicht: 27.03.2020), JAMA Cardiology
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.