Reizdarm: Bessere Bekömmlichkeit von Brot
Das Reizdarmsyndrom zählt zu den häufigsten Magen-Darm-Erkrankungen in Deutschland. Laut Fachleuten sind rund zwölf Millionen Menschen hierzulande davon betroffen. Viele von ihnen reduzieren oder vermeiden den Verzehr von Backwaren, um Beschwerden zu vermeiden. Doch Forschende berichten nun über eine Zubereitungsmethode, durch die Brot bekömmlicher wird.
Bauchschmerzen, Verstopfung und Durchfall sind typische Beschwerden eines Reizdarmsyndroms (RDS), auch nervöser Darm genannt. Ein Reizdarmsyndrom lässt sich zwar nicht heilen, doch viele Menschen finden mit der Zeit heraus, was ihrem Darm gut tut und was nicht, erklärt das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) auf dem Portal „gesundheitsinformation.de“. So verzichten manche Betroffene auf Backwaren wie Brot. Doch das müsste nicht sein.
Eines der wichtigsten Grundlebensmittel
Brot soll man meiden, weil es zu Blähungen und Verdauungsproblemen führen kann – das stimmt, aber nur für wenige Patientinnen und Patienten mit Reizdarm und gilt nur für Backwaren, die sehr schnell hergestellt werden.
Laut einer Mitteilung zeigen aktuelle Untersuchungen von Forschenden der Universität Hohenheim in Stuttgart in Kooperation mit dem Bäcker Heiner Beck und der Stelzenmühle, dass auch Teiggehzeiten von zwei Stunden bereits auszureichen scheinen, um den Anteil sogenannter FODMAPs im Teig um 70 Prozent zu reduzieren.
FODMAPs sind spezielle Kohlenhydrate, die bei Reizdarm-Betroffenen Schmerzen verursachen können. Daher verzichten diese Personen oft auf Weizenprodukte. Doch Brot gehört in Deutschland zu den wichtigsten Grundlebensmitteln, und die neuen Studienerkenntnisse untermauern, dass ein Verzicht auf Brot wegen FODMAPs wenig hilfreich ist – zumindest bei den vielen Backwaren, die mit einer ausreichenden Teigruhezeit von über zwei Stunden produziert wurden.
Die Studienergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Journal of Cereal Science“ veröffentlicht. Eine deutsche Ergebnisdarstellung ist auf der Webseite der Uni Hohenheim zu finden.
Teig ruht länger
Wie in der Mitteilung erklärt wird, wird Teig in einer sehr traditionellen Art durchaus bis zu 48 Stunden lang ruhen gelassen, bevor er als Brot in den Ofen geschoben wird. „Diese Zubereitung bringt besonders viel Geschmack, Aroma und Saftigkeit ins Brot und sorgt für eine längere Frische“, erklärt der Bäcker Heiner Beck, der die Brote für diese Studie gebacken hat. Solche langen Ruhezeiten werden aber nicht in jeder Bäckerstube und bei jedem Produkt realisiert.
Es scheint, dass Backgewerbe und Handel aktuell von der Meinung getrieben sind, dass eine hohe Verträglichkeit von Brot durch besonders lange Teigführungszeiten erreicht werden könne, ohne dass die Herstellungsprozesse genauer beleuchtet werden.
Zumal auch Personen mit Reizdarmsyndrom gerne auf Brote aus dieser alten Backtechnik zurückgreifen, weil sich aufgrund der sehr langen Gärungszeit fast keine FODMAP-Elemente mehr in den Backwaren befinden.
„Das ist sicher nicht falsch, kann ich aber so pauschal nicht bestätigen“, so apl. Prof. Dr. Longin von der Landessaatzuchtanstalt der Universität Hohenheim. „Die Lösung liegt wie bei vielem im Detail“.
Gemeinsam mit dem Ernährungsmediziner Prof. Dr. Stephan C. Bischoff untersuchte der Wissenschaftler verschiedene Herstellungsprozesse und Weizensorten in der aktuellen Studie. Konkret interessierten sich die Fachleute darin für die schmerzverursachenden Kohlenhydrate in den Broten, die bei Betroffenen Blähungen und Verdauungsprobleme erzeugen.
FODMAP-Anteile um bis zu 75 Prozent reduziert
Die Forschenden haben die Zusammenhänge zwischen der Teigherstellung und der Verträglichkeit aufgrund der FODMAP-Anteile im Brot genauer beleuchtet. Dabei haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Backprodukte mit 21 verschiedenen Weizensorten aus einer im Bäckeralltag typischen langen Teigführung von 25 Stunden mit einer wesentlich kürzeren Herstellungsart von zwei Stunden verglichen.
Es zeigte sich, dass bereits nach zwei Stunden die Anteile der schmerzverursachenden Stoffe im Brot um bis zu 75 Prozent reduziert waren. Demgegenüber waren die Werte nach 25 Stunden nur unwesentlich niedriger.
„Das liegt daran, dass bei einer verlängerten Teigführung die Aktivität der Hefe durch eine reduzierte Hefemenge und eine Kühlung des Teiges reduziert werden muss“, erläutert apl. Prof. Dr. Longin.
„Ansonsten wird das für das Backen wichtige Gluten zu sehr geschädigt.“ Bäckermeister Heiner Beck ergänzt: „Dies wurde in den bisherigen wissenschaftlichen Studien zu FODMAP bei Backwaren nicht beachtet. Mir war wichtig, dass mit praxisrelevanten Rezepten gearbeitet wurde.“
Wahl der passenden Weizensorte ist wichtig
So wurden im Durchschnitt FODMAP-Gehalte von 0,22 Gramm je 100 Gramm gemessen, was etwa drei Brotscheiben entspricht. Im Vergleich dazu enthält ein einzelner Pfirsich bis zu vier Gramm FODMAPs.
„Es ist somit fraglich, ob eine FODMAP-Konzentration in Broten mit diesen niedrigen Werten medizinisch eine Auswirkung auf Patienten hat, und wenn doch, wie viele Patienten tatsächlich davon betroffen sind“, sagt Prof. Dr. Bischoff vom Institut für Ernährungsmedizin. „Bei gesunden Personen gilt sogar, dass Teile dieser FODMAPs, nämlich das Fruktan, wichtig für die Darmbakterien sind.“
Die Fachleute aus Hohenheim halten die lange Teigführung für sehr hochwertig. In anderen Studien wurde deren positiver Effekt auf Aroma, Saftigkeit sowie Verfügbarkeit von Mineralstoffen eindeutig belegt. Sie halten die pauschal vereinfachende Haltung zu den FODMAPs in Backwaren aber für einseitig und das Thema FODMAPs in Backwaren für teilweise überbewertet.
„Neben der Herstellungsweise des Brotes wirkt sich auch die Wahl der passenden Weizensorte sehr auf die Brotqualität aus“, erklärt Hermann Gütler. Der Müller in der Stelzenmühle hat die 21 verschiedenen Weizensorten für die Studie vermahlen und ergänzt: „Das wissen wir für die Backeigenschaften schon lange und haben es nun eindeutig auch für die FODMAPs gezeigt.“ (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Universität Hohenheim: Weizen & Bekömmlichkeit: Backwaren sind wesentlich besser als ihr Ruf, (Abruf: 02.09.2020), Universität Hohenheim
- C.F.H. Longin, H. Beck, A. Gütler, H. Gütler, W. Heilig, J. Zimmermann, S.C. Bischoff, T. Würschum: Influence of wheat variety and dough preparation on FODMAP content in yeast-leavened wheat breads; in: Journal of Cereal Science, (veröffentlicht: 23.06.2020), Journal of Cereal Science
- Universität Hohenheim: Durch Teigführung und Rohstoffauswahl sind die Gehalte von FODMAPs im Brot gering, (Abruf: 02.09.2020), Universität Hohenheim
- Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): Reizdarmsyndrom, (Abruf: 02.09.2020), gesundheitsinformation.de
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.