Neuer Therapieansatz gegen Demenz
Demenz ist ein Oberbegriff für verschiedene Krankheitsformen. Die Erkrankungen verlaufen unterschiedlich, führen alle jedoch langfristig zum Verlust der geistigen Leistungsfähigkeit. Forschende berichten nun über einen neu entwickelten Therapieansatz.
Wie das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) auf dem Portal „gesundheitsinformation.de“ schreibt, haben etwa 1,4 Millionen Menschen in Deutschland eine Demenz. „Demenz ist ein Oberbegriff für mehr als 50 Krankheitsformen“, erklärt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf der Seite „Wegweiser Demenz“. Die häufigste Demenzerkrankung ist Alzheimer. Für die Mehrzahl der Demenzerkrankungen gibt es derzeit noch keine Therapie, die zur Heilung führt, erläutert das Bundesgesundheitsministerium auf seiner Webseite.
Eiweißablagerungen in bestimmten Hirnregionen
Laut einer aktuellen Mitteilung der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) sind viele Demenzerkrankungen wie Alzheimer, Parkinson oder Frontotemporale Demenz die Folge von Eiweißablagerungen in bestimmten Hirnregionen.
Die Proteine sammeln sich dabei entweder direkt in den Nervenzellen oder auch außerhalb von Neuronen an. An der Entwicklung neurodegenerativer Erkrankungen ist vor allem das sogenannte Tau-Protein beteiligt. Den Fachleuten zufolge häufen sich bei diesen sogenannten Tauopathien immer mehr Eiweiße in den Nervenzellen an, bis diese absterben und in Folge ganze Hirnareale schrumpfen.
Ein Forschungsteam unter der Leitung von Professor Dr. Evgeni Ponimaskin, Wissenschaftler am Institut für Neurophysiologie der MHH, hat jetzt herausgefunden, dass dabei die Signalübertragung durch Serotoninrezeptoren eine entscheidende Rolle spielt. Die Ergebnisse sind vor kurzem in der Fachzeitschrift „Progress in Neurobiology“ veröffentlicht worden.
Therapie bereits erfolgreich erprobt
Das MHH-Team hat in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) am Standort Magdeburg nicht nur die zellulären Mechanismen aufgeklärt, sondern auch eine neue Behandlungsstrategie gegen Tauopathie-assoziierte Demenzformen entwickelt.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Hannover haben die Therapie bereits erfolgreich in verschiedenen Tiermodellen erprobt und gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen vom DZNE Magdeburg patentieren lassen.
Wie in der Mitteilung erklärt wird, ist Serotonin ein Botenstoff, der in unserem Nervensystem Informationen weitergibt. Da Serotonin nicht nur wichtig für die Blutgerinnung, Lernprozesse oder den Schlaf-Wach-Rhythmus ist, sondern auch unsere Stimmungslage beeinflusst, ist es auch als „Glückshormon“ bekannt.
Der Botenstoff vermittelt seine hormonellen Wirkungen, indem er an die Zellmembran gebundene Rezeptoren aktiviert. Diese Serotonin-Rezeptoren kommen in verschiedenen Varianten vor und sind verstärkt im zentralen Nervensystem sowie im Magen-Darm-Trakt zu finden.
„Bei unseren Untersuchungen haben wir uns mit einem Serotonin-Rezeptor namens 5-HT7R beschäftigt“, erklärt Dr. Josephine Labus, Erstautorin der Publikation. Den Angaben zufolge ist die Besonderheit dieses Rezeptors, dass er eine hohe Basalaktivität besitzt – das heißt, er ist dauerhaft aktiv, auch ohne eine vorherige Bindung des Serotonins.
Durch seine hohe Aktivität stimuliert er eine chemische Veränderung an Tau-Proteinen, was laut den Fachleuten zur Folge hat, dass sich diese Eiweiße in Nervenzellen pathologisch anhäufen und diese daraufhin absterben.
Aktivität von überaktivem Rezeptor stoppen
Doch es gibt einen Weg, diesen bereits im Normalzustand überaktiven Rezeptor zu stoppen. Sogenannte inverse Agonisten können an den Rezeptor binden, und senken seine Aktivität unter den Basislevel.
„Wir haben Mäusen ,krankhaftes‘, humanes Tau-Protein verabreicht und beobachtet, dass sie Demenzsymptome entwickelten“, erläutert Professor Ponimaskin. Anschließend schalteten die Forschenden den Signalweg mithilfe eines inversen Agonisten aus. Nach Blockade der Basalaktivität des Serotonin-Rezeptors bildeten sich die kognitiven Einschränkungen bei den Tieren wieder zurück.
Hoffnungsschimmer für die Demenzbehandlung
„Das Pharmazeutikum, das wir in unseren Experimenten verwendet haben, ist bislang nur für die Forschung zugelassen“, so der Neurobiologe. Die Stoffklasse der inversen Agonisten haben sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für die Behandlung von Demenz patentieren lassen. In einer weiteren Studie wollen sie jetzt untersuchen, welche bereits für andere Erkrankungen wie Depression oder Schizbauerophrenie zugelassenen Medikamente dieser Stoffklasse denselben Effekt haben.
Zwar lassen sich auch mit diesen Arzneimitteln abgestorbene Nervenzellen nicht wieder reparieren, doch ein Hoffnungsschimmer für die Demenzbehandlung sind die inversen Agonisten schon. Wenn die Erkrankung früh genug erkannt wird, so hoffen die Forschenden, könnten die Medikamente die Demenz stoppen oder sogar ganz verhindern. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Medizinische Hochschule Hannover (MHH): Hoffnung für Demenzkranke, (Abruf: 06.09.2020), Medizinische Hochschule Hannover (MHH)
- Josephine Labus, Kian-Fritz Röhrs, Jana Ackmann, Hristo Varbanov, Franziska E Müller, Shaobo Jia, Kathrin Jahreis, Anna-Lena Vollbrecht, Malte Butzlaff, Yvonne Schill, Daria Guseva, Katrin Böhm, Rahul Kaushik, Monika Bijata, Philippe Marin, Séverine Chaumont-Dubel, Andre Zeug, Alexander Dityatev, Evgeni Ponimaskin: Amelioration of Tau pathology and memory deficits by targeting 5-HT7 receptor; in: Progress in Neurobiology, (veröffentlicht: 22.08.2020), Progress in Neurobiology
- Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen: Alzheimer-Demenz, (Abruf: 06.09.2020), gesundheitsinformation.de
- Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Demenzerkrankung - Eine Einführung, (Abruf: 06.09.2020), Wegweiser Demenz
- Bundesgesundheitsministerium: Diagnose Demenz: Krankheitsbild und Verlauf, (Abruf: 06.09.2020), Bundesgesundheitsministerium
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.