COVID-19: Todesfälle werden bald zunehmen
In Deutschland wurden seit dem Beginn der Pandemie bereits mehr als eine halbe Million Infektionen mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 registriert. Vor allem in den letzten Wochen ist die Zahl der Neuninfektionen rasant in die Höhe geschnellt. Die Max-Planck-Gesellschaft berichtet nun in einer Mitteilung, dass Anfang November wöchentlich 500 bis 800, möglicherweise sogar mehr Menschen an einer Infektion mit SARS-CoV-2 sterben könnten.
Die Politik hat auf die rasant ansteigenden Infektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 mit einem Teil-Lockdown reagiert. Zwar verlaufen viele COVID-19-Erkrankungen relativ harmlos, doch die Zahl der Intensivpatientinnen und -patienten nimmt zu. Laut Fachleuten wird es auch bald mehr Corona-Todesfälle in Deutschland geben.
Todesfälle könnten sich schnell verdoppeln
Die Zahl der Todesfälle durch das Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelöste Krankheit COVID-19 könnte sich in den ersten beiden Novemberwochen jeweils verdoppeln. Zu dem Ergebnis kommt ein Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern um Viola Priesemann, Leiterin einer Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation, in einer modellbasierten Analyse.
Die immer noch relativ niedrigen Zahlen von Todesfällen sind demnach darauf zurückzuführen, dass sich das Coronavirus SARS-CoV-2 bis Ende September vor allem bei unter 60jährigen ausbreitete. Doch seither steigt die Zahl der gemeldeten Infektionen auch bei Menschen über 60 Jahre. Dies führt laut den Fachleuten mit einem Zeitverzug von etwa zwei Wochen auch zu einem Anstieg der Todesfälle, der bereits jetzt klar zu beobachten ist.
Während der ersten Welle der Corona-Epidemie starben in der Woche vom 13. bis 19. April bundesweit fast 1.600 Menschen mit oder an COVID-19. Die Zahl der Neuinfektionen mit SARS-CoV-2 hatte ihren Höhepunkt mit bis mehr als 35.000 gemeldeten Fällen in sieben Tagen zu dieser Zeit bereits seit zwei Wochen überschritten. In der Woche vom 21. bis 28. Oktober gab es in Deutschland über 85.000 bestätigte Neuinfektionen, im selben Zeitraum starben 335 Menschen an oder mit COVID-19.
Der Unterschied in der Sterblichkeit, der bislang zwischen der ersten und der zweiten Welle der Corona-Epidemie in Deutschland zu beobachten ist, lässt sich darauf zurückführen, dass sich bis Ende September vor allem Menschen unter 60 mit dem Coronavirus ansteckten. Dies belegen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zahlreicher deutscher Forschungseinrichtungen, darunter das Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation, mit einer aktuellen Studie, die im „Deutschen Ärzteblatt“ erschienen ist.
„Unsere Modellrechnungen zeigen aber auch, dass die Zahl der Todesfälle durch Covid-19 in Deutschland bereits Anfang November auf 500 bis 800 pro Woche zunehmen dürfte“, so Viola Priesemann. Der Anstieg fällt möglicherweise sogar stärker aus.
Prognosen dürften zuverlässig sein
Den Angaben zufolge analysierte die Gruppe den Anstieg der gemeldeten Neuinfektionen nach Altersgruppen und ermittelte aus der beobachteten Sterblichkeit in der jeweiligen Altersfraktion, wie sich die Zahl der Todesfälle durch COVID-19 entwickelt. Nach einer umfangreichen Metastudie verzehnfacht sich die Sterblichkeitsrate bei einer Corona-Infektion alle 20 Lebensjahre und erreicht um das 82 Lebensjahr rund zehn Prozent.
Bei ihren Modellrechnungen nahmen die Forschenden zudem an, dass die Entwicklung der Todesfälle den gemeldeten Neuinfektionen mit einem Verzug von 14 Tagen folgt. „Die Ergebnisse unserer Modellrechnungen stimmen sehr gut mit den beobachteten Entwicklungen in allen Altersgruppen überein“, erläutert Viola Priesemann. „Deshalb dürften auch unsere Prognosen für die kommenden zwei Wochen zuverlässig sein.“
Vorhersagen darüber hinaus seien jedoch schwierig, da die Entwicklung tödlicher COVID-19-Erkrankungen vom Verlauf der Infektionszahlen insbesondere in der Altersgruppe der über 80jährigen abhängt.
Mehr Ältere infizieren sich
Den wesentlichen Grund, warum sich seit Ende September auch wieder vermehrt Menschen über 60 mit SARS-CoV-2 anstecken, sehen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler darin, dass die Gesundheitsämter die Kontaktpersonen von Trägerinnen und Trägern des Virus in den jüngeren Altersgruppen nicht mehr konsequent verfolgen und isolieren können.
„Die Dunkelziffer, also die Zahl der unerkannten Träger des Virus steigt offensichtlich“, sagt die Forscherin. „Damit haben wir in vielen Landkreisen einen Kipppunkt im Infektionsgeschehen überschritten, ab dem es schwierig wird, die Epidemie zu kontrollieren“, sagt Viola Priesemann. Diesen Kipppunkt, der mit einer Überlastung der Gesundheitsämter einhergeht, hatte ihr Team bereits vor kurzem beschrieben.
„Um die Kontrolle über das Infektionsgeschehen wiederzuerlangen, müssen die Fallzahlen unverzüglich gesenkt werden“, schreiben die Autorinnen und Autoren im Deutschen Ärzteblatt, und weiter: „Andernfalls werden die Eindämmung der Ausbreitung und der Schutz der Risikogruppen zwangsläufig sehr viel restriktivere Maßnahmen erfordern – spätestens wenn die Krankenhauskapazität ausgeschöpft ist.“ (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Max-Planck-Gesellschaft: Die Covid-19-Todesfälle werden zunehmen, (Abruf: 02.11.2020), Max-Planck-Gesellschaft
- Matthias Linden, Sebastian B.Mohr, Jonas Dehning, Jan Mohring, Michael Meyer-Hermann, Iris Pigeot, Anita Schöbel und Viola Priesemann: Überschreitung der Kontaktnachverfolgungskapazität gefährdet die Eindämmung von COVID-19; in: Deutsches Ärzteblatt, (veröffentlicht: 28.10.2020), Deutsches Ärzteblatt
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.