Corona: Reduzierte Ausbreitung durch Abstand halten
Die Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 steigt nach wie vor steil an. Die sogenannten AHA-Regeln (Abstand halten, Hygiene beachten, Alltagsmaske tragen) sollen helfen, die Ausbreitung des neuartigen Erregers einzudämmen. Vor allem das Abstand halten beziehungsweise das „Social Distancing“ haben sich in einer Studie als besonders effektiv erwiesen.
Bereits seit Beginn der Corona-Pandemie wird Social Distancing empfohlen, um die Infektionsrate mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 zu verlangsamen. Das heißt, soziale Kontakte sollen auf ein Minimum reduziert und so viel Zeit wie möglich zu Hause verbracht werden. Dass dies zu einer Abnahme der Infektionszahlen führt, haben nun Forschende aus Deutschland nachgewiesen.
Auswirkungen verschiedener Maßnahmen
Infolge des weltweiten Ausbruchs der durch das neue Coronavirus SARS-CoV-2 verursachten Krankheit COVID-19 arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit mit Hochdruck an der Erforschung von Infektionskrankheiten. Wie die Westfälische Wilhelms-Universität Münster (WWU) in einer aktuellen Mitteilung schreibt, betrifft dies nicht nur Virologinnen und Virologen, sondern auch Physikerinnen und Physiker, die mathematische Modelle zur Beschreibung der Ausbreitung von Epidemien entwickeln.
Solche Modelle sind wichtig, um die Auswirkungen verschiedener Maßnahmen zur Eindämmung der Krankheit zu testen – beispielsweise Gesichtsmasken, Schließungen von öffentlichen Gebäuden und Geschäften, oder das bekannte „Social Distancing“, also das Abstand halten zur Vermeidung von Infektionen. Die Modelle dienen oftmals als Grundlage für politische Entscheidungen und stärken die Legitimation ergriffener Maßnahmen.
Die Physiker Michael te Vrugt, Jens Bickmann und Prof. Dr. Raphael Wittkowski vom Institut für Theoretische Physik und Center for Soft Nanoscience der WWU haben nun ein neues Modell zur Ausbreitung von ansteckenden Krankheiten entwickelt. Die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Wittkowski beschäftigt sich mit Statistischer Physik, also der Beschreibung von Systemen, die aus sehr vielen Teilchen bestehen. Die Fachleute nutzen dabei unter anderem die „dynamische Dichtefunktionaltheorie“ (DDFT), eine in den 1990er-Jahren entwickelte Methode, welche die Beschreibung von wechselwirkenden Teilchen ermöglicht.
Dynamik von Superspreader-Ereignissen
Zu Beginn der Corona-Pandemie kam den Wissenschaftlern die Idee, dass die gleiche Methode zur Beschreibung der Ausbreitung von Krankheiten hilfreich ist. „Menschen, die Social Distancing betreiben – die also versuchen, Abstand voneinander zu halten – kann man sich im Prinzip wie Teilchen vorstellen, die sich gegenseitig abstoßen, weil sie zum Beispiel die gleiche elektrische Ladung haben“, sagt Erstautor Michael te Vrugt. „Also kann man Theorien, die abstoßende Teilchen beschreiben, vielleicht auch auf voneinander Abstand haltenden Menschen anwenden.“
Basierend auf dieser Idee entwickelten die Forschenden das sogenannte „SIR-DDFT-Modell“, welches das SIR-Modell (eine bekannte Theorie zur Beschreibung der Ausbreitung von Infektionskrankheiten) mit DDFT kombiniert. Die resultierende Theorie beschreibt Menschen, die sich gegenseitig infizieren können, die aber auch Abstand voneinander halten. „Sie ermöglicht es zudem, räumliche Hotspots von Infizierten zu beschreiben und damit die Dynamik von sogenannten ‘Superspreader-Ereignissen’, wie dem Karneval in Heinsberg oder Apres-Ski in Ischgl, besser zu verstehen“, erläutert Mitautor Jens Bickmann. Die Studienergebnisse sind vor kurzem in der Fachzeitschrift „Nature Communications“ veröffentlicht worden.
Deutlich sinkende Infektionszahlen
Das Ausmaß der sozialen Distanzierung wird dann durch die Stärke der abstoßenden Wechselwirkung beschrieben. „Dadurch kann man mithilfe der Theorie auch die Auswirkungen von Social Distancing testen, indem man eine Epidemie mit verschiedenen Werten der Parameter, die die Stärke der Wechselwirkung beschreiben, simuliert“, erklärt Studienleiter Raphael Wittkowski. Den Angabe zufolge zeigen die Simulationen, dass die Infektionszahlen durch Social Distancing tatsächlich deutlich sinken.
Das Modell reproduziert damit den bekannten „Flatten-The-Curve-Effekt“, bei dem die Kurve, die den zeitlichen Verlauf der Anzahl der Erkrankten beschreibt, als eine Folge des Abstand-Haltens deutlich flacher wird. Gegenüber existierenden Theorien hat das neue Modell laut den Fachleuten den Vorteil, dass die Auswirkungen von sozialen Interaktionen explizit modelliert werden können. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Westfälische Wilhelms-Universität Münster: Ausbreitungen von Infektionskrankheiten verstehen, (Abruf: 07.11.2020), Westfälische Wilhelms-Universität Münster
- Michael te Vrugt, Jens Bickmann & Raphael Wittkowski: Effects of social distancing and isolation on epidemic spreading modeled via dynamical density functional theory; in: Nature Communications, (veröffentlicht: 04.11.2020), Nature Communications
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.