Multiple Sklerose: Körper profitiert von UV-Strahlen
Die Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Autoimmunkrankheit, die sehr unterschiedlich verlaufen kann. Bislang ist sie nicht heilbar. Doch der Verlauf der entzündlichen Erkrankung des zentralen Nervensystems kann positiv beeinflusst werden – unter anderem auch durch Sonnenlicht: UV-Strahlen wirken sich laut einer Studie positiv auf die MS aus.
„Multiple Sklerose (MS) ist zurzeit nicht heilbar. Der Krankheitsverlauf lässt sich jedoch in vielen Fällen positiv beeinflussen“, heißt es auf auf dem öffentlichen Gesundheitsportal Österreichs „Gesundheit.gv.at“. Zum Einsatz kommen hier unter anderem Medikamente. Helfen können aber auch natürliche Maßnahmen. So wirken sich laut einer Studie UV-Strahlen positiv auf die MS aus. Der Schutz empfindlicher Haut darf jedoch nicht vernachlässigt werden.
MS-Risiko steigt mit der Nähe zu den Polen
Wie das Krankheitsbezogene Kompetenznetz Multiple Sklerose (KKNMS) in einer aktuellen Mitteilung schreibt, nimmt die Wahrscheinlichkeit an Multipler Sklerose (MS) zu erkranken zu, je mehr man sich dem Nord- oder Südpol nähert. Dies stellte der US-Epidemiologe Gil Beebe bereits 1967 fest. Der Wissenschaftler hatte Soldaten beobachtet, die mit ihren Familien überall auf der Welt stationiert waren.
So entstand erstmals die Annahme, dass MS irgendwie mit der Sonneneinstrahlung zusammenhängt. Der genaue Einfluss von ultraviolettem Licht auf die entzündliche Erkrankung des Nervensystems blieb jedoch jahrzehntelang ungeklärt.
Beeinflusst das Sonnenlicht nur die Wahrscheinlichkeit, überhaupt an MS zu erkranken? Oder sind einzelne Personen auch unterschiedlich schwer betroffen, je nachdem wo sie wohnen?
UV-Licht wirkt ähnlich gut wie ein Medikament
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Kompetenznetz MS (KKNMS) und des Sonderforschungsbereiches Multiple Sklerose (SFB TR128) der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) beantworten nun beide Fragen mit „Ja“.
Und die Fachleute zeigen noch mehr: UV-Licht löst im Körper von MS-Patientinnen und -Patienten ganz ähnliche Prozesse aus wie das Medikament Interferon. „Sonnenlicht beeinflusst den Schweregrad der MS offenbar positiv“, sagt Prof. Dr. Nicholas Schwab von der Klinik für Neurologie in Münster und Leiter der groß angelegten Untersuchung.
Dies ist die wichtigste Erkenntnis der Studie, die vor kurzem in der Fachzeitschrift „PNAS“ veröffentlicht wurde.
Für ihre Arbeit werteten die Forschenden die Daten von nahezu 2.000 MS-Betroffenen aus. „Die Kooperation im Kompetenznetz MS lieferte uns eine hochwertige Datenbasis, mit der wir verschiedene Blickwinkel einnehmen konnten“, so Prof. Dr. Heinz Wiendl, Sprecher des Netzwerks und Leiter der Universitätsklinik für Neurologie in Münster.
Die ausführlichen Daten entstammen der NationMS-Kohorte des Netzwerks, einer großen nationalen longitudinalen Kohorte mit inzwischen 1.400 Patientinnen und Patienten. Nur so konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei ihrer Analyse zahlreiche Einflussfaktoren berücksichtigen, darunter Wohnort, Geschlecht, und Lebensweise, aber auch die genetische Prädisposition für Sonnenempfindlichkeit.
Vitamin D kann nicht alles sein
Die Studienergebnisse deuten darauf hin, dass UV-Licht und MS schon auf einem relativ kleinen Gebiet wie Deutschland mit einer Nord-Süd-Ausdehnung von knapp 1.000 Kilometern zusammenhängen.
Den Angaben zufolge nehmen die aktiven Entzündungsherde in Gehirn und Rückenmark und auch der Beeinträchtigungsgrad von Süd- nach Norddeutschland im Mittel zu. Im Gegenzug dazu nimmt der saisonbereinigte Vitamin D-Spiegel – wie auch die Sonneneinstrahlung – gen Norden ab.
Schon seit Jahren wird angenommen, dass Vitamin D unter anderem das Immunsystem beeinflusst und entzündungshemmend wirkt. Dies hatte auch das Forschungsteam aus Münster 2014 bereits in einer kleinen Studie untersucht. Doch schon damals ahnten sie, dass Vitamin D nicht alles sein kann. Die Sonne beeinflusst die Erkrankung noch auf weiteren Wegen. Die aktuelle Studie gibt ihnen jetzt Recht.
Zwei mögliche Erklärungen
Um zu bestätigen, dass Sonnenlicht Ursache für die Unterschiede ist, zogen die Forschenden Daten der NASA zu Rate. In einem sehr aufwändigen Verfahren schätzten sie die Menge an UV-Licht, der die Probandinnen und Probanden im Jahr vor der Untersuchung im Schnitt ausgesetzt waren.
Laut der Mitteilung stützten die Daten das Ergebnis: Nimmt die Sonneneinstrahlung zu, nehmen die MS-Beschwerden im Mittel ab. Es gab aber eine Ausnahme: Wurden Patientinnen und Patienten zuvor mit Interferon-beta behandelt, wirkte das Sonnenlicht nicht mehr. Das zeigten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mithilfe von Daten aus einer Studie von französischen Kooperationspartnern.
Die Fachleute haben dafür zwei mögliche Erklärungen. Einerseits kann Interferon-beta selbst der Auslöser sein, indem es die Vitamin-D-Produktion verändert. Das natürliche Nord-Süd-Gefälle beim Vitamin D-Spiegel könnte so aufgehoben werden.
Andererseits könnte das Sonnenlicht aber auch ursächlich sein, denn: UV-Licht regt den Interferon-Signalweg an, wie die Forschenden bei einer Analyse von Gensequenzen feststellten. „Das ist interessant, da wir wissen, dass die MS gut auf die Behandlung mit Interferon-beta anspricht“, erklärt Patrick Ostkamp, Autor der Studie.
Bei Patientinnen und Patienten, die bereits mit Interferon behandelt werden, sind die Effekte des Sonnenlichts, die auch über Interferon vermittelt werden, nicht mehr festzustellen. Denn der Signalweg kann nur einmal angeregt werden – entweder von Interferon oder von UV-Licht. Beides zusammen gibt jedoch keinen Zusatznutzen. Laut der Mitteilung kann man sich das wie bei einem Glas mit Wasser vorstellen: Ist es einmal voll, läuft zusätzliche Flüssigkeit über den Rand.
Übermäßige UV-Strahlung kann schädlich sein
Trotz allen Nutzens gilt natürlich auch für Patientinnen und Patienten mit MS: übermäßige UV-Strahlung kann schädlich sein. Intensives Sonnenbaden fördert die Entstehung von Hautkrebs, insbesondere bei hellhäutigen und rothaarigen Menschen, denn sie tragen eine genetische Variante des Melanocortin-1-Rezeptors (MC1R), der für die Bildung von hautschützendem Melanin zuständig ist.
Bei Trägerinnen und Trägern einer bestimmten Variante des MC1R war der Zusammenhang zwischen Breitengrad und MRT-Aktivität umgekehrt, „ein mehr an Sonnenlicht war also nicht nur für die Haut, sondern auch für die MS schädlich“ erläutert Prof. Wiendl.
Der Experte rät dazu, sich bei der persönlichen Sonnenexposition an die Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu halten. Danach ist eine halbe Stunde Sonne pro Tag für die meisten Menschen sinnvoll – auch und gerade, wenn sie unter Multipler Sklerose leiden. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Krankheitsbezogenes Kompetenznetz Multiple Sklerose (KKNMS): Gut gegen Multiple Sklerose: Körper profitiert von Sonnenlicht, (Abruf: 16.01.2021), Krankheitsbezogenes Kompetenznetz Multiple Sklerose (KKNMS)
- Patrick Ostkamp, Anke Salmen, Béatrice Pignolet, Dennis Görlich, Till F M Andlauer, Andreas Schulte-Mecklenbeck, Gabriel Gonzalez-Escamilla, Florence Bucciarelli, Isabelle Gennero, Johanna Breuer, Gisela Antony, Tilman Schneider-Hohendorf, Nadine Mykicki, Antonios Bayas, Florian Then Bergh, Stefan Bittner, Hans-Peter Hartung, Manuel A Friese, Ralf A Linker, Felix Luessi, Klaus Lehmann-Horn, Mark Mühlau, Friedemann Paul, Martin Stangel, Björn Tackenberg, Hayrettin Tumani, Clemens Warnke, Frank Weber, Brigitte Wildemann, Uwe K Zettl, Ulf Ziemann, Bertram Müller-Myhsok, Tania Kümpfel, Luisa Klotz, Sven G Meuth, Frauke Zipp, Bernhard Hemmer, Reinhard Hohlfeld, David Brassat, Ralf Gold, Catharina C Gross, Carsten Lukas, Sergiu Groppa, Karin Loser, Heinz Wiendl, Nicholas Schwab, German Com- petence Network Multiple Sclerosis (KKNMS) and the BIONAT Network: Sunlight exposure exerts immunomodulatory effects to reduce multiple sclerosis severity; in: PNAS, (veröffentlicht: 05.01.2021), PNAS
- Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs „Gesundheit.gv.at“: Multiple Sklerose: Therapie, (Abruf: 16.01.2021), Gesundheit.gv.at
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.